Lösungssuche Duale Systeme vor dem Kollaps

Die dualen Systeme in Deutschland stehen vor dem Zusammenbruch. Der Grund: Die Finanzierung ist derzeit nicht gesichert. Für den Handel könnte das sehr teuer werden. Nach Lösungen wird fieberhaft gesucht.

Freitag, 06. Juni 2014 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild Duale Systeme vor dem Kollaps
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Das 25 Jahre alte privatwirtschaftlich organisierte duale System zur Sammlung und anschließenden Verwertung von Verpackungsabfällen steht vor dem Absturz. Die Schieflage des Systems ist so bedenklich, dass dies auch beim Handelsverband Deutschland (HDE) so drastisch und deutlich formuliert wird. Das Problem: Weit mehr als 2 Mio. t Verpackungsmüll werden jährlich über die Gelbe Tonne gesammelt und verwertet. 2013 finanzierte weniger als die Hälfte des gesammelten Verpackungsmülls über Lizenzen die Kosten des Systems.

Marion Sollbach vom Umweltausschuss des HDE rechnet mit gut einer halben Mio. t Verkaufsverpackungen, die zwar ins System gelangen – und profitieren – aber nichts zur Finanzierung beitragen. Dazu kommen 100.000 t, die als Eigenrücknahmen nachträglich erstattet sowie 0,25 Mio. t, die aus Branchenlösungen entsorgt werden.

Bundesweit organisieren zehn duale Systeme das Sammeln von Verpackungsmüll aus Kunststoff und Metall mittels Gelber Säcke und Gelber Tonnen und bieten auch Branchenlösungen sowie Eigenrücknahme an. Das verschafft „Gestaltungs-Spielraum“: Die Unternehmen melden ihre Mengen pro Quartal an die gemeinsame Clearingstelle, welche die Marktanteile der dualen Systeme berechnet. Danach werden Kosten des Systems untereinander aufgeteilt. Niedrige Marktanteile kommen billiger: Die Menge lizenzierter Verpackungen ist im Verlauf der letzten Meldungen an die Clearingstelle stetig zurückgegangen. Dramatisch: Im ersten Halbjahr 2014 wurde nur noch ein Drittel der tatsächlich über die Gelbe Tonne gesammelten Verpackungsmengen von den dualen Systemen gemeldet. Dabei bleibt unklar, ob Industrie und Handel weniger lizenziert oder die dualen Systeme größere Mengen als Eigenrücknahme und Branchenlösungen definiert haben. Fakt: Immer weniger Verpackungen finanzieren den Verpackungsabfall, der gesammelt und entsorgt wird. Damit führt sich das System ad absurdum. Die Novelle der Verpackungsverordnung streicht Eigenrücknahmen und schränkt Branchenlösungen ein. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks will, dass „ab Januar 2015 nur noch Verpackung in Umlauf ist, die bei einem dualen System registriert wurde“. Problem gelöst? Nein, sagt Marion Sollbach, „zu viele Fragen sind offen.“

Vor allem ist die Reform ab Januar 2015 zu spät. Denn für Entsorgung fehlt schlicht jetzt Geld. Die Lücke zwischen lizenzierten Verpackungen und anfallender Verpackungsmenge sorgt für eine Finanzierungslücke, die für das zweite Halbjahr 2014 auf mehr als 50 Mio. Euro geschätzt wird.

Aber es gibt Versuche, diese Lücke zu schließen. Ein Fonds soll aufgelegt werden, der diese Gelder bereitstellt und über eine Sonderabgabe im nächsten Jahr wieder zurückzahlt. Rahmenbedingungen und Finanzierungsmodalitäten des Fonds werden diskutiert. Dabei geht es auch um einen neuen Clearingstellenvertrag, der u. a. einheitliche Prüfkriterien für die Mengenmeldungen der dualen Systeme durch Wirtschaftsprüfer festlegen und damit mehr Transparenz schaffen soll. „Deadline“ ist Mitte Juni – dann wird für das 3. Quartal gemeldet.

Ohne Einigung werden vermutlich nicht alle dualen Systeme überleben. Deren Kunden könnten gezwungen sein, in kürzester Zeit einen neuen Dienstleister zu finden – und das eventuell zu jedem Preis. Schlimmstenfalls gehen alle dualen Systeme in die Knie. Dann muss laut Verpackungs-Verordnung der Handel gebrauchte Verpackungen von Verbrauchern zurücknehmen und der Verwertung zuführen. Alternativ übernehmen die Kommunen Sammlung und Verwertung – natürlich gegen Gebühren. Teuer würde das in jedem Fall. Die ökologische Komponente des dualen Systems – nämlich Verpackungsabfall wieder zu verwerten – könnte vollends ins Hintertreffen geraten, wenn Kommunen den Müll nutzen würden, um ihre meist nicht ausgelasteten Müll-Verbrennungsanlagen auszulasten. Schon lange wird deshalb über ein Wertstoffgesetz zur gemeinsamen Sammlung von Verpackungen und Produkten aus Plastik, Metall und Verbundstoffen in einer Wertstofftonne diskutiert. Dieses böte auch die Chance, einheitliche Regeln aufzustellen, die bundesweit kontrolliert werden und für mehr Transparenz sorgen könnten. Außerdem vollzieht die Wertstofftonne die Praxis vieler Verbraucher nach: Sie unterscheiden nicht zwischen Verpackungen und gebrauchtem Produkt, werfen schon heute Joghurtbecher, das alte Nudelsieb und kaputte Töpfe in die Gelbe Tonne.


„Wir brauchen klare Regeln für alle Akteure“

Marion Sollbach vom Umweltausschuss des Handelsverband Deutschland (HDE) über die Misere bei den dualen Systemen und die Risiken für den Handel.

Frau Sollbach, die Bundesregierung hat die Schwächen des dualen Systems offenbar erkannt und novelliert die Verpackungsverordnung. Ist damit alles in Butter?
Marion Sollbach: Nein, leider nicht. Die Novelle ist sicher ein Anfang, um das duale System zu stabilisieren, aber zu viele Fragen sind noch offen.

Welche?
Leider viele. Der Kern des Problems ist aus meiner Sicht mangelnde Transparenz bei allen Beteiligten gepaart mit einem geringen Risiko, bei Verstößen erwischt zu werden. Die Novelle bietet beispielsweise keine Lösung dafür, wie man die Trittbrettfahrer ins System bekommt. Es gibt Verpflichtete, die ihre Verkaufsverpackungen gar nicht oder nicht vollständig lizensieren. Auch die Regeln für die Mengenmeldungen der dualen Systeme an die Clearingstelle klärt die Novelle nicht. Hier müssen sich die Verpflichteten aus Industrie und Handel und die dualen Systeme untereinander auf mehr Transparenz einigen.

Werden denn die Mengenmeldungen der Unternehmen kontrolliert?
Eine Überprüfung durch die zuständigen Behörden gibt es derzeit kaum. Zuständig sind zudem die Landesbehörden, die aber nur im jeweiligen Bundesland prüfen dürfen. Wir brauchen aber eine bundeseinheitliche Kontrolle. Die Kontrolle erfolgt derzeit vor allem durch Prüfer und Sachverständige, die vor allem die Vollständigkeitserklärungen von knapp 3.500 Unternehmen aus Industrie und Handel jährlich prüfen. Nicht jeder, der zur Prüfung berechtigt ist, verfügt auch über die notwendige Qualifikation und Erfahrung.

Sind Branchenlösungen oder Eigenrücknahme die falschen Wege, weil sie zur Unter-Lizenzierung führen?
Es gibt de facto Verkaufsverpackungen, die nicht über die Gelbe Tonne entsorgt werden, sondern über eigene Behälter beispielsweise an Kantinen oder bei Gewerbebetrieben. Auch lässt der Kunde Verpackungen im Handel zurück oder schickt sie im Online-Handel zurück. Über die tatsächlichen Mengen gibt es aber zu wenig genaue Zahlen. Die Eigenrücknahme wird mit der Novelle abgeschafft, und für die Branchenlösungen gibt es erweiterte Nachweispflichten. Gerade letzteres ist unserer Meinung nach der richtige Weg, auch wenn wir uns als HDE eine einheitliche Studie zur Festlegung der Branchenmengen gewünscht hätten.

Derzeit ist das duale System unterfinanziert. Was muss geschehen?
Zunächst müssen sich die Unternehmen des Dualen Systems auf Lösungsansätze einigen. Positiv ist, dass die Kooperationsbereitschaft untereinander größer geworden ist. Ich glaube, der Leidensdruck ist jetzt deutlich stärker als noch zu Anfang des Jahres.

Und wenn es nicht klappt….
.. dann greifen andere Mechanismen. Wenn es gar kein duales System mehr geben sollte, würde der Handel zur Rücknahme der Verpackungen verpflichtet. Das würde Aufwand und Kapitaleinsatz bedeuten. Letztlich würde wohl eine kommunale Rücknahme und Entsorgung greifen, die über Gebühren finanziert wird. Die Kommunen finden das übrigens ganz spannend. Sie könnten damit nicht nur zusätzliche Müllgebühren einnehmen, sondern auch die vorhandenen Kapazitäten der Müll-Verbrennungsanlagen besser auslasten Das würde weniger Recycling bedeuten. Ein bedauerlicher Rückschritt hinter einst gesetzte ökologische Ziele.

Was wäre eine vernünftige Lösung?
Industrie und Handel haben sehr viel Geld – und Engagement – für den Aufbau des Systems investiert. Es ist Benchmark in Europa, das zudem noch hohe ökologische Ziele erreicht. Eine Erhaltung des dualen Systems lohnt allemal. Dazu muss das System zuerst finanziell stabilisiert werden. Dann brauchen wir klare Regeln für alle Akteure, die für maximale Transparenz sorgen. Hierfür könnte ein Wertstoffgesetz sorgen, mit Registrierungspflicht für Handel und Industrie und Anmeldung der Mengen an Verkaufsverpackungen, die in Verkehr kommen. Ein Gesetz hat gegenüber der Verordnung den Vorteil, dass die Regeln bundeseinheitlich umgesetzt und von einer zentralen Stelle geprüft werden könnten. Der HDE hat bereits vor zwei Jahren zusammen mit BVE und Markenverband eine Gesellschaft gegründet, die eine solche Zentrale Stelle aufbauen soll, sobald ein Entwurf für ein Wertstoffgesetz vorliegt. Das Bundesumweltministerium hat einen Entwurf für Herbst 2014 angek