Interview mit Rolf Geckle:„Genug Personal ist das A und O“

Aufmerksame, engagierte Mitarbeiter sind die beste Prävention gegen Ladendiebstahl. Davon ist Rolf Geckle, Fachmann bei der Polizei in Karlsruhe, überzeugt.

Sonntag, 17. August 2014 - Management
Sonja Plachetta
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Bildquelle: Hoppen

Ist Deutschland ein Eldorado für professionelle Ladendiebe?
Rolf Geckle: Deutschland ist ein Zielgebiet für Gruppen, die aus dem Ausland kommen und hier gewerbsmäßigen Ladendiebstahl begehen. Das sind zum Teil Touristen, die durch die EU-Osterweiterung ohne Grenzkontrolle leicht einreisen können und hier ein Bleiberecht haben. Die zweite Gruppe sind Asylbewerber. 2013 kamen 120.000 Asylbewerber nach Deutschland, in diesem Jahr rechnen wir mit 160.000 bis 180.000. Man sagt, dass etwa jeder vierte von ihnen straffällig wird. In Karlsruhe hatten wir 2013 einen außergewöhnlich starken Anstieg an gewerbsmäßigen Ladendiebstählen, insbesondere durch georgische Täter, die meist mehrfach und bundesweit straffällig geworden sind.

Asylbewerber unterstehen der Residenzpflicht. Wie können sie bundesweit straffällig werden?
Die Globalisierung schreitet beim Ladendiebstahl voran. Bisher hatte ich es nie erlebt, dass Asylbewerber im Besitz eines Fahrzeugs sind. Nun sind die Täter von Baden-Württemberg nach Essen gefahren, haben dort ein Auto gekauft, das sie über einen polnischen Mittelsmann zugelassen haben. Der Pole hat – Stichwort Scheinhalterschaft – 15 Autos auf seinen Namen zugelassen, hat mit den Fahrzeugen Georgier versorgt und ist verschwunden. Die Georgier waren so viel mobiler als bisher.

Warum ist die Sanktionierung schwierig?
Touristen, die nur Waren in geringem Wert klauen, passiert bei Ersttäterschaft nichts. Asylbewerber kommen mittellos nach Deutschland, haben aber einen festen Wohnsitz, sodass wir sie gar nicht gleich in Haft nehmen können, weil keine Fluchtgefahr besteht. Wenn sie das erste Mal gefasst werden, werden sie meist wieder freigelassen. Der Staatsanwalt sammelt schließlich die Fälle und erhebt nach einigen Monaten Anklage. Aber so lange sind die Täter weiter ungestraft unterwegs – oft über das Gebiet einer einzigen Staatsanwaltschaft hinaus, was die Sache erschwert.

Es fehlt eine Vernetzung der Staatsanwaltschaften?
Zumindest fehlt meist die Bereitschaft, dass eine Staatsanwaltschaft alles, was mit einem Täter zu tun hat, als Sammelverfahren übernimmt, unabhängig davon, wo er in Erscheinung tritt. So ist aber immer der örtlich ansässige Staatsanwalt zuständig und hat nicht immer Kenntnis von anderen Straftaten.

Plädieren Sie dafür, dass Ersttäter härter bestraft werden?
Das wäre aus meiner Sicht sinnvoll. Eine schnelle Strafe, wie es sie in anderen Ländern gibt, würde den Tätern sicher besser Einhalt gebieten. In Rumänien, wo auch viele Täter herkommen, gibt es z. B. für Ladendiebstahl gleich zehn Monate Freiheitsstrafe. Oft sind die Täter schon vorbestraft aus ihrem Heimatland, begehen hier weitere Straftaten und sind überrascht, dass sie nicht so verfolgt werden, wie sie es gewohnt sind.

Viele Händler zeigen Diebstähle gar nicht mehr an, weil sie die Strafverfolgung als unzureichend bemängeln.
Ich kann die Unzufriedenheit der Mitarbeiter verstehen. Dennoch ist es wichtig, jede Tat anzuzeigen. Nur dann wird der Täter registriert und vielleicht beim zweiten Mal schon ganz anders bestraft.

Die Kriminalität ist organisiert. Muss sich auch der Handel organisieren?
Wenn eine Gruppierung unterwegs ist, schicke ich eine E-Mail an die IHK. Manche Firmen machen das auch intern. Ich würde mir wünschen, dass die Informationen unternehmensübergreifend besser fließen würden. Wenn eine neue Tätergruppierung unterwegs ist, wäre es sinnvoll, nicht nur die eigenen Filialen, sondern auch die der Konkurrenz vorzuwarnen, etwa durch E-Mails, in denen man die Personen und deren Vorgehen beschreibt.


Wie lässt sich Ladendiebstahl verhindern?
Indem der Handel mehr in Personal investieren würde. Je weniger Mitarbeiter auf der Fläche sind, desto mehr wird geklaut. In vielen Märkten ist kein einziger Mitarbeiter auf der Fläche, das ist natürlich das Eldorado für die Diebe. Ich habe erst kürzlich einen Test gemacht in einem Supermarkt. Die drei Mitarbeiter saßen an der Kasse, ich konnte mich im Markt frei bewegen und gelangte sogar ungesehen in die privaten Büroräume, wo ich Wertsachen und Handys der Mitarbeiter entwenden konnte. Ich habe die Sachen an der Kasse abgegeben und die Mitarbeiter gebeten, vorsichtiger zu sein.

Wie können Mitarbeiter Diebe erkennen?
Jeder Ladendieb könnte vor der Tat auffallen, wenn die Mitarbeiter aufmerksam sind. Die Täter schauen sich in der Regel erst einmal im Laden um, checken die Umgebung, ob Detektive oder Kameras da sind und wie viel Personal es gibt. Sie haben kein Interesse an der Ware, sondern erst mal nur am Verkaufsraum. Zudem zögern sie oft, warten auf eine günstige Gelegenheit, bevor sie einen Gegenstand aus dem Regal nehmen. Man kann auch auf die Ausrüstung achten, ob z. B. die Taschen oder Jacken mit Alufolie ausgekleidet sind, um Sicherungssysteme zu überlisten. Wenn ein Mitarbeiter einen Kunden bemerkt, der sich auffällig verhält, muss er ihn ansprechen, fragen, ob er helfen kann, und in der Nähe bleiben, damit sich der Kunde nicht mehr unbeobachtet bewegen kann. Wichtig ist auch, darauf zu achten, ob sich die verdächtige Person mit jemandem abstimmt, etwa durch Zunicken oder Telefonate, damit wir als Polizei nicht nur den Dieb mit der Ware, sondern auch Aufpasser und Ablenker überführen können.

Mitarbeiter können aber nicht jeden Winkel eines Marktes im Blick haben. Welche zusätzlichen Sicherungsmöglichkeiten haben sich bewährt?
Die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter ist mit Abstand das wirksamste Instrument, um Ladendiebstahl zu bekämpfen. Manche Händler geben als Motivation ,Fangprämien’ aus. Zudem kann man Detektive oder Videokameras einsetzen, Spiegel anbringen, den Verkaufsraum übersichtlich halten, Warensicherungen anbringen oder hochwertige Produkte in Vitrinen platzieren. Jeder Händler muss selbst je nach Höhe der Inventurdifferenz überlegen, welche Investitionen sich für ihn lohnen. Man sollte das Problem nur nicht negieren, denn in Täterkreisen spricht sich schnell herum, welche Läden schlecht gesichert sind. Dort schlagen sie bevorzugt zu. Wir hatten einen Fall, wo ein Dieb einen Zettel in russischer Sprache dabei hatte mit einer Skizze des Marktes sowie dem exakten Standort der Kosmetika. Andere haben regelrechte Bestelllisten dabei, was sie klauen müssen.

Mit welchen Tricks arbeiten die Diebe außerdem?
Viel läuft über die Betrugsschiene, z. B. EC-Karten-Betrug in Geschäften, wo die Lastschrift noch per Unterschrift bestätigt wird. Ein anderes Beispiel: Ein ,Kunde’ kauft bei einem Discounter einen Fernseher, kopiert den Bon zehnmal. Dann geht er in verschiedene Filialen, greift aus dem Regal einen weiteren Fernseher, geht an die Kasse und zeigt einen kopierten Bon zum Umtausch vor. Er hat elfmal das Geld zurückbekommen. Dabei handelt es sich auch um ein hausgemachtes Problem. Es ist immer schlecht, wenn der Kunde erst durch den Verkaufsraum gehen muss, um etwas umtauschen zu können.

Wie wird beim Umtausch noch betrogen?
Verstärkt beobachten wir folgende Variante: Der Dieb nimmt einen hochwertigen Artikel aus dem Regal, geht zur Kasse und sagt, dass er ihn hier gekauft hat und umtauschen will, aber den Kassenbon nicht dabei hat. Was macht der Verkäufer? In der Mehrzahl der Fälle bekommt der ,Kunde’ sein Geld zurück. Will der Verkäufer den Bon sehen, geht der Dieb mit der gestohlenen Ware aus dem Geschäft. Oder jemand klaut etwas in einer Filiale und geht in eine andere, um es umzutauschen. Auch ohne Beleg klappt das oft. Das zeigt: Dass Kundenfreundlichkeit so groß geschrieben wird, begünstigt zum Teil die Kriminalität.

Zu kundenfreundlich sollte der Händler also nicht sein?
Wenn man zu großzügig ist, kann man die Begehung von Straftaten erleichtern. Bei einer Lebensmittelkette ist es so, dass Kunden, die beim Ladendiebstahl erwischt werden, die Möglichkeit eingeräumt wird, die Ware zu bezahlen, bevor mit der Polizei gedroht wird. Das ist meiner Meinung nach falsch. Wenn ich einen Ladendieb erkenne, sollte ich ihn gleich anzeigen und ihm nicht anbieten, noch zu bezahlen. Wenn sich das herumspricht, kann ja jeder erst mal gefahrlos stehlen.


Laut einer EHI-Studie steigt die Gewaltbereitschaft der Täter. Wie geht ein Mitarbeiter vor, wenn er einen Dieb entdeckt?
Dieses Studienergebnis deckt sich nicht mit unseren Erfahrungen. Mir ist kein Fall von Übergriffen auf Mitarbeiter bekannt. Viele befürchten, dass die Täter nach der Arbeit vor dem Markt auf sie warten, wenn sie sie anzeigen. Das passiert aber nicht. Gerade die Georgier lassen sich meist ohne Gegenwehr festnehmen. Meine Empfehlung ist, dass man den Täter anspricht und ihn damit konfrontiert, dass man ihn beim Klauen beobachtet hat. Dann sollte man ihn bitten, mit ins Büro zu kommen. Wenn sich der Täter dann umdreht und flüchtet, sollte man ihn laufen lassen. Aber schätzungsweise 80 Prozent bleiben stehen.

Wann darf ein Mitarbeiter den Dieb festhalten?
Es gibt den Jedermanns-Paragraf 127 StPO. Wenn ich eine Straftat zweifelsfrei beobachte, darf ich den Täter als Privatperson festnehmen. Viele Mitarbeiter wissen das aber nicht. Deshalb sind regelmäßige Schulungen für alle Mitarbeiter – auch die Aushilfskräfte – umso wichtiger.

Was wird im LEH am häufigsten geklaut?
Oft werden Zigaretten und Alkoholika geklaut, weil die Täter selbst abhängig sind, häufig wird die Ware ins Rotlichtmilieu verschoben. Auch Rasierklingen, Wimperntusche, Kosmetik, elektrische Zahnbürsten sind begehrt. Viele Händler sichern diese Ware gesondert, aber auf die Sicherungen kann man sich nicht verlassen. Die Täter finden eine Möglichkeit, sie zu überlisten.

Kann die richtige Platzierung Diebstahl verhindern?
Es wäre sinnvoll, gerade Alkoholika in der Nähe der Kasse zu platzieren, damit sie im Blickfeld der Mitarbeiter sind. Oft sind aber die Weinabteilungen im hintersten Bereich des Ladens. Bei Kosmetika und anderen hochwertigen Artikeln gilt dasselbe.

Gibt es Stoßzeiten für Ladendiebstahl?
Wir haben in Karlsruhe jeden Tag zwischen zehn und zwölf Ladendiebstählen. Morgens bekommen wir kaum einen gemeldet, dafür umso mehr gegen 16 Uhr, wenn die Kundenfrequenz zunimmt. Wir probieren das gelegentlich selbst. Und es ist erschreckend, wie leicht es mancherorts ist, etwas einzustecken.

Spielt die Lage eines Ladens eine Rolle?
Bei Shoppingcentern auf jeden Fall. Da sind die Geschäfte im Ein- und Ausgangsbereich stärker von Ladendiebstahl betroffen. Notwendig ist aus meiner Sicht, Barrieren einzubauen, um zu verhindern, dass Ladendiebe durch den Eingang wieder rauslaufen können. Ich sehe das nicht als kundenunfreundlich an. Denn die Waren könnten 2 Prozent billiger sein, wenn es keinen Ladendiebstahl gäbe. Es ist also im Interesse von uns allen, ihn zu bekämpfen.

Rolf Geckle bietet gegen Gebühr bundesweit Schulungen und Workshops für Mitarbeiter zur Prävention von Ladendiebstahl an. Infos unter Tel. 0721/9394420 , E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

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