Ladendiebstahl 85.000 Diebstähle pro Tag bleiben unentdeckt

Fast 4 Mrd. Euro an Warenverlusten verzeichnen die deutschen Händler pro Jahr. Mit geschultem Personal und ausgefeilter Sicherheitstechnik wappnen sie sich gegen Langfinger.

Montag, 18. August 2014 - Management
Sonja Plachetta
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Bildquelle: Shutterstock/EHI Retail Institute

Neulich im Supermarkt: Ein Mann füllt seinen Einkaufswagen mit hochwertigen Alkoholika, schiebt ihn hinter ein Regal und verlässt den Laden. Wenig später kommen zwei andere Männer herein. Einer fragt die Mitarbeiterin in der O&G-Abteilung um Rat und lenkt sie ab, während der zweite den zuvor zurückgelassenen Wagen durch den barrierefreien Eingang zum Parkplatz schiebt. Vom Personal unbemerkt, hat das Trio gerade Spirituosen im Wert von mehreren hundert Euro gestohlen.

Nur ein Beispiel von vielen. Ladendiebstähle verursachen im deutschen Einzelhandel an jedem Verkaufstag einen Schaden in Höhe von fast 7 Mio. Euro. Insgesamt verzeichneten die Händler 2013 bundesweit laut einer Studie des EHI Retail Institutes in Köln Warenverluste im Wert von 3,9 Mrd. Euro inklusive Mehrwertsteuer. Das EHI schätzt, dass mehr als die Hälfte der Verluste – rund 2,1 Mrd. Euro – auf Kundendiebstähle zurückzuführen sind. Den eigenen Mitarbeitern werden fast 900 Mio. Euro, Lieferanten sowie Servicekräften gut 300 Mio. Euro angelastet. Etwa 600 Mio. Euro werden organisatorischen Mängeln wie Erfassungs- oder Buchungsfehlern zugeschrieben. „Auf den Lebensmittelhandel projiziert bedeutet dies, dass rund jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt die Kasse passiert“, sagt Frank Horst, Leiter des Forschungsbereichs Inventurdifferenzen und Sicherheit beim EHI.

Anders gesagt: Rein statistisch hat jeder Bundesbürger 2013 Waren im Wert von 26 Euro eingesteckt, ohne zu bezahlen, und jeder Handelsmitarbeiter – bei 900. Mio. Euro Verlust und etwa 2,5 Mio. Jobs in der Branche – Waren für 360 Euro. Tatsächlich ist nur ein geringer Anteil des Personals unehrlich. Doch diejenigen Mitarbeiter, die sich unerlaubt im Laden bedienten, verursachten übers Jahr gesehen oft einen größeren Schaden als diebische Kunden, weil sie häufiger zugriffen, sagt Rolf Geckle, Leiter der Koordinierungsstelle Ladendiebstahl bei der Polizei in Karlsruhe.

Durchschnittlich liegt die Inventurdifferenz im LEH mit 0,59 Prozent vom Nettoumsatz auf Vorjahresniveau. Supermärkte haben dabei geringere Werte (o,56 Prozent) als SB-Warenhäuser (0,63 Prozent). Drogeriemärkte haben im Schnitt eine höhere Inventurdifferenz (0,78 Prozent). Als wichtigstes Mittel, um die Inventurdifferenz zu senken, wird das Schulen des Personals angesehen, und zwar nicht nur in Bezug auf das Thema Ladendiebstahl, sondern auch was Organisationsabläufe und Inventuraufnahmen angeht. „Wenn Mitarbeiter Prozesse nicht verstehen oder Lücken ausnutzen, werden sie zu Verursachern von Verlusten“, machte Bernd Rebensburg-Heinemann aus der Revision der Rewe Markt GmbH beim EHI Inventur- und Sicherheitskongress in Köln deutlich.

Auch wenn Mitarbeiter- und Lieferantendiebstähle im LEH stärker zu Buche schlagen als in anderen Branchen: Was dem Handel besonders zu schaffen macht, ist der professionell organisierte Ladendiebstahl von Banden und Tätern, die bestimmte Waren in großen Mengen auf Bestellung klauen und auf einen Schlag enormen Schaden anrichten. Karsten Dorn von Security Management Consulting bezifferte beim EHI-Kongress den Warenverlust, den eine Bande in einem einzigen Markt verursacht, auf 2.000 bis 4.000 Euro. Im Schnitt klauten solche Banden in 10 bis 20 Läden am Tag, sodass sich der tägliche Gesamtschaden durch eine Bande auf bis zu 80.000 Euro summieren könne. Zum Vergleich: Bei Beschaffungskriminalität, wenn Abhängige schnell verkäufliche, hochpreisige Ware stehlen, rechnet Dorn mit einem Schaden von 300 bis 450 Euro pro Markt, bei Gelegenheitsdieben pro Tat mit 5 bis 10 Euro. Und welche Artikel nehmen die Diebe mit? Laut EHI-Studie sind Parfüm, Kosmetik, Rasierklingen, Spirituosen und Tabakwaren die am häufigsten geklauten Artikel im LEH. Auch Batterien, Schreibwaren, Zeitschriften, Tchibo-Artikel, Kaffee und elektrische Zahnbürsten zählen dazu.

Zwar ist die Zahl der registrierten Ladendiebstähle gegenüber 2011 im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent auf 356.152 Fälle zurückgegangen. Doch die Dunkelziffer ist hoch, liegt bei mehr als 98 Prozent. „Täglich bleiben mehr als 85.000 Ladendiebstähle mit je einem Warenwert von rund 80 Euro unentdeckt“, sagt Frank Horst. Im Jahr sind das 26 Mio. nicht erkannte Ladendiebstähle.

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