Interview mit Volker Zöller Ambitionierter Neustart

Losgelöst und unter neuem Namen: Für Hygienepapier-Hersteller Essity machte die Abspaltung vom Forst-unternehmen SCA die Entwicklung einer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie erforderlich. Volker Zöller, President Consumer Goods, über Ziele und Innovationen.

Donnerstag, 13. September 2018 - Sortimente
Bettina Röttig
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Bildquelle: Martin Hangen

Aus acht mach vier: Zewa Smart, eine neue Generation der Klopapierrolle, ist jüngstes Beispiel für das Nachhaltigkeitsengagement von Essity. Keine Papphülse, dafür doppelt so viele Blätter pro Rolle und die Halbierung der Packungseinheit bedeuten unterm Strich: einen geringeren CO2-Fußabdruck, weniger Verpackungsmaterial und Einsparungen in der Logistik.

Wie Zewa Smart soll künftig jedes Neuprodukt von Essity einen Nutzen für Verbraucher und Umwelt mitbringen und zu den ambitionierten Zielen des Unternehmens beitragen: Bis 2030 will der Hersteller von Hygiene- und Gesundheitsprodukten seinen ökologischen Fußabdruck um rund ein Drittel gesenkt und täglich die Lebensqualität von 2 Milliarden Menschen weltweit verbessert haben. Als ehemals Teil des Forstwirtschafts- und Hygienepapierunternehmens SCA ist Nachhaltigkeit Essity in die Wiege gelegt. Die Abspaltung hat dem Engagement des Unternehmens jedoch noch einmal einen neuen Schub verpasst, erklärt Volker Zöller, President Consumer Goods Essity.

Herr Zöller, Tierwohl, ohne Gentechnik, Regionalität – mit diesen emotionalen Themen setzen sich Lebensmittelhersteller beim Verbraucher in Szene. Wie emotional und bedeutend ist Nachhaltigkeit in den Segmenten Hygienepapiere und Personal Care?
Volker Zöller: Es geht in der Warengruppe der Hygienepapiere sicherlich um andere Themen. Verbraucher fordern jedoch auch in unseren Segmenten stärker Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Als ehemals Teil eines Forstwirtschaftsunternehmens hat das Thema für uns Tradition – vor allem, wenn es um den Rohstoff Frischfasern geht.

Zur Person

Volker Zöller ist seit 1994 in verschiedenen Positionen im Unternehmen Essity beziehungsweise SCA beschäftigt. Am 2. März 2015 wurde er zum Präsidenten Consumer Goods Europe Business Unit ernannt und verantwortete das Konsumgütergeschäft des internationalen Hygiene- und Forstprodukteunternehmens. Seit der Aufspaltung des Unternehmens 2017 ist er President Consumer Goods und verantwortlich für einen Geschäftsbereich, der neben Europa auch die Region MEA (Middle East & Africa) umspannt.

Was hat sich seit der Abspaltung von SCA hinsichtlich Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie geändert?
Als größter Waldbesitzer Europas waren wir bei unseren Kunden automatisch ein nachhaltiges Unternehmen, obwohl wir für die Hygiene-Sparte weniger als 5 Prozent unserer Zellstoffe aus dem Forstbereich von SCA bezogen haben. Mit der Abspaltung und Umbenennung ist dieser „Beweis“ für Essity weggefallen, wodurch wir eine neue Nachhaltigkeitsstrategie aufsetzen mussten.

Welche Ziele haben Sie sich konkret gesteckt?
Wir möchten unseren ökologischen Fußabdruck bis 2030 im Vergleich zu 2017 um 33 Prozent senken. Unsere übergeordnete Vision ist es, die Lebensqualität der Menschen weltweit durch Hygiene- und Gesundheitslösungen zu verbessern. Unser ambitioniertes Ziel ist es, bis 2030 das Wohlbefinden von 2 Milliarden Menschen täglich weltweit zu steigern, indem wir Innovationen im Bereich Hygiene- und Gesundheits-Produkte entwickeln, die für den Nutzer und die Umwelt Verbesserungen schaffen, und zum Beispiel Tabus rund um die Themen Periode und Inkontinenz brechen. Wir haben das Image von Wegwerfartikeln und versuchen stärker geschlossene Kreisläufe zu schaffen, um den Abfall aus der Produktion aber auch beim Konsumenten der Wiederverwendung zuzuführen.

Wo stehen Sie jetzt und wie wollen Sie Ihre Ziele erreichen?
Unsere CO2-Emissionen haben wir 2017 gegenüber 2005 beispielsweise um knapp 18 Prozent senken können, 62 Prozent der Produktionsabfälle werden aktuell bereits als Rohstoffe oder zur Energiegewinnung genutzt, und der Anteil der Innovationen aus unserem Haus, die soziale und ökologische Verbesserungen mit sich gebracht haben, lag 2017 bei 42 Prozent. Um die Ökobilanz unserer Produkte weiter zu verbessern, konzentrieren wir uns vor allem auf den Fasereinkauf, eine energie- und wassersparende Produktion, die Reduktion von Produktionsabfällen sowie Verbesserungen der Produktdesigns. Nachhaltigkeit ist in die Produktentwicklung heute voll integriert.


Welche Nachhaltigkeits-Kriterien gelten für Ihre Innovationen?
Das kommt darauf an. Je nach Produktlösung sind zum Beispiel der Fasereinsatz, Verpackung oder Logistik im Fokus. Ein aktuelles Beispiel ist Zewa Smart. Verbraucher wünschen sich, dass ihnen Toilettenpapier niemals ausgeht. Ihnen ist zu wenig auf der Rolle. Hierfür haben wir eine Lösung gefunden und ein neues Produkt ohne Papphülse und mit doppelt so vielen Blättern entwickelt. Das bedeutet: Kein Abfall, einen im Vergleich um 7 Prozent geringeren CO2-Fußabdruck, wir sparen 43 Prozent Verpackungsmaterial und ermöglichen die 2,5-fache Menge pro Transport.

Wie viel haben Sie in das Neuprodukt investiert?
Das Produkt erfordert eine neue Wattetechnologie. Wir haben ca. 15 Millionen Euro in die eigene neue Fertigungslinie investiert, die es nur einmal in Europa gibt. Die laufenden Kosten sind auch höher, weil wir eine andere Papierqualität einsetzen.

Wo liegt Zewa Smart preislich im Vergleich zu anderen Produkten?
Durch die Einsparungen auf Seiten der Verpackung und Logistik können wir dieses zum gleichen Preis anbieten wie acht Rollen Standard-Toilettenpapier.

Verstehen die Verbraucher das Produkt und den Preis? Es sieht auf den ersten Blick nach weniger aus ….
Die Kommunikation auf der Verpackung ist natürlich entscheidend. Es ist zu früh, um Wiederkaufraten messen zu können. Das Produkt hat aber sehr erfolgreich getestet und der Start lief deutlich über unseren Erwartungen.

Gibt es weitere Beispiele?
Ein gutes Beispiel ist der Bereich Damenhygiene. Slipeinlagen beispielsweise sind über die Jahre deutlich dünner aber zugleich sehr viel leistungsfähiger geworden. Dies haben wir unter anderem durch den Einsatz neuer, sehr saugfähiger Materialien erreicht. Zugleich wird mit dem geringeren Volumen Verpackungsmaterial eingespart. Seit 2008 konnten wir so unseren CO2-Fußabdruck in diesem Segment um 14 Prozent reduzieren. Heute sind die von uns verwendeten Plastikfolien übrigens alle recyclingfähig.

Kommunizieren Sie diesen Aspekt?
Aktuell nicht. Das Thema Plastik hat allerdings in den vergangenen Monaten noch einmal eine ungeheure Dynamik bekommen. Wenn es für den Verbraucher weiter an Bedeutung gewinnt, müssen wir dies neu bewerten.

Einer Ihrer wichtigsten Rohstoffe sind Frischfasern. Woher beziehen Sie diese, was hat sich seit Ihrer Neuaufstellung verändert?
SCA ist noch immer einer unserer Zellstoff-Lieferanten, stand aber schon zuvor lediglich für einen Anteil von weniger als fünf Prozent am Einkaufsvolumen von Frischfasern. Wir kaufen unsere Rohwaren global ein. 99,9 Prozent unserer eingesetzten Frischfasern stammen aus nachhaltiger Forstwirtschaft. 2017 waren von den 3,7 Millionen Tonnen beschaffter Fasern 65 Prozent FSC- oder PEFC-zertifiziert, während 35 Prozent den FSC-Kriterien entsprachen.

Wie garantieren Sie, dass auch die nicht zertifizierten Fasern den gleichen Kriterien entsprechen?
Unsere Verpflichtung an unsere Lieferanten sind in unserem Global Supplier Standard und dem Code of Conduct für Zulieferer festgehalten. Wir führen bei unseren Lieferanten Risikobewertungen und zum Teil Audits vor Ort durch, um deren Arbeitsweise zu verifizieren. Sie müssen dazu detaillierte Fragebögen beantworten und die Rückverfolgbarkeit des Faserursprungs belegen.

Thema Recycling: Wie hoch ist der Anteil an Artikeln auf Basis von Recyclingmaterialien in den verschiedenen Produktsegmenten? Wo ist es möglich, wo nicht, mit Recyclingmaterialien zu arbeiten?
In Deutschland spielen Recyclingprodukte im Segment Hygienepapiere nur bei Toilettenpapier eine Rolle. Es handelt sich jedoch um eine kleine Nische, die vor allem von Handelsmarken bedient wird. Bei den Markenprodukten sind wir mit unserer Öko-Marke Danke gut aufgestellt. Im Ausland gibt es Lösungen, die Blätter aus Frischzellfasern mit Recycling-Blättern kombinieren.

Sehen Sie für Deutschland künftig Potenzial für ein Wachstum des Segments?
Nein. Die Produkte haben zwar eine treue Kundschaft und der Absatz ist stabil, aber wir sehen kein Wachstum. Eine Voraussetzung wäre auch genügend verfügbarer Rohstoff. Aufgrund der Digitalisierung wird heute sehr viel weniger ausgedruckt und somit Altpapier produziert, das zu Hygienepapieren verarbeitet werden kann. Die damit einhergehenden Preissteigerungen können schwerlich an den Kunden von Toilettenpapier weitergegeben werden.

Ökowindeln scheinen beim Verbraucher stärker in den Fokus zu rücken. Warum gibt es von Essity hierzu noch kein Angebot?
Die Frage ist immer, was versteht man unter Ökowindeln? Unsere Windeln sind ökologisch sehr gut getestet und unsere Philosophie ist: alles, was unsere Werke verlässt, muss nachhaltig sein. Es gibt Nischensegmente wie kompostierbare Windeln mit ein paar neuen Anbietern, aber der Marktanteil ist extrem gering. Wir arbeiten weiter an unserer Vision „zero waste“, sowohl in unserer Produktion als auch beim Konsumenten.

Sie arbeiten am Thema Kreislaufwirtschaft für Windeln und Inkontinenzprodukt. Wie weit sind Sie?
Aktuell realisieren wir ein Pilotprojekt mit einem Kunden in Holland, sammeln Windeln und Inkontinenzprodukte bei Endverbrauchern und in Altenheimen und Krankenhäusern wieder ein, lassen diese in ihre Einzelbestandteile zerlegen und führen die Komponenten wieder dem Kreislauf zu. Der Test läuft erfolgreich. Er zeigt, dass eine Kreislaufwirtschaft technisch darstellbar ist, man muss jedoch auf eine kritische Masse kommen.