Warenverkaufskunde Fermentieren

Säuern, gären, räuchern, reifen: Seit Jahrhunderten sind Techniken des Haltbarmachens in allen Kulturen verankert. Mit dem Trend zum Selbermachen erobern sie ihren Platz in der heimischen Küche zurück.

Freitag, 11. März 2016 - Warenkunden
Nicole Ritter
Artikelbild Fermentieren
Gib mir Saures

Traditionen erleben eine Renaissance. Zu Hause Selbst‧gemachtes hat Konjunktur. Was passiert beim Fermentieren, worauf ist zu achten, was geht zu Hause, und was lässt man besser sein?

Es ist eine uralte Technik , vermutlich so alt wie die Menschheit, die ihre frisch erlegten oder gesammelten Lebensmittel aufbewahren wollte, sollte sie nicht nur von der Hand in den Mund leben. Über die Jahrtausende wurden die Methoden des Haltbarmachens von Generation zu Generation überliefert, bis sie in den Zeiten der standardisierten Lebensmittelproduktion in den Küchen fast verloren gegangen schienen. Heute erleben das Einsalzen, Säuern, Räuchern oder gar in der Erde Vergraben eine Renaissance. Nicht nur Gastronomen entdecken die alten Methoden neu für sich, auch im privaten Haushalt passen die Erfahrungen mit dem Säuern, Salzen und Gären in den Selbermachen-Trend.

Varianten:
Sprossen, Nüsse, Getränke
  • Der Keimprozess von Körnern neutralisiert Enzyminhibitoren und aktiviert verdauungsfördernde Enzyme.
  • Auch Nüsse sind leichter verdaulich, wenn sie zuvor eingeweicht wurden.
  • Neben Salz und Starterkulturen spielt die Qualität des Wassers eine große Rolle; am besten ist Quell- oder Brunnenwasser.
  • Zucker ist v. a. bei Gärge - tränken eine wichtige Zutat.

Weit verbreitet
Techniken des Haltbar- oder überhaupt erst Genießbarmachens durch mikrobiologische Prozesse sind weiter verbreitet, als man sich im Zeiten industrieller Lebensmittelproduktion bewusst ist. Kaffee oder Kakao, Bier, Joghurt oder Käse entstehen, weil Mikroorganismen ein gutes Werk tun. Gezielt setzt die Fermentation Hefen, Bakterien und Pilze ein, um die gewünschten Effekte zu erreichen.

Voraussetzungen für den Fermentationsprozess sind Kohlenhydrate, Zucker oder Stärke. Die durch Laken mit Salz oder Zucker, Hefen oder Pilze angestoßenen biochemischen Prozesse sorgen dafür, dass Lebensmittel sich in ihrer Textur, ihrem Geschmack und der Nährstoffzusammensetzung verändern. Häufig werden sie durch das Fermentieren bekömmlicher und für den Körper leichter verwertbar.

Grundsätzlich wird zwischen milchsaurer, essigsaurer und alkoholischer Fermentation unterschieden. Das Einlegen von Obst und Gemüse, Kräutern und Nüssen gilt als ernährungsphysiologisch wertvoll. Auch das Selbermachen von Joghurt, Käse oder gesäuerten Milchalternativen sowie das Herstellen von Getränken wie Bier, Kombucha oder vergorenen Säften gilt als unproblematisch. Der Geruchssinn bewahrt vor dem Genuss misslungener Produkte.

Problematischer ist das Selbermachen von fermentiertem Fleisch oder Fisch. Hier können pathogene Bakterien entstehen, die nicht zu riechen oder zu schmecken sind. Also ist besondere Vorsicht geboten: Fermentationsexpertin Mary Karlin empfiehlt, unbedingt strenge Hygiene einzuhalten und den pH-Wert der Produkte zu messen, damit nichts schiefgeht.

Vielfalt auf dem Teller

Jenseits von Sauerkraut ist die Technik des Fermentierens weit verbreitet. Anschaulich beschreibt Mary Karlin in „Das große Buch vom Fermentieren“ mögliche und notwendige Zutaten, Gerätschaften und Methoden. Von Kimchi bis Kombucha ist die komplette Bandbreite des Säuerns, Keimen, Trocknens und Gärens vertreten. Rezepte mit fermentieren Lebensmitteln schließen das Buch ab.


Aufbruch in der Küche

Heiko Antoniewicz ist einer der Vorreiter der modernen deutschen Küche. Intensiv hat er sich mit dem Thema Fermentation befasst und die Techniken verfeinert.

Herr Antoniewicz, was verbinden Sie mit Sauerkraut?
Wenn man über Fermentation spricht, ist Sauerkraut eines der typischen Gerichte, die wir dann im Kopf haben. Es gibt eine Vielzahl von Produkten, die durch Fermentation entstehen. Das Entscheidende ist: Sie brauchen Zeit, um zu reifen.

Ist beim Fermentieren im Bewusstsein, dass der Prozess da beginnt, wo das Leben endet?
Ja, da beginnt der Reifeprozess. Wenn man das ins 21. Jahrhundert übersetzt, heißt das: Wenn man eine Flasche frischen Saft aufmacht und die in den Kühlschrank stellt, dann stellt sich auch so etwas wie Fermentation ein. Wir verarbeiten rohe Grundstoffe und legen sie in Essig oder Salzlake ein oder zuckern oder es wird durch ein Trocknungsverfahren fermentiert – das geschieht auch bei Tee, Kaffee oder Vanille.

Das Verfahren wirkt einfach, aber ist es das auch?
Nein, man kann nicht einfach Gemüse in einen Steintopf packen und denken, das funktioniert dann schon. Man muss die Gefäße pflegen und man muss wissen, wie man die Lebensmittel behandelt: Wie lange muss etwas in der Wärme stehen, bei welchen Temperaturen, welcher Luftfeuchtigkeit? Es entsteht eine Verbindung zu den Lebensmitteln, die man über einen langen Zeitraum betreut; vier, sechs, acht Wochen, manchmal länger. Auch ein Kellermeister steht nachts auf, weil er weiß, er muss die Hefe vom Wein nehmen. Das ist natürlich auch ein sehr emotionaler Augenblick. Man merkt, dass etwas reif ist. Am wenigsten kann man falsch machen, wenn man beim Fermentieren mit traditionellem Obst und Gemüse anfängt und sich nach und nach an neue Produkte traut. Wenn Obst oder Gemüse umkippt, riecht man dies. Botulismus bei Fleisch oder Fisch hingegen kann man nicht riechen. Deshalb sollte man diese Produkte erste fermentieren, wenn man mehr Erfahrung gesammelt hat oder eine Fa chmann hinzuziehen.

Tipps:
wozu der Fachmann Rät
  • Hygiene: Es ist nicht notwendig, steril zu arbeiten; sauberes und vorsichtiges Arbeiten unter Berücksichtigung der Hygienerichtlinien ist aber unverzichtbar.
  • Temperatur: Bei Reife und Lagerung spielt die Temperaturkontrolle eine wichtige Rolle.
  • Geduld: Den richtigen Reifegrad eines Lebensmittels herauszufinden, ist eine Frage von Zeit, Experimentierfreude und Geduld.
  • Haltbarmachen: Ist der Reifeprozess abgeschlossen, kann man fermentierte Produkte auch pasteurisieren und den Prozess somit stoppen.

Wie stark muss man die alten Techniken standardisieren, um zu guten Ergebnissen zu kommen?
Man kann zum Beispiel den pH-Wert messen und regeln. Es reicht schon, die Prozesse nur teilweise zu standardisieren. Denn auch bei einer traditionellen Fermentation bekommt man ein Gefühl dafür, wann das Produkt reif ist. Ein großer Vorteil zu früher, der die Prozesse deutlich kontrollierbarer macht, ist das Kühlhaus. Und mit den heutigen Möglichkeiten können wir Fermentiertes im Anschluss sogar pasteurisieren. Hygiene ist beim Fermentieren ein wichtiger Aspekt. Eine ganze Charge kann schnell verderben, wenn man das Lebensmittel mit bloßen Händen anfasst.

Ist das Verfahren auch eine Bewegung gegen das Perfekte, die Geschwindigkeit der heutigen Zeit?
Fermentation sehen wir nicht als eine Bewegung gegen Perfektion. Perfektion hat ihre Berechtigung in der Küche. Auch beim Fermentieren muss man auf den richtigen Reifegrad achten, also auf den Punkt fermentieren. Wir sehen es also eher als Bereicherung des bestehenden Wissens. Wir haben gelernt, sehr steril und homogen zu essen. Daran haben sich auch unsere Körper gewöhnt. Wir freuen uns über Champagner, aber im Essen wollen wir das Prickeln nicht haben. Dabei sind Milchsäurebakterien aus dem Fermentationsprozess von zum Beispiel Sauerkraut gut für den Körper und besonders für die Darmflora. In unseren Workshops möchten wir die Vorbehalte gegenüber fermentierten Lebensmitteln entkräften und den Spaß an neuen alten Geschmackserlebnissen und Wissen um die Möglichkeiten für die Küche weitergeben.

Moderne Kochkunst mit alten Methoden

Gemeinsam mit seinem guten Freund und ebenfalls begeisterten Koch Adrien Hurnungee revitalisierte Heiko Antoniewicz, Vordenker der modernen deutschen Küche, alte Techniken für seine Arbeit. Nun liegt die Dokumentation der Entwicklungen mehrerer Jahre in Buchform vor. Der Schweizer Molekularbiologe Michael Podvinec begleitete und erläuterte die bio-chemischen Prozesse, Fotograf und Gestalter Thomas Ruhl inszenierte Zutaten und Gerichte. Die Autoren erläutern Handwerk und Wirkungsweise der Fermentation mit Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien. Wo sich das Experiment lohnt und wo Vorsicht geboten ist, stellen sie ebenso dar wie die Möglichkeiten, auch aus spontan fermentieren Produkten sichere Lebensmittel zu machen, denen ein HACCP-Regelwerk nichts anhaben kann.


Hefen und Bakterien

Milchsaure, essigsaure oder alkoholische Gärung geschieht, wenn Mikroorganismen eine entsprechende Umgebung vorfinden. Diesen Prozess nutzt das Fermentieren.

Je nach Rohstoff und gewünschtem Endprodukt werden verschiedene Mikroorganismen bei der Fermentation eingesetzt – indem man sie zusetzt (Impfen) oder dem natürlichen Prozess seinen Lauf lässt (wildes Fermentieren).

Geimpft wird mit Hefen, wenn eine alkoholische Gärung erreicht werden soll; mit Salz aktivierte Milchsäurebakterien sorgen für milchsaure Gärung. Die essigsaure, milchfreie Gärung z. B. von Kombucha geschieht durch symbiotische Bakterien-Hefe-Kolonien.

Beim spontanen oder wilden Fermentieren geht es darum, die richtigen Umgebungsbedingungen für den Prozess zu schaffen – also Salzkonzentration, Sauerstoff, pH-Wert und dergleichen. Die nötigen Mikroorganismen kommen aus der Luft und können ihr Werk ungehemmt verrichten. Diese Art der spontanen Gärung ist die einfachste, aber auch am schwersten zu kontrollieren. Eingesetzt wird sie meist nur bei kleinen Mengen. So kann beispielsweise ein wilder Sauerteig schlicht dadurch entstehen, dass man frisches Roggenmehl mit Wasser bei Raumtemperatur offen stehen lässt. Nach zwei bis drei Tagen ist ein Sauerteig-Ansatz entstanden. Selten nutzt auch die industrielle Produktion diesen Prozess – das klassische belgische Lambic-Bier etwa entsteht durch das Impfen mit Hefen aus der Luft.

Eine Frage der Geduld
Fermentation ist nichts für Eilige. Je nach Lebensmittel und Prozess kann es von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten dauern, bis der gewünschte Reifegrad erreicht ist.

Ein Hefeteig gärt nur wenige Stunden, Bier ein bis zwei Wochen. Gemüse sollten einige Wochen ziehen, und mancher Käse reift mehrere Monate: Das Fermentieren von Lebensmitteln geschieht nicht über Nacht. Verschiedenste Mikroorganismen kommen zum Einsatz und entfalten in der entsprechenden Umgebung ihre Wirkung. Fermentierte Gemüse, handwerklich hergestellte Sauerteige für Brot oder vergorene Getränke erfreuen sich neuer Beliebtheit, und viele gesäuerte oder eingelegte Lebensmittel gelten als besser verdaulich. Ging es früher vor allem um das Haltbarmachen verderblicher Rohwaren, stehen heute kulinarische und gesundheitliche Aspekte im Vordergrund, wenn die alten Bügelgläser aus dem Keller der Oma geholt werden.

Gemüse
Sauer oder salzig eingelegte Gurken, Kohl oder eingelegte Oliven: Fermentiertes Obst oder Gemüse sind die Klassiker der Küche, die auf das Haltbarmachen mit traditionellen Methoden setzt. Eine Besonderheit ist das Fermentieren mit Reiskleie, ein traditionelles japanisches Verfahren. Auch Essige entstehen durch Fermentation. Allseits beliebt: Kimchi, der Klassiker aus Korea mit Ingwer- und Chili-Schärfe. Der eingelegte Kohl lässt sich aber auch gut mit anderen Geschmacksnuancen zubereiten, etwa mediterran, italienisch oder afrikanisch.

Milchprodukte
Käse, Joghurt, Kefir, Quark: Auch diese Lebensmittel sind Ergebnis eines Fermentationsprozesses. Hier wandeln Milchsäurebakterien, mesophile und thermophile Mikroorganismen und andere Starterkulturen Rohmilch oder pasteurisierte Milch um. Proteolytische, das heißt eiweißabbauende Prozesse sorgen für die Reifung von Käse, ebenso Schimmelpilze, die für die Oberflächenreifung verantwortlich sind. Durch Gerinnungsmittel wie etwa Lab, Zitrone oder Essig wird beim Käse die Aufspaltung der Milch angestoßen, sodass das Casein ausflockt.

Getreide und Brot
Sauerteig entsteht aus einem Gemisch von Mehl und Wasser. Für die Gärung sorgen Hefen aus der Luft oder gezielte Starterkulturen. Auch mit Hefen statt Sauerteig angesetzte Brote enthalten fermentierte Zutaten wie Joghurt, Buttermilch oder fermentierte Getreide. Je nachdem, welche Mehlsorten auf welche Starterbakterien treffen, entstehen unterschiedliche Aromen, sodass der Geschmack des Brotes von mild bis kräftig gezielt beeinflusst wird. Hefefreie Brote sorgen mit Backferment auf Basis von Honig und Salz für Gärung.

Wurst und Fleisch
Das Räuchern, Einsalzen ode Trocknen an der Luft von Fleisch und Wurst nutzt ebenfalls Mikroorganismen für den Reifeprozess, der für Aroma und bessere Haltbarkeit sorgt. In traditionellen Räuchereien oder Reifekammern tun seit Generationen bestimmte nützliche Bakterien ihr Werk und schützen das Reifegut. Besonders beim Verarbeiten von rohem Fleisch etwa für Würste ist sauberes Arbeiten oberstes Gebot. Anders als beim Fermentieren von Gemüse, können sich Keime bilden, die zwar geschmacksneutral, dafür aber umso giftiger sind.

Wissenchecken

Wer aufmerksam gelesen hat, kann die folgenden Fragen beantworten.

{tab=Fragen}

  1. Wie entsteht Sauerkraut?
  2. Ab welcher Temperatur werden Bakterien abgetötet?
  3. Was bedeutet wildes oder spontanes Fermentieren?

{tab=ANtworten}

  1. Sauerkraut entsteht durch den Einsatz von Milchsäurebakterien.
  2. Ab 42 °C werden Bakterien abgetötet, die für den Fermentationsprozess notwendig sind.
  3. Beim wilden Fermentieren werden keine Starterkulturen zugesetzt, sondern die nötigen Umgebungsbedingungen geschaffen, die zu einer Spontangärung durch Mikroorganismen in der Luft führen.

Die Warenverkaufskunde erscheint regelmäßig als Sonderteil im Magazin Lebensmittel Praxis. Wir danken Heiko Antoniewicz für das zur Verfügung gestellte Material und den fachlichen Rat.

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Bild öffnen Kimchi & Co.: Auch die asiatische Küche ist für das Fermentieren bekannt.