Fleischalternativen Noch große Sprünge

Das Wachstum der Weltbevölkerung führt zu einem steigenden Bedarf an Lebensmitteln. Um den zu decken, werden alternative Proteinquellen eine Rolle spielen. Marcus Keitzer (2019) und Thorsten Ritscher (2020) gaben beim Fleischkongress der Lebensmittel Praxis einen Überblick. Die Thematik „In-vitro-Fleisch“ werden wir in der Ausgabe 6 beleuchten.

Dienstag, 24. März 2020 - Sortimente
Jens Hertling
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Im Jahr 2050 werden mehr als zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben: Nahezu zweieinhalb Milliarden Menschen mehr als heute, die alle essen wollen. „Wir sind uns alle bewusst, dass dies nicht über tierische Proteine passieren kann“, sagte Marcus Keitzer, Vorstandsmitglied der PHW-Gruppe, beim LP-Fleischkongress 2019. Er gab einen Überblick über diese Alternativen. Im Bereich der pflanzenbasierten Produkte ist nach Keitzers Ansicht ein Wechsel von der ersten zur zweiten Generation zu beobachten. „Die erste Generation war auf den veganen Markt zugeschnitten. Sie war geschmacklich nicht immer überzeugend, hochpreisig und von den Nährstoffen nicht immer optimal.“ Im Moment befindet sich der Markt im Übergang – das kommt durch die jungen Start-ups. In der zweiten Generation gibt es einen Quantensprung. Jetzt sind Produkte auf dem Markt, die kaum noch vom Original zu unterscheiden sind. Sie bieten neue Geschmackserlebnisse, wesentliche Eigenschaften wie Konsistenz, Aussehen und Struktur sind revolutionär. Was heißt das für die Fleischbranche? „Über diese Produkte wird die Branche die vegane Nische verlassen und sich auf die Zielgruppe ‚Flexitarier‘ fokussieren. Das ist ein Paradigmenwechsel und zeigt auch das Selbstbewusstsein, mit dem diese Unternehmen an die Thematik herangehen“, so Keitzer. Ein Unternehmen wie das US-amerikanische Start-up Beyond Meat etwa möchte in den USA in der Fleischtheke neben dem originalen Burger gelistet werden. Diese Produkte haben in den USA einen echten Markterfolg, der auch in Europa zu erwarten ist.

Thorsten Ritscher, verantwortlich bei der Rewe Group im nationalen EK/CM Frische-Bereich für Fisch/Feinkost/Convenience/vegan/vegetarisch, sieht Insekten als eine Alternative für die Ernährung der Zukunft. Sie verursachen geringere Treibhausgasemissionen und brauchen deutlich weniger Land und Wasser, als für die Viehzucht erforderlich sind. Außerdem benötigen Insekten wie Grillen nur zwei Kilogramm Futter für jedes Kilogramm, das sie an Gewicht zulegen. 2013 hat die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eine Studie zu essbaren Insekten und deren Potenzial als alternatives Nahrungsmittel durchgeführt. Insekten sind bereits Teil der traditionellen Ernährung von zwei Milliarden Menschen, 1.900 Arten werden als Nahrungsmittel genutzt. Sie schneiden nach praktisch jedem Kriterium, das man zur Bewertung heranziehen kann, sehr gut ab – sie sind eine äußerst nahrhafte Quelle von guten Fetten. Nach You-Gov-Umfrage würde allerdings eine deutliche Mehrheit der Befragten keine Insekten kaufen. 38 Prozent ließen sich noch auf Fleisch-Ersatzprodukte ein. Immerhin fast ein Drittel (31 Prozent) kann sich vorstellen, aus Insekten hergestellte Nahrungsmittel statt Fleisch zu kaufen. Übrigens deutlich mehr Männer als Frauen. „Nach der Änderung der EU-Verordnung wird es auch mehr Produkte mit einem Insektenanteil geben. In der Insektenvermarktung ist weiterhin noch Potenzial – wir werden das Thema weiterhin beobachten“, sagte Ritscher.

Vegan und vegetarisch im Trend
„Vegan ist inzwischen ein richtiger Trend und ja – fast schon ein Lifestyle“, sagte Ritscher, als er auf die alternativen Proteine im Bereich Vegan/Vegetarisch einging. Die pflanzliche Lebensweise ist längst in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Insgesamt acht Millionen Menschen in Deutschland ernähren sich vegetarisch, das sind mehr als zehn Prozent der Bevölkerung. Laut einer Befragung des Marktforschungsinstituts Skopos leben außerdem 1,3 Millionen Menschen in Deutschland vegan. Noch vor drei Jahren waren es 900.000. Dabei gaben rund 20 Prozent der Männer und 34 Prozent der Frauen im Jahr 2019 an, sich flexitarisch zu ernähren und entsprechend nur selten Fleisch zu essen. Ein Blick in die Supermarktregale bestätigt den Veggie-Trend: Gab es noch vor wenigen Jahren eine kleine Auswahl an fleischlosen Alternativen in ausgesuchten Bio-Supermärkten, sind die Kühltheken und Regale aller Supermärkte heute mit einem vielseitigen vegetarischen und veganen Angebot gefüllt. Beinahe jedes Produkt ist in einer pflanzlichen Variante erhältlich – sei es das klassische Schnitzel, der Burger-Patty oder die berühmte Currywurst.
Seit 2008 wächst der Umsatz aus vegetarischen und veganen Produkten um jährlich rund 30 Prozent. Das Marktforschungsinstitut Nielsen gibt an, dass der Lebensmitteleinzelhandel im Jahr 2015 mit Wurst und Fleischwaren einen Umsatz von rund 152,5 Millionen erwirtschaftete. Das ist eine Verdopplung im Gegensatz zum Vorjahr und der Beweis dafür, dass immer mehr vegetarische und vegane Produkte auf dem Grillrost landen.

Eine Studie des Marktforschers Mintel zeigt: In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl veganer Produkteinführungen mehr als verdreifacht. Waren 2013 noch vier Prozent aller neuen Lebensmittel in Deutschland als vegan ausgezeichnet, so waren es 2018 rund 13 Prozent. „Die Nachfrage nach Pflanzenprotein ist kein kurzfristiger Trend, sondern ein Kulturwandel. Wir sind sicher, dass die Nachfrage nicht abebben wird“, sagt Ritscher. Allerdings steige die Verfügbarkeit der Waren an seine Grenzen, so Ritscher. Es laufen derzeit viele Investitionen, um die Verfügbarkeit an sich zu verbessern. Langfristig zeige der Markt für vegane und vegetarische Produkte weiterhin ein großes Potenzial. „Aufgrund der guten Entwicklung rüsten wir auf“, sagt Ritscher. Einer Erhebung der Unternehmensberatung A. T. Kearney zufolge, könnte der Marktanteil für vegane Fleischalternativen und Laborfleisch bis 2030 knapp 30 Prozent des weltweiten Fleischmarktes erreichen. Bis zum Jahr 2040 könnte der Marktanteil sogar auf 60 Prozent klettern.

Vegan - Vegetarisch
Gestiegene Nachfrage in allen Segmenten
+70,6 %  Hack
+48,2 % Streifen/Geschnetzeltes
+48,1 %  Frikadellen Burger
+31,7 %   Schnitzel/Filets
+26,1 %   Bratwurst/Würstchen
+20,4 %  Tofu