KölnMesse Die Anuga lässt keinen kalt

 100 Jahre Anuga! Seit 1919 gibt es sie, die heute wohl größte Schau der Ernährungsbranche weltweit. LP-Chefredakteur Reiner Mihr sprach mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Kölner Messe Gerald Böse.

Mittwoch, 02. Oktober 2019 - Sortimente
Reiner Mihr
Artikelbild Die Anuga lässt keinen kalt
Bildquelle: Koelnmesse GmbH

200 Unternehmen waren es, die 1919 in Stuttgart bei der ersten Anuga dabei waren. Sie war zunächst Wanderausstellung, fand in München, Magdeburg, Berlin oder Koblenz statt. Ab 1929 gab es eine Unterbrechung, erst 1951 gab es wieder eine Anuga. In Köln. Mit 1.200 Ausstellern aus 34 Ländern auf 52 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Erst seit 1975 ist sie eine reine Fachmesse.

Heute kommt an der Anuga kaum einer aus der Branche vorbei. Sie ist zur weltgrößten Fachmesse der Ernährungsbranche geworden. Sie ist gegliedert in zehn Fachmessen, hat mehr als 7.000 Aussteller aus mehr als 100 Ländern der Erde und erwartet an die 170.000 Besucher.

Guten Tag Herr Böse, schon wieder Anuga ….. und auch noch Jubiläum…
Gerald Böse: Was heißt schon wieder? Endlich. Die Anuga ist ein Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte. Jubiläen sind wichtig. Da hält man mal inne, denkt über „wie hat sich was entwickelt?“, „was bedeutet dies oder jenes für die Zukunft?“ nach. Und was ist das überhaupt für eine Marke? Anuga, das kann jeder auf der Welt aussprechen. Wissen Sie denn überhaupt, was das heißt?

Ääh, ich glaube „Allgemeine Nahrungs- und Genussmittel-Ausstellung“. Richtig?
Genau. Das ist eine weltweit echte Marke und spielt in der Liga der Internationalen Automobil-Ausstellung oder der Drupa.

Jetzt haben Sie in Köln ja selber zahlreiche Messen, gerade die Gamescom, „Spoga+gafa“, „Imm cologne“ oder Art Cologne und dann die Anuga. Welche ist die wichtigste?
Das ist wie in der Familie. Sie können doch kein Kind lieber haben als das andere. Wir haben mehr als 30 Messen, alle brauchen ungeteilte Aufmerksamkeit. Aber die Anuga ist schon besonders, 100 Jahre alt, seit 1951 in Köln. Und die Koelnmesse hat sie zu dem gemacht, was sie heute ist. Nämlich weltweit bedeutend und mit Ablegern in anderen Kontinenten.

Gegessen wird überall, das Interesse an Ernährung ist global…
Es war vor allem ein strategisch kluger Schritt, die Anuga zu internationalisieren. In Indien, Dubai, China, Südamerika. Und wissen Sie was? Es gibt keine Kannibalisierung. Die Messen befruchten sich gegenseitig und die Besucherzahlen steigen.

Profitieren unterschiedliche Messen voneinander?
Aber sicher. Nehmen Sie die Gamescom. Unglaublich erfolgreich. Aber Digitalisierung ist ja nicht nur hier ein Thema. Also: Wir lernen bei der einen, was sich auf die andere übertragen lässt.

Was heißt das denn konkret?
Vielleicht ist die Anuga künftig nicht nur konkretes Messeerlebnis auf Ort und Zeit beschränkt, sondern wir nutzen Streaming, Podcasts, Blogs noch viel stärker als heute. Das Messeerlebnis wird dann ein ganz anderes sein, was zeitlichen Aufwand oder persönliche Anwesenheit betrifft.

Was waren die wichtigsten Veränderungen in der Geschichte der Anuga?
Zunächst mal die Regelmäßigkeit alle zwei Jahre und natürlich die Entscheidung für den Standort Köln (schmunzelt). Dann die Ausrichtung als reine Fachbesuchermesse ab 1975 und ab 2003 die Einführung von zehn Fachmessen unter einem Dach.

Mein persönliches Highlight zur Anuga: Übernachtung auf einem Hotelschiff… Und Ihres?
Ach, die Hotelschiffe sind heute aber gar nicht so schlecht. Hat sich ja vieles geändert. Für mich machen vielfach die Persönlichkeiten, die nach Köln kommen die Höhepunkte aus. So war 2013 der Besuch des spanischen Thronfolgers Felipe und seiner Frau, Prinzessin Letizia, schon etwas Besonderes.

Ja, die Promi-Dichte ist ganz gut auf der Anuga. Aber die Politik nimmt sie nicht ernst genug…
Da haben Sie auch schon den Wermutstropfen entdeckt. Die Branche hätte mehr Aufmerksamkeit durch die Berliner Politik verdient. Früher kamen sie alle: Brandt, Schmidt, Kohl. Merkel war noch nie da. Na ja, auf der Gamescom war sie immerhin.

Was waren in 100 Jahren Anuga die wohl wichtigsten Entwicklungen, die die Ernährungsbranche geprägt haben?
Sie dürfen bitte die Rolle der Messe nicht falsch verstehen. Es ist nicht Aufgabe der Anuga, die Menschen zu einer besseren Ernährung zu bewegen. Wir sind eine neutrale und globale Plattform, die natürlich alle zwei Jahre Impulse gibt. Das ist dann, mit starker Präsenz vom Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels BVLH und der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie BVE ein aktuelles Bild der Branche. Und mit unserem Konferenzprogramm sprechen wir die aktuellen Themen der Branche an.

Wie geht’s weiter mit der Anuga?
Die Messe ist aktuell gut aufgestellt. Das Messegelände ist groß genug. Wir müssen sie nun qualitativ weiter ausbauen. Künftig werden wir noch mehr relevante Inhalte bieten, die Kongress-Kapazität wird ausgebaut, das Gelände wird weiter modernisiert und flexibilisiert. Es gilt die Aufenthaltsqualität für Aussteller und Besucher kontinuierlich zu erhöhen. Der Messe-Markt ist weltweit generell ein Wachstumsmarkt. Auch Köln muss sich hier im internationalen Bereich behaupten.

Bei aller Digitalisierung – braucht man noch eine physische Messe? Geht doch alles online…
(entrüstet) Aber selbstverständlich! Gerade im Ernährungsbereich haben Sie es doch mit Produkten zu tun, die sie sehen, riechen, schmecken müssen. Wie soll denn das online gehen? Und gerade im Zuge komplexer werdender globaler Handelsströme sind die echten Treffpunkte wichtig. Das leistet die Anuga.

Ihre Vision von der Anuga als Messe der Zukunft?
Ein Top-Messegelände, mit hervorragender Erreichbarkeit, technisch auf neuestem Stand, zunehmend mit digitalen Features. Dazu Köln als Stadt und Region, die einen wichtigen Beitrag zur Willkommenskultur für die Aussteller und Besucher liefert. Und inhaltlich wird die Anuga noch mehr das Brennglas für die aktuellen Entwicklungen der Branche mit Blick in die Zukunft sein. Und das alles auf einem internationalen Level. Schon heute haben wir 90 Prozent internationale Aussteller und 75 Prozent internationale Besucher.

Auf was freuen Sie sich 2019 besonders?
(schmunzelt) Es ist einfach fantastisch, über ein Messegelände zu gehen, das quasi aus den Nähten platzt. Und Sie werden es nicht glauben: Der Duft in den Hallen – hier spanischer Schinken, dort Schweizer Käse oder exotische Gewürze. Dieses spezielle Flair ist mein Highlight.

Gerald Böse, 1962 in München geboren, ist seit März 2008 Messe-Chef in Köln.