Nestlé-Wagner „Wir haben noch keinen Tag aufgehört zu produzieren!“

Die LP sprach mit Geschäftsführer Thomas Ludsteck 100 Tage nach seinem Amtsantritt digital über den derzeitigen Markt sowie die Zusammenarbeit mit dem Handel.

Montag, 14. Dezember 2020 - Sortimente
Andrea Kurtz
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Bildquelle: Philippe Barbosa

Brexit, Corona, US-Wahlen: Wir leben in spannenden Zeiten – und Sie wechseln mitten in der Pandemie von Nestlé Frankreich zu Nestlé-Wagner ins Saarland. Was war der erste Eindruck?
Thomas Ludsteck: Unglaublich motivierend. Die gesamte Stimmung in Nonnweiler zeigt, mit wie viel Leidenschaft die Mitarbeiter dort am Werk sind. Davon wird man, auch in diesen Zeiten, mitgerissen.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen – im Unternehmen oder in der Logistik?
Die größte Herausforderung ist nach wie vor, die aktuelle Situation zu meistern. Oberste Priorität hat bei Nestlé immer die Sicherheit. Das ist derzeit auch die wichtigste Maßnahme: Die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Auf alle Sicherheitsmaßnahmen haben wir stark insistiert; das allein ist ja schon eine gewaltige Herausforderung. Bisher haben wir das gut gemeistert. Die zweite Herausforderung ist, für Kontinuität zu sorgen, also alle Produktions- und Lieferprozesse aufrechtzuerhalten. Wir importieren ja nicht nur Rohstoffe, teilweise auch aus anderen Ländern, sondern auch Pizzas. Auch das haben wir bisher reibungslos unter Kontrolle, wir haben noch keinen Tag aufgehört zu produzieren.

Gab es Ausfälle bei den Rohstoffen?
Nein, bisher nicht. Wir sind hier aber auch proaktiv vorgegangen und haben den Lieferanten schon im Vorfeld Hilfe angeboten.

Wie hat sich Ihr Markt denn in diesem Jahr entwickelt?
Der Markt hat sich in dieser Ausnahmesituation positiv entwickelt. Die Bevorratungswelle hat dafür gesorgt, dass die gesamte Kategorie Tiefkühlkost von den Konsumenten deutlich mehr geschätzt wird – weil die Produkte einen hohen Convenience-Grad haben, authentisch und hochwertig sind und es eine große Vielfalt gibt. Der Pizzabereich ist demzufolge in den ersten beiden Quartalen um knapp sieben Prozent gewachsen; das ist ein sehr gutes Ergebnis.

Wagen Sie denn eine erste Prognose für die Weiterentwicklung?
Grundsätzlich glaube ich, dass sich der Markt polarisieren wird. Wir haben einerseits gesehen, dass im Verlauf der Krise ein Bewusstsein für gesündere und auch für hochwertigere Lebensmittel entstanden ist. Gleichzeitig sind die Kunden aber preissensibler geworden und das wird eher noch zunehmen. Unser Angebot werden wir sicher danach ausrichten.

Welche Vorlieben des Verbrauchers sehen Sie denn derzeit?
Lebensmittel werden mehr wertgeschätzt, das möchte ich grundsätzlich anmerken. Darüber hinaus sehen wir strukturelle Entwicklungen zu veganer, vegetarischer beziehungsweise flexitarischer Ernährung. Wir haben bei Nestlé dazu die Range Garden Gourmet eingeführt, die aktuell bereits bei einem Handelspartner angeboten wird. Im Februar des kommenden Jahres launchen wir diese drei Pizza-Sorten national.

Wie haben sich die Snacks entwickelt? Und die gekühlten Teige?
Unsere Range hat sich sehr dynamisch entwickelt; der Snack Rustipani liegt von den Zahlen her ein bisschen hinter Pizza, aber dennoch hervorragend im Rennen. Mit den gekühlten Teigen konnten wir der Kategorie Chilled Food zwar neue Impulse geben, aber leider unsere Erwartungen nicht erreichen. Wir haben uns dazu entschieden, die Produkte aufzugeben und unsere Strategie für diese Kategorie für die Zukunft zu überarbeiten.

Innovationen? Ist für 2020 noch etwas in der Pipeline?
Wir haben ja gerade die Ernst Wagners Bella Napoli eingeführt, die authentischer daherkommt. Der Teig hat eine spezielle Gärung; der Boden ist besonders heiß gebacken – solche Innovationen decken den Trend zu mehr Authentizität ab und kommen bei Handel und Verbrauchern gut an. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit auch die Kategorie treiben können. Das ist zumindest unser Ziel für das Jahr 2021.

Wie gehen Sie derzeit mit dem Thema Verkostungen um?
In der Tat, schwierig. Verkostungen sind für uns superwichtig, auch in dieser so starken Kategorie der vom Kunden heiß geliebten Pizzas. Wir sprechen von 75 Prozent Penetration; das heißt drei Viertel der Deutschen kaufen regelmäßig Pizza. Es braucht aber trotzdem immer wieder neue Kaufargumente, die vom Reinbeißen, vom Probieren und Verkosten leben.

Was sind Ihre Gegenmaßnahmen – für Verkostungen, aber auch für die gesamte Werbung?
Es gibt andere Maßnahmen, die den Kunden incentivieren. Mit Couponing arbeiten wir derzeit viel oder auch mit einer Virtual-Reality-Aktion für die Big-City-Pizza. Eingesetzt wird dazu Social Media als wichtigstes Element im Marketingmix, über die Verpackungen in Kombination mit dem Smartphone aktivieren wir die Konsumenten. Auf diese Weise können wir Promotions exakt auf die Zielgruppe zuspitzen. Der Trend zum Digitalen bestand natürlich schon vor Corona, er hat sich durch die Krise nur beschleunigt.

Heißt also, die Verpackung bekommt eine immer größere Bedeutung?
Ja, und da können wir mit den großen Verpackungen für Pizza sehr zufrieden sein. Wir haben auf der großen Oberfläche viele Möglichkeiten. Das zahlt auch auf unsere nachhaltigen Aktivitäten ein: Nicht nur, dass wir ja nur mit Papier und Plastik arbeiten, wir nutzen auch schon heute zu 90 Prozent recyceltes Papier und können dieses zu 99 Prozent auch wieder recyceln. Wir können dies auf den Packungen gut kommunizieren.

Wie können Sie dem Handel am besten helfen?
Wir arbeiten Hand in Hand mit dem Handel und setzen häufig gemeinsame „test and learn“-Projekte um, also quasi eine Marktforschung für neue Produkte direkt an der Truhe, die uns gute Einblicke in die Verbrauchergewohnheiten ermöglicht. Darüber hinaus unterstützt unsere Feldmannschaft mit Platzierungsempfehlungen die Kaufleute und somit auch den Konsumenten bei seiner Auswahl. Wir hoffen sehr, dass unsere Feldmannschaft draußen weiterhin unterwegs sein und den Handel unterstützen kann, während des strikten Lockdowns war das ja nicht möglich.

Planen Sie spezielle Aktionen für einzelne Handelsunternehmen?
Natürlich. Wir wollen unsere Kunden dabei unterstützen, in der gesamten Tiefkühlabteilung mehr Impulse sowie Orientierung für den Shopper zu generieren.

Wie sorgen Sie immer wieder für Platz in der Truhe?
Leider haben die Truhen und Schränke nicht unendlich Platz, auch wenn grundsätzlich, wie wir derzeit sehen, mehr Pizza gekauft wird. Hier noch eine Zahl dazu übrigens: Jeder Deutsche hat im letzten Jahr durchschnittlich 13 statt zwölf Pizzen gekauft. Wir überprüfen regelmäßig, welche Sorten Renner sind oder gerade eher weniger beliebt. Diese geben wir als Empfehlungen an den Handel weiter mit dem Ziel, die gesamte Kategorie für ihn zu optimieren.

Truhe oder Schrank: Was ist Ihr Favorit zur Platzierung?
Wir können Beides! Ich selbst halte für Pizza die Truhe für geeigneter, aber wenn wir im Schrank hochkant platzieren, ist das Facing (zu deutsch: Draufsicht, Anmerkung der Redaktion) natürlich optimal. Die Zukunft geht in Richtung Schrank, das sehen wir an allen neu gebauten Märkten. Dafür entwickeln wir selbstverständlich genau solche Platzierungsempfehlungen wie für die Truhen, mit denen unser Außendienst dann loszieht.

Der Preis ist durch die Corona-Pandemie wieder in den Fokus geraten. Wie werden Sie darauf reagieren?
Wir sehen leider sehr häufig eine niedrige Preisgestaltung bei TK-Pizza; das entspricht nicht dem Grundgedanken von mehr Wertschätzung für qualitativ hochwertige Lebensmittel, wie wir sie produzieren. Die Kategorie hätte hier weit mehr Potenzial. Wir sind daher der Meinung, dass wir in Zukunft mehr in allen Preissegmenten unterwegs sein müssen.

Tiefkühlkost ist also zu billig?
Das haben Sie natürlich krass formuliert, aber ja, es gibt Möglichkeiten, mehr Wert zu schöpfen.

Nachhaltigkeit steht bei Nestlé insgesamt weit oben auf der Agenda. Was steht bei Ihnen derzeit an?
Als großes Unternehmen tragen wir Verantwortung, müssen vorangehen und den Trend setzen. Auch der Verbraucher fragt immer mehr nach den nachhaltigen Aktivitäten eines Unternehmens. Bei Nestlé-Wagner sind wir beispielsweise gut aufgestellt, was die Verpackungen angeht. Aber es gibt ja noch viele andere Themen, vor allem bei den Rohstoffen und der Landwirtschaft. Beispielsweise achten wir auf reduzierten Einsatz von Wasser. Beim Tomatenanbau wird sehr viel Wasser eingesetzt; hier fördern wir verstärkt eine Tröpfchenbewässerung. Auch die CO2-Neutralität spielt eine Rolle; diese wollen wir bei Nestlé bis 2050 erreicht haben. Ich persönlich wünsche mir dies schon früher, das Thema liegt mir sehr am Herzen. Natürlich kosten alle diese Maßnahmen Geld, aber wir investieren hier aus Überzeugung.

Was ist der Stand der Dinge beim Nutri-Score?
Wir haben den Vorstoß zu mehr Transparenz immer begrüßt. Das Label wird bis Ende 2021 auf all unseren Marken zu finden sein. Derzeit sind es schon gut 50 Prozent. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den Trend zu setzen, und haben als eines der ersten Unternehmen den Nutri-Score aufgedruckt. Der Verbraucher soll es mit unseren Produkten leichter haben, eine gesündere Wahl zu treffen.

Stichwort gesündere Ernährung: Wie steht es mit der weiteren Reduktion von Salz und Zucker?
Auch daran arbeiten wir weiter, wohl wissend, dass wir natürlich irgendwann an die Geschmacksgrenzen stoßen. Denn die Maxime von hoher Qualität und gutem Geschmack wollen wir nicht verlassen.

Ihr persönlicher Wunsch – an den Handel? An die Politik?
Der TK-Boom, den wir derzeit sehen, ist ein guter Boden für unsere weitere Entwicklung. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn sich die aktuellen Verhaltensänderungen der Kunden –Cocooning, mehr Kochen, gemeinsam mit der Familie essen – auch langfristig und strukturell festigen würden. Denn das führt in unseren Augen unweigerlich zu mehr Wertschöpfung in der gesamten Kategorie. Dieses Ziel sollten wir gemeinsam mit allen Playern im Markt weiterverfolgen.