Amazon Fresh Das Amazon-Experiment - Die Zusatzkosten

Im Herbst soll Amazon auch in Deutschland mit seinem Lebensmittel-Lieferdienst starten. Die LEBENSMITTEL PRAXIS hat Amazon Fresh in den USA testen lassen.

Sonntag, 17. August 2014 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Das Amazon-Experiment - Die Zusatzkosten
Bildquelle: Amazon

Doch dabei darf ein Faktor nicht vergessen werden: die Zusatzkosten. Und diese erweisen sich am Ende als ausschlaggebend für die weitere Nutzung des Angebotes über die Gratis-Testphase hinaus. Dabei kommt zum hohen Jahresbeitrag für die Prime-Mitgliedschaft auch noch die in den USA erwarteten Trinkgelder für die Lieferboten (bei der Online-Bestellung wird speziell hierzu aufgefordert).

Das Fazit von Bechtel: „Amazon Fresh ist perfekt für jeden, der so bequem ist wie ich. Ich kann einfach den Computer anschalten, schauen, was lecker aussieht und klicken! Es ist schneller und einfacher, als sich durch einen Supermarkt zu kämpfen auf der Suche nach den gewünschten Produkten. Die Gebühr für die Prime-Fresh-Mitgliedschaft ist mir aber mindestens um 100 USD zu teuer. Es kann schließlich sein, dass man gar nicht so oft bestellt, wie zunächst gedacht.“ Bei Johnson sieht es ähnlich aus: „Ich werde bis zum Ablauf der Testphase den Service definitiv weiter nutzen. Die Jahresgebühr ist mir aber zu teuer.“ Der 33-Jährige wäre bereit, eine Gebühr von 150 USD zu zahlen.

Auch in Internet-Foren und Blogs wird vor allem Kritik an der Gebühr für den benötigten Prime-Account und dem erwarteten Trinkgeld geübt. Amazon-Fresh-Fans argumentieren jedoch wie folgt: Abzüglich der regulären Prime-Gebühr von 99 USD verteilten sich die zusätzlichen 200 USD auf 3,85 USD pro Wocheneinkauf. „Ich bin der Meinung, meine Zeit ist mehr wert als 3,85 USD die Stunde pro Woche“, schreibt etwa Mike im Mai 2014 als Reaktion auf den Online-Artikel „Why you shouldn’t use Amazon Fresh“ (petersid.com). Für Haushalte mit einem sehr engen Budget sei das Angebot jedoch klar zu teuer, gibt er zu. Ein weiteres Argument von Mike, das für Amazon Fresh und gegen Supermärkte sprechen soll, tatsächlich jedoch auch gegen die grundsätzliche Amazon-Marketing-Strategie: „Wenn ich im Supermarkt einkaufe, lasse ich mich durch das Marketing dazu verführen, alles mögliche zu kaufen – ganz zu schweigen von dem regelmäßigen Abstecher zur Bäckerei. Also spare ich im Grunde an Produkten, die ich gar nicht kaufen sollte.“

Ziehen alle Amazon-Fresh-Kunden diesen Schluss, wäre das eigentliche Ziel von Amazon verfehlt, glaubt man Branchen-Insidern. Denn diese spekulierten, dass der Online-Händler das Lebensmittel-Angebot nutze, um die Kundenbindung zu intensivieren und so die Verkäufe von vielen anderen Produkten anzukurbeln, so wie es Walmart und andere Händler bereits vorgemacht hätten, erklärt Michael Sansolo.

Im preisorientierten Deutschland wird die Nutzungsgebühr jedoch mit Sicherheit mindestens eine vergleichbare Hürde darstellen wie in den USA. Hier kostet bereits das reguläre Prime-Angebot mit 49 Euro weitaus weniger als in den USA.

Ob Amazon der geplante Coup gelingen wird oder nicht – Sansolos Einschätzung nach wird der Start von Amazon Fresh auch für den europäischen Lebensmittelhandel nicht ohne Folgen bleiben. „Jeder Händler beobachtet Amazon aktuell mit Argusaugen. Auch wenn das Unternehmen nur einen geringen Marktanteil im Lebensmittelhandel erreicht, wird dies einen signifikanten Einfluss auf die Branche haben. Händler bemühen sich, das Einkaufserlebnis noch attraktiver zu gestalten und suchen nach Wegen, um Amazons Einstieg in deren Märkte mit eigenen E-Commerce-Programmen zuvorzukommen.“

Eine interessante Chance böte für stationäre Händler und Restaurantbetreiber zweifelsohne die Möglichkeit der Kooperation mit Amazon, wie es sie bereits in den Testgebieten an der Westküste der USA gibt – sollte das Konzept eins zu eins übertragen werden. Unter dem Angebot der „Neighbourhood Shops & Restaurants“ finden sich je nach Region Saftmanufakturen, Metzgereien, Bäckereien etc.

Checkliste

So funktioniert die Bestellung von Lebensmitteln über den Lieferdienst Amazon Fresh.

  1. Registrierung: Aktuell ist Amazon Fresh in den USA nur in ausgewählten Gebieten an der Westküste – in Seattle, Los Angeles und San Francisco – verfügbar. Voraussetzung für die Registrierung für den Lebensmittel-Lieferdienst ist der Abschluss einer Premium-Mitgliedschaft (Amazon Prime Fresh).
  2. Order: Die Bestellung ist über die Website fresh.amazon.com, über die Mobile-Apps und in einer Beta-Version für ausgewählte Tester mit Hilfe des sogenannten „Dash“, einer Art digitalem „Einkaufs-Zauberstab“, möglich. Dahinter verbirgt sich ein kleiner elektronischer Barcode-Scanner sowie ein Mikrofon, in das Bestellungen gesprochen werden können.
  3. Angebot: Kunden haben die Wahl aus einem Sortiment von rund 500.000 Artikeln des täglichen Bedarfs. Das Lebensmittel-Angebot ist in den drei Test-Gebieten unterschiedlich. Bestellt werden können auch Produkte und Gerichte lokaler Feinkost- und Spezialitätenhändler sowie Restaurants, Bäckereien etc.
  4. Liefer-Optionen: Bei Bestellungen bis 10 Uhr früh wird die taggleiche Lieferung – bis zum Abendessen – garantiert, bei Bestellungen bis 22 Uhr die Lieferung am folgenden Morgen. Gewählt werden kann zwischen „doorstep delivery“ – dem Abstellen der Waren vor der Haus- oder Wohnungstür mit einem Lieferfenster von 3 Stunden – und „attended delivery“ – Voraussetzung für die Bestellung von Alkohol. Dabei wird ein 1-Stunden-Zeitfenster gewählt, die Einkäufe werden direkt in die Küche gebracht und Verpackungen sofort mitgenommen.
  5. Reklamation: Ungeöffnete Produkte können innerhalb von 30 Tagen zurückgegeben werden.
  6. Kosten: Bestellungen über 35 USD werden gratis geliefert. Die Premium-Fresh-Mitgliedschaft kostet 299 USD jährlich, sie enthält alle Leistungen des regulären Prime-Angebots: Gratis-Versand von Millionen Amazon-Artikeln innerhalb von zwei Tagen, unlimitiertes Streaming von Filmen und TV-Serien, Zugang zur E-Book-Bibliothek etc.