Kaffee Wie regionale Röstereien den Markt aufmischen

Unternehmen wie Engels Kaffeerösterei, die mit wenigen Mitarbeitern vor allem die lokale Nachfrage nach hochwertigem Kaffee bedienen, ändern die Spielregeln auf dem Kaffeemarkt. Der Preis rückt aus dem Fokus. Davon profitiert auch der Handel.

Dienstag, 17. Dezember 2019 - Sortimente
Elena Kuss
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Bildquelle: Markus Engel

Seit mehreren Stunden dreht sich in der Neuwieder Rösterei „Engels“ die schwere Rösttrommel, in der die weißlich-grünen Kaffeebohnen getrocknet und erhitzt werden. Bis der in den Kirschkernen enthaltene Zucker karamellisiert und den Bohnen ihre typisch braune Färbung verleiht. Markus Engel wartet auf den sogenannten Crack, den Moment, in dem die Bohne aufbricht und auch der letzte Anteil Feuchtigkeit aus ihr entweicht. Auf einem Bildschirm prüft er die Temperatur, reguliert bei Bedarf nach. „Nur so kann ich garantieren, dass die Bohnen immer exakt gleich geröstet sind und dann auch für den Verbraucher das gleiche Geschmackserlebnis garantieren“, erklärt der Röster.

Unternehmer wie Engel, die mit wenigen Mitarbeitern vor allem die lokale Nachfrage nach hochwertigem Kaffee – sogenanntem Spezialitäten-Kaffee – bedienen, mischen derzeit den Markt auf. „Das Segment wächst“, sagt Holger Preibisch, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands in Hamburg. „Wir sehen die Zahl kleiner Röstereien bundesweit inzwischen bei etwa 650.“ Ihre Anzahl habe sich seit 2010 etwa verdoppelt. Auch in Hamburg und besonders im Rheinland ist eine eng vernetzte Szene aus Röstern, Café-Betreibern und Baristi, also den Zubereitern, entstanden. Sie setzen auf hochwertigen Anbau, auf lokale Verarbeitung, Handarbeit und auf Leidenschaft fürs Produkt. Das kommt an, und das nicht nur beim hippen Großstadtpublikum. „Die kleinen Röstereien sind für das Gesamtprodukt Kaffee ein Traum“, sagt Preibisch, „weil dem Konsumenten in einer Rösterei viel einfacher als am Supermarktregal vermittelt werden kann, was Kaffeequalität ausmacht.“

Aber stimmt das? Marco Weiße, Verkaufsleiter bei Edeka Görge in Braunschweig, sieht in den lokalen Röstereien auch einen Gewinn für den Lebensmittel-Einzelhandel: „Es lohnt sich in jedem Fall, sich auf regionale Röstereien einzustellen. Die regionalen und auch lokalen Röstereien sorgen für Vielfalt und Qualität im Kaffeeregal und bedienen die anhaltende Nachfrage nach immer regionaleren Produkten.“ Dass das Segment Kaffee stark angebotsgetrieben ist, sei kein Geheimnis. „Dadurch sinken Erträge aus diesem Bereich“, sagt Weiße. Lokale Kaffeespezialitäten im Supermarktregal können die Situation verbessern. „Hier steht der Preis nicht im Fokus und dadurch können wir hier mehr Wertschöpfung erzielen. Das gilt sowohl für den Hersteller, als auch für uns als Verkäufer.“

Doch können sich die lokalen Röster im Supermarktregal überhaupt durchsetzen? Weiße antwortet darauf: „Die kleinen Röstereien werden den geringsten Umsatz im Bereich Kaffee haben. Das gilt aber mit Sicherheit nicht für den Ertrag der Produkte. Die kleinen Röstereien bestehen durch regionale Nähe zum Endverbraucher, durch Kaffee-Spezialitäten, die nur in geringen Mengen zur Verfügung stehen, und durch ihre Persönlichkeit. Der Markt ist da und ich bin überzeugt, dass er sich weiter gegen die großen Marken behaupten kann. Nicht im Preiskampf, aber in ihrem ganz eigenen Anhängerkreis.“

Kleine Röster setzen sich durch
Auch der Neuwieder Kaffeeröster Engel setzt beim Vertrieb seiner Bohnen auf den Lebensmittel-Einzelhandel. „Zwischenzeitlich habe ich viele Märkte beliefert, gelohnt haben sich jedoch nur die großen, die auch einen ausreichenden Umschlag haben“, sagt Engel. „Wenn die Frequenz nicht da ist, wird der Kaffee alt, und das ist schlecht, auch für meinen Ruf.“ Ein Mindesthaltbarkeitsdatum von 18 Monaten, wie es sonst durchaus üblich ist, könne er nicht verantworten. „Wir schreiben maximal zehn Monate drauf“, sagt Engel. Sonst sei der Aromaverlust einfach zu groß. Diese Einstellung gefalle vielen Händlern natürlich weniger gut.

Auch der Aufwand, im Lebensmittel-Einzelhandel präsent zu sein, ist für die kleinen Röster oft groß. In den Görge-Frischemärkten übernimmt die Regalpflege zwar das Personal. Das ist aber nicht überall der Fall. Manchen Röstern sei es jedoch auch lieber, die Aufgabe selbst zu übernehmen, erzählt Weiße: „Es kommt auch mal vor, das ich ein WhatsApp-Bild von einem Röster bekomme, mit einem Vorschlag, wie wir seine Ware noch besser platzieren könnten.“ Neben der Regalpflege müssen die kleinen Unternehmen auch eine gewisse Menge Kaffee liefern können und auch Probleme zeitweise an bestimmte Bohnensorten heranzukommen, interessieren den Händler häufig wenig, erzählt Markus Engel.

Die Kleinen treiben die Grossen
Immer häufiger lohnt sich der Aufwand jedoch für beide Seiten. 15 Artikel bietet der Neuwieder Röster beispielsweise bei Edeka Klein in Bad Honnef an. Und seine Mischungen werden immer gefragter: „Wir haben letztes Jahr 8.000 Euro mit Kaffee der Neuwieder Rösterei umgesetzt, 2019 ist die Nachfrage jetzt schon um 24 Prozent gestiegen“, sagt Jörg Klein, Inhaber von Edeka Klein. Bereits vor fünf Jahren ließ er in Zusammenarbeit mit Markus Engel die Supermarktbesucher per Blindverkostung eine Mischung wählen, die er bis heute unter dem Namen „Aegidienberger Mischung“ als ganze Bohne und gemahlen vertreibt. Der lokale Bezug – Aegidienberg ist der Ortsteil, in dem der Supermarkt ansässig ist – setzt sich bis heute durch: „Das ist die stärkste Marke, die wir von der Kaffeerösterei Engels im Regal haben“, sagt Klein.

Die Hausmischungen, die Engel für die Märkte kreiert, sind exklusiv, also nur im jeweiligen Handel erhältlich und auch günstiger kalkuliert, als die Mischungen, die Engel in der Rösterei verkauft. „Die Kaufmänner interessieren sich in erster Linie für Verpackung, Preise, Mengen und Lieferung.“

Vielleicht liegt das auch daran, dass die meisten Kunden mit gutem Kaffee nach wie vor den schwarzen, kochend heißen und bitteren Wachmacher verbinden. Die kleinen Röster wollen das ändern. Für sie ist Kaffee mindestens so komplex wie Wein. Mehr als 800 Aromen steckten potenziell in jeder Kaffeebohne, sagt Markus Engel. Welche davon wir am Ende im Kaffee schmecken, hänge davon ab, wie sie angebaut, gelagert und geröstet werden. Röster sprechen von Jahrgängen, Anbaugebieten, Aufbereitungsarten, Verkostungen und Aromen. Und obwohl sie mit einem Marktanteil von lediglich fünf Prozent nur eine Nische bilden, treiben sie dabei auch die Großen vor sich her.

Spezialitäten-Kaffee von Tchibo, Jacobs, Dallmayr oder vom Discounter Aldi, mit Kirsch-, Schoko-, oder Karamellnote steht in kleinen Portionen inzwischen in jedem Supermarktregal. „Spezialitäten-Kaffees haben einen bedeutenden Anteil an unserem Sortiment und dieser ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen“, teilt etwa Tchibo mit. „Diese Spitzenkaffees sind im oberen Preissegment angesiedelt und werden für circa zehn bis 15 Euro pro Pfund angeboten.“ Jacobs wiederum bewirbt seine „Barista-Editionen“ und macht sich damit die Begrifflichkeiten der lokalen Szene zu eigen.

Qualität oder Nachhaltigkeit?
Der Kaffeeröster Engel betont jedoch: „Die eingekaufte Rohware ist meist nicht mit den Spezialitätenkaffees von kleinen Röstern zu vergleichen, die immer mehr Wert auf detaillierte Angaben zur Herkunft, Varietät, Anbauhöhe und Aufbereitung der Kaffees legen.“

Gleichzeitig geht es auch im Kaffeeregal nicht mehr nur um Qualität, sondern auch um Nachhaltigkeit – ein Thema, bei dem die kleinen Röstereien häufig Nachholbedarf haben. „Die Lieferketten bei Kaffee sind extrem komplex“, sagt Claudia Brück, geschäftsführende Vorständin des Vereins Transfair, der das bekannte Fairtrade-Siegel vergibt. „Für kleine Röstereien ist es sehr schwierig, diese komplett selbst unter Kontrolle zu halten.“ Der Kaffeeröster Engel aus Neuwied widerspricht vehement: „Meiner persönlichen Meinung nach ist diese Einschätzung komplett falsch. Gerade viele kleine Röster bemühen sich sehr um dieses Thema und kaufen zum Teil direkt oder mit Hilfe eines Rohkaffee-Importeures bei kleinen Farmern ein, um diese direkt zu unterstützen.“ Auch Jonas Lorenz vom Forum Fairer Handel warnt vor Pauschalisierungen. „Es gibt diejenigen, die viel Wert auf Nachhaltigkeit legen und große Anstrengungen unternehmen, um das abzusichern. Und es gibt eben solche, die alleine den Faktor Qualität in den Vordergrund stellen.“

Nächster Trend Microlots
Markus Engel setzt zum Beispiel auf sogenannte Microlots, um Qualität und Nachhaltigkeit zu vereinen. Das Wort bedeutet sinngemäß kleines Lot – wobei Lot das Wort für eine alte Gewichtseinheit darstellt. Microlots produzieren oft nur wenige hundert Kilogramm Kaffee pro Jahr – doch die sind von ausgezeichneter Qualität und erzielen gute Preise. Die Anbauer übernehmen dabei in der Regel auch die weitere Verarbeitung nach der Ernte. Auch an solchen Spezialitäten seien selbstständige Händler aktuell interessiert, betont Engel. Von Siegeln dagegen hält der Kaffeeröster aus Neuwied wenig. Sein Bio-Siegel hat er nach sechs Jahren abgelegt und auch von Fairtrade ist er nicht überzeugt. „Vielen geht es darum, mit einem Siegel ihr Produkt besser verkaufen zu können“, glaubt Engel. Der Röster besucht die Plantagen lieber selbst: „Nur dann kann ich wirklich sagen, ich weiß, wie der Anbau dort läuft.“

Verbraucher greifen für Kaffee tief in die Tasche

Für den Kaffee zum Frühstück oder einen Espresso zwischendurch greifen die Verbraucher in Deutschland tief in die Tasche. Allein im Lebensmittelhandel und in Drogeriemärkten gaben sie zwischen Anfang Oktober 2018 und Ende September 2019 rund 3,9 Milliarden Euro für ihren Lieblingswachmacher aus. Das entspricht fast 50 Euro pro Kopf. Das geht aus einer Analyse des Marktforschungsunternehmens Nielsen hervor. Hinzu kamen noch einmal rund 690 Millionen Euro oder 8,61 Euro pro Kopf für Tee.
Was die Zubereitungsart angeht, lieben es die Bundesbürger bequem, wie die Nielsen-Analyse zeigt.
Kaffee kaufen die Bundesbürger am liebsten bereits fertig gemahlen.
Auf den Klassiker entfiel rund die Hälfte der im Handel umgesetzten Kaffeemenge. Ein weiteres Viertel wurde als ganze Bohnen verkauft.
Löslicher Kaffee belegte mit einem Marktanteil von rund 11 Prozent den dritten Rang. Den Rest des Marktes teilten sich Pads und Kapseln. Beim Tee liegt der Teebeutel mit einem Marktanteil von 82 Prozent klar auf Platz eins. Auf losen Tee entfallen gerade einmal 16 Prozent des Konsums.