Warensicherung Dem Klau den Kampf ansagen

Diebstähle und Raubüberfälle im Handel nehmen zu. Welche Präventionsmaßnahmen sind notwendig, um Kunden, Mitarbeiter sowie Waren zu schützen?

Montag, 03. Dezember 2012 - Sortimente
Brigitte Oltmanns
Artikelbild Dem Klau den Kampf ansagen
Bildquelle: Hoppen

Vom kleinen „Bubi“ über den frisch entlassenen Ex-Knacki bis zur hochbetagten Seniorin – von der Bratpfanne unter dem Pulli bis zum Einkaufstrolley, der unter der Last geklauter Kaffeepakete fast zusammenbricht: Die Bandbreite der Ladendiebe beim Kölner Edeka-Kaufmann Gerald Gans war so groß wie ihr Einfallsreichtum. Die diebstahlbedingten Inventurdifferenzen nach dem ersten Jahr im neuen Standort an der Ostheimer Straße erreichten solche Ausmaße, dass Gans mit dem Gedanken spielte, den Laden wieder zu schließen. Doch statt zu kapitulieren, entschied er sich für gezielte Maßnahmen zum Schutz vor Ladendiebstahl. 17 Kameras überwachen jetzt jeden Winkel, an den Kassen finden Taschenkontrollen statt, und gegen die massenweise Mitnahme von Einkaufswagen helfen „elektronische Fußfesseln“: Sobald der Wagen aus dem Laden rollt, blockieren über ein Signal die Räder.

Laut EHI verliert der Einzelhandel jährlich 2 Mrd. Euro durch Kundendiebstähle.

Für viele Einzelhändler bleibt der Klau in ihren Märkten ein Katz-und-Maus-Spiel. Knapp 2 Mrd. Euro verliert der Einzelhandel laut EHI jährlich durch Kundendiebstähle. Im Verkaufsraum und an der Kasse entstehen 70 Prozent aller Verluste. Im LEH werden nach wie vor bevorzugt kleine, teure Artikel wie Rasierklingen, Spirituosen, Parfüm, Kosmetik und Tabakwaren geklaut.

In den großen Handelskonzernen wie Edeka und Rewe ist die Investitionsbereitschaft zur elektronischen Warensicherung laut Warensicherungsexperte Checkpoint hoch. Besonders bei den so genannten Klaurennern machen sich Investitionen in der Regel auch schnell bezahlt. Die unternehmenseigenen Filialen profitieren dabei von der vorhandenen Unternehmensgröße und -struktur – das Thema wird zentral behandelt und für die jeweiligen Standorte realisiert. Viele selbstständige Kaufleute scheuen jedoch die scheinbar hohen Ausgaben – und leben mit teilweise Existenz bedrohenden Inventurverlusten. Dabei, so Klaus Schmid, Checkpoint-Vice President SMS Central Europe, würden sich bereits mit einfachen Maßnahmen die Inventurdifferenzen um bis zu 50 Prozent reduzieren lassen (Zeitraum der Amortisierung meist binnen 12 Monaten).

Händlern, für die sich ein ganzheitliches EAS-System nicht lohnt, bietet das Unternehmen beispielsweise sehr einfache Antennen an, die per Plug-n-Play in Betrieb genommen werden und kompatibel zu 3-Alarm-Sicherungen sind. „Damit bietet sich bereits für wenige hundert Euro die Möglichkeit, häufig gestohlene Artikel zu sichern.“ Bei Weinen und hochwertigen Spirituosen können wiederverwendbare transparente Sicherungselemente direkt auf dem Flaschenkopf angebracht werden, die an der Kasse mit einem Spezialschlüssel entfernt werden. Die neueste Generation löst dabei nicht nur den Alarm der EAS-Sicherungsantenne aus, sondern das Sicherungselement schlägt bei jedem Manipulationsversuch an der Flasche selbst Alarm – ein zuverlässiges Abschreckungsmittel für Diebe. Rund 90 Prozent der am Markt verwendeten Flaschentypen können so gesichert werden. Zugleich hat der Händler die Möglichkeit, diese hochwertigen Waren offen und damit verkaufsfördernd zu präsentieren.

EHI-Befragungen zufolge wächst angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft der Täter im Handel auch die Sorge, Opfer eines Raubüberfalls zu werden. Kaufmann Jörg Müller, Betreiber verschiedener R-Kauf-Supermärkte in Neuwied und Umgebung hatte diese Horrorerlebnis im September 2012 samstagabends kurz vor Ladenschluss: Die mit Sturmhauben maskierten Täter hatten es auf die Kasseneinnahmen abgesehen und schossen dabei eine Kundin nieder.

Auch in Getränkemärkten nehmen inzwischen die Überfälle zu, weil die Täter von besser geschützten Einzelhandelsobjekten zu solchen mit fehlenden Präventionsmaßnahmen – wie oft bei Getränkemärkten der Fall – „abwandern“. Videoüberwachung ist hier eine von Sicherheitsexperten, Einzelhandelsverband und Kriminalpolizei häufig empfohlene Maßnahme für die Verkaufsflächen. Videoüberwachung sei „die einzige Möglichkeit, Straftäter zu identifizieren und zu überführen und so neue Straftaten zu verhindern“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Allerdings können auch Überwachungskameras nur Teil eines ganzheitlichen Sicherheitskonzepts sein, über das sich Einzelhändler zum Schutz von Kunden und Mitarbeitern Gedanken machen sollten. Als vorbildlich gilt das aus drei Säulen bestehende Präventions-Konzept der Discountkette Penny, vom Betriebsrat Nord-Lehrte entwickelt. Das Maßnahmenpaket sieht zunächst eine Einteilung der Märkte in drei Gefährdungsstufen vor; abhängig davon werden entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Die zweite Säule stellen Mitarbeiter-Schulungen anhand von realitätsnahen Schulungsfilmen dar.

Die dritte Säule betrifft die Nachsorge: Eine „Alarmkette“ regelt, was danach geschieht; sie gewährleistet beispielsweise, dass alle notwendigen Stellen inklusive Berufsgenossenschaft innerhalb von 24 Stunden informiert werden, und garantiert, dass erfahrene Psychotherapeuten sich sofort um die betroffenen Mitarbeiter kümmern. Zu den technischen Sicherungsmaßnahmen in den Penny-Märkten zählen beispielsweise Notfallknöpfe an den Kassen oder Türspione im Lager- und Bürobereich. Täter abschrecken soll außerdem ein akustischer Alarm, der über den Türen zu den Geldzählräumen installiert ist. Steht die Tür zum Tresor länger als 15 Sekunden offen, wird ein unüberhörbarer Alarm von 120 Dezibel ausgelöst, der nur durch die Türschließung deaktiviert wird. Notwendig wurde die Maßnahme, weil Mitarbeiter diese Türen häufig mit Keilen oder Bändern offen hielten. Viele Mitarbeiter seien sich trotz regelmäßiger Unterweisungen nicht der Gefahr bewusst gewesen, in der sie durch die offenen Türen geraten, befand der Betriebsrat.

Das ganzheitliche Penny-Konzept aus Prävention, Handlungshilfen, Schulung und Nachsorge wurde von der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution BGHW mit dem Präventionspreis Arbeits- und Gesundheitsschutz ausgezeichnet.

Das Risiko richtig einschätzen
Eine Gefährdungsbeurteilung hilft dem Händler, Anweisungen fu?r den Fall der Fälle zu erarbeiten.

Ziel von Raubtätern sind für gewöhnlich die Kasseneinnahmen. Eine Gefährdungsbeurteilung hilft, das Risiko eines Raubüberfalls einzuschätzen und darauf aufbauend Betriebsanweisungen zu erstellen.
  • Welchen Weg nimmt das Geld vom Bargeldeingang über den Geldtransport in der Verkaufsstelle, die Geldlagerung bis hin zum Transport zum Geldinstitut?
  • Wie leicht/schwer machen Sie es dem Täter, in die Kasse zu greifen?
  • Welche technischen Sicherheitsmaßnahmen schützen Personal und Kunden?
  • Welche Verhaltensregeln trainieren Sie mit Ihrem Personal: vorbeugend, aber auch während und nach einem Überfall?
Hilfen und Handlungsanleitungen zum Thema geben die BGHW (www.bghw.de) sowie kriminalpolizeiliche Beratungsstellen. Das DIHK (www.dihk.de) hat zudem eine Broschüre zur „Sicherheit im Einzelhandel“ herausgegeben.