Spirituosen Höhen und Tiefen

Der Spirituosen-Markt stagniert. Bei den Segmenten gibt es aber zum Teil erhebliche Veränderungen. Eine Vorstellung der Gewinner und Verlierer.

Donnerstag, 24. März 2011 - Sortimente
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Höhen und Tiefen
Bildquelle: Mugrauer, iStockphoto

Angesichts des seit vielen Jahren sinkenden Pro-Kopf-Verbrauchs von Spirituosen sind die aktuellen Ergebnisse der Marktforschung von Nielsen insgesamt nicht die schlechtesten für die deutschen Spirituosen-Produzenten und -Importeure: Der Markt stagniert oder anders ausgedrückt: Er ist stabil. Um Kalendereffekte bereinigt, bleiben 2010 567,7 Mio. verkauften 0,7-l-Flaschen (-1 Prozent) und ein Umsatz von 3,8 Mrd. Euro (+/- 0 Prozent) unter dem Strich stehen (LEH+Drogeriemärkte). Damit kann die Branche durchaus zufrieden sein. Die Stagnation zählt auch nur für den Gesamtmarkt, denn zwischen den einzelnen Warengruppen ist viel Bewegung zu beobachten. So sind zum Teil deutliche Veränderungen der Verbraucherwünsche zu erkennen. Einige Hersteller erleben dabei schwindelerregenden Höhen und andere frustrierende Tiefen.

Aperitifs, Whisky und Mixes gewinnen
Eine auffällige Entwicklung legen die Aperitifs mit einem Wachstumssprung von 5,5 Mio. 0,7-l-Flaschen auf 6,8 Mio. 0,7-l-Flaschen hin. Das entspricht einem Anstieg von 23 Prozent. Wichtigster Player in diesem Segment ist mit Abstand Campari Deutschland. Das ordentliche Absatzwachstum des Aperitif-Klassikers Campari (5 Prozent) wird nur noch von einer Marke aus dem eigenen Haus in den Schatten gestellt. So konnte Aperol auch 2010 (genau wie 2009) wieder dreistellige Zuwachsraten verzeichnen. „Aperol ist bereits seit drei Jahren in Deutschland der absolute Shooting-Star im Spirituosen Markt", sagt Stefan Jensen, Geschäftsführer von Campari Deutschland. Die Gründe für dieses Wachstum seien verschiedener Art. „Aperol polarisiert kaum, ist leicht und unkompliziert zuzubereiten und bei Frauen und Männern gleichermaßen beliebt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Aperol im vergangenen Jahr die am meisten beworbene Einzelmarke der Spirituosen-Branche war", sagt Jensen. Und die Marke hat, nach Einschätzung des Campari-Managers, noch nicht ihren Zenit erreicht. Besonders freuen dürfte die deutsche Dependance in Oberhaching, dass das Wachstum nicht zu Lasten des Klassikers Campari geht. „Aperol verbreitert das Aperitif-Segment insgesamt und wächst laut Marktforschung vornehmlich u. a. zu Lasten von Bier- und Biermischgetränken. Dies schafft erheblichen Mehrwert im Lebensmittel-Einzelhandel und in der Gastronomie.", sagt Jensen.

Das Whisky-Segment legte 2010 bei Absatz und Umsatz um jeweils 6 Prozent zu. Wichtige Marken sind Ballantine's, Jack Daniel's und Tullamore Dew. Unangefochtene Nummer eins bleibt Jim Beam. Importeur Beam Global Deutschland hatte erst im vergangenen Jahr den Verkauf der nationalen Marken Kuemmerling, Fürst Bismarck und Jacobi 1880 an Henkell & Co. bekannt gegeben. Ziel ist der Fokus auf internationale Spirituosen, vornehmlich aus dem Whisky-Bereich: „Die Fokussierung auf internationale Wachstumsmarken hat sich für Beam Global Deutschland ausgezahlt. Wir wachsen deutlich mit allen Fokusmarken im Whisky- und in anderen Spirituosensegmenten", sagt Marketing-Director Manfred Jus, der seit Anfang 2011 auch das Marketing des Whiskyportfolios in der neu geschaffenen Business-Region Europe, Middle East & Africa verantwortet. Beam Global investiert nach eigenen Angaben stark in den deutschen Markt. Dies betrifft nicht nur klassische Werbemaßnahmen und neue Ausstattungen (bspw. bei Jim Beam Black), sondern auch ungewöhnliche PoS-Maßnahmen, wie Signature-Malts-Displays oder das Konzept „World of Whisky", bei dem sich die Verbraucher im Markt via Touchscreens über die Geschichten der Marken informieren können. Durch die Bearbeitung der Kategorie konnte Beam Global Deutschland nach eigenen Angaben seine Marktführerschaft im Whisky-Segment weiter ausbauen. Allerdings glaubt Jus, dass nicht nur das Marketing zum Wachstum beigetragen hat: „Es gibt generell einen Trend von weißen zu braunen Spirituosen."

Mixes mit Cola, getrieben durch die großen Marken Jack Daniel's, Jim Beam und Bacardi, konnten im vergangenen Jahr wieder stark zulegen: „Es ist ein wahrer Hype um Cola-Mix-Getränke zu beobachten, sowohl um bestehende wie auch um neue Produkte. Die abgesetzten Mengen haben sich verdoppelt", sagt Katharina Verbeek, Getränkeexpertin bei The Nielsen Company. Allerdings gäbe es die Zuwächse nicht mehr im Hauptabsatzkanal Tankstellen, sondern in den Verbrauchermärkten. Insgesamt wuchs das Segment Spirituosen-Mix, zu dem auch Produkte abseits des Klassikers Whisky-Cola gehören, um 34 Prozent von 3,5 Mio. 0,7-l-Flaschen auf 4,8 Mio. 0,7-l-Flaschen.

Ein weiterer Gewinner ist Wodka (insgesamt +2 Prozent) mit den wichtigsten Marken Gorbatschow, Boris Jelzin, Puschkin, Moskovskaya und Russian Standard. Der jahrelange Trend zu einem hohen Eigenmarkenanteil im Wodka-Segment bleibt ungebrochen. Rum und Rumverschnitt mit den Top-Marken Bacardi und Havana Club wuchs ebenfalls (insgesamt: +4 Prozent).

Traditionelle Alkoholika wie Korn, Doppelkorn und Weinbrand verloren auch 2010 an Popularität. Dieser Trend ist schon länger zu beobachten. So wurde beispielsweise nach Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im ersten Halbjahr 2006 noch rund 112,8 Mio. Euro mit dieser Warengruppe erwirtschaftet. Im ersten Halbjahr 2010 schrumpfte dieser Betrag auf 91,6 Mio. Euro (Berechnungsgrundlage bei der GfK ist der Konsum privater Haushalte). Die Entwicklung wird von Nielsen bestätigt: So verlor die Warengruppe „klare Spirituosen ohne Wodka", zu der unter anderem Korn, Doppelkorn, Klarer und Gin gezählt werden, im Jahr 2010 insgesamt 7 Prozent Absatz.

Nicht besser erging es den Produzenten von Weinbränden. Die Kategorie, zu der bekannte Namen wie Wilthener, Chantré, Mariacron, Asbach und Scharlachberg gehören, verlor 2010 insgesamt 8 Prozent Absatz. Zwar gehört Weinbrand mit 75,5 Mio. verkauften Flaschen nach wie vor zu den Schwergewichten im Spirituosen-Markt. Ob das angesichts dieses Negativtrends noch lange so bleiben wird, darf bezweifelt werden. Das Segment scheint ein Imageproblem zu haben. Gegen die Entwicklung beim Weinbrand fällt der Verlust von 2 Prozent bei den Kräuterlikören, knapp vor Wodka das drittgrößte Spirituosen-Segment, verhältnismäßig moderat aus.

Ready-To-Serve im Trend
So genannte Ready-To-Serve-Cocktails sind der derzeit auffälligste Trend im Spirituosen-Markt. Die Marketingbotschaft dabei ist ebenso einfach wie effektiv: Für einen professionellen Cocktail braucht man kein Barkeeper-Wissen mehr, muss man nicht alle Zutaten mühevoll besorgen oder in eine Bar gehen. „Aktuell befinden sich einige innovative spirituosenbasierte Cocktails im Distributionsaufbau. Wir können uns durchaus vorstellen, dass sich diese Produkte zum Sommer hin sehr attraktiv entwickeln", sagt Nielsen-Expertin Verbeek. Diese Warengruppe „Cocktails" entwickelte sich bereits 2010 sehr positiv (Absatz +8 Prozent/ Umsatz +11 Prozent).

Treiber waren vorrangig weinbasierte Produkte wie beispielsweise Cool Up von der Katlenburger Kellerei oder Tropica. Das aber auch die spirituosenbasierten Cocktails gut funktionieren, zeigt eine regelrechte Flut an Neueinführungen. So gab Bacardi im Februar bekannt, eine Piña Colada in die Märkte zu bringen. Damit baut das Unternehmen sein Convenience-Segment nach dem erfolgreichen Launch von Mojito Ready-To-Serve aus. „Die Absatzentwicklung im Convenience-Segment ist sehr vielversprechend", sagt Yvonne Naber, Unternehmenssprecherin Bacardi.

Der Wettbewerb ließ, auch angesichts des Erfolges von Bacardi Mojito Ready-To-Serve, nicht lange auf sich warten. So gab der Sierra-Markeneigner Borco-Marken-Import Anfang März die Einführung von Sierra-Margarita bekannt. „An der Rezeptur haben wir lange gefeilt. Wir wollten den perfekten Ready-To-Serve-Cocktail, der so schmeckt, wie eine ganz frisch gemixte Margarita", sagt Dr. Tina Ingwersen-Matthiesen, Geschäftsführerin von Borco-Marken-Import. Auch die neue Margarita werde von der mexikanischen Regierung zertifiziert, die ein strenges Auge auf die Qualitätsvorgaben wirft.

Noch einen Tick früher in Sachen Margarita Ready-To-Serve war Beam Global Deutschland mit der Marke Sauza. Der trinkfertige Cocktail mit Sauza Blanco Tequila und dem Curaçao-Likör Triple Sec hat sein Potenzial bereits bewiesen: „Sauza Margerita wurde bereits in anderen Ländern in Europa erfolgreich eingeführt und auch Konsumententests in Deutschland haben gezeigt, dass wir ein hochwertiges Margerita-Produkt zu einem marktgerechten Preis einführen und somit den Konsumenten perfekt bedienen", sagt Jus.
Trotzdem bleiben die Wiesbadener noch vorsichtig, was den Preis der Produkte und die Nachhaltigkeit des Trends angeht: „Eine Premiumpreis-Positionierung zum Originalprodukt werden deutsche Konsumenten, aus unserer Sicht, nicht dauerhaft mittragen. Ob sich dieser Markt langfristig als erfolgreich erweist bleibt abzuwarten", sagt Jus.

Bei Campari sprechen hingegen Argumente gegen fertig gemixte Cocktails: „Ein wichtiger Aspekt für den stilvollen Spirituosen-Genuss und das Mixen ist auch die Zubereitung, das heißt das eigene Mixen. Dies gilt sowohl für viele Verbraucher als auch für einen großen Teil der Gastronomie. Deshalb sind diese Art von Fertigmixes bei den Barkeepern der meinungsbildenden Top-Gastronomie in der Regel wenig beliebt", sagt Jensen. Demzufolge habe sich Campari auch nicht näher mit dem Thema befasst.

Neue Markenaffinität der Verbraucher?
Die vielen Neuheiten von Campari, Beam Global, Bacardi oder Borco-Marken-Import zeigen: Das Spirituosen-Segment wird nach wie vor definiert und vorangetrieben von Innovationen der etablierten Marken. Doch wie ist es um die Markenaffinität der Konsumenten überhaupt bestellt? Angelika Wiesgen-Pick, Geschäftsführerin beim Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure, sieht angesichts der Zahlen des aktuellen „Nielsen Global Online Survey" die Markenproduzenten im Aufwind. Demnach habe sich die Verbraucherstimmung nach der Finanzkrise unter anderem wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt gebessert und diese gute Verbraucherstimmung sei nun mal für die Spirituosenbranche von hohem Stellenwert. „Die Geiz-ist-Geil-Welle bezüglich der Nachfragen nach Spirituosen ist vorüber", sagt Wiesgen-Pick. „Ein neues Konsumbewusstsein weg von Handelsmarken, hin zu Marken mit Profil und Qualität, setzt sich in Deutschland immer mehr durch – dieses zeigt sich auch in dem zunehmenden Angebot von Markenspirituosen in Deutschland 2010."

Demgegenüber steht allerdings die Entwicklung der Private-Labels. Eigenmarken des Handels spielen in den wichtigen Segmenten Wodka und Korn eine entscheidende Rolle und auch 2010 konnte der Anteil gesteigert werden. „Generell kann man sagen, dass Handelsmarken bei Spirituosen ihren Absatzanteil 2010 auf fast 44 Prozent steigern konnten. Treiber waren 2010 die kooperierenden Discounter, die kleinen Verbrauchermärkte sowie die großen Supermärkte", sagt Katharina Verbeek von Nielsen. Der Umsatzanteil lag 2010 insgesamt bei 34,2 Prozent (LEH+Drogeriemärkte inklusive Aldi). In den Kategorien Anis, Eierlikör, Gin, Grappa, Klarer, Mandellikör und Doppelkorn sei der Handelsmarkenanteil sogar auf mehr als 60 Prozent gestiegen.

Auch Wiesgen-Pick konstantiert, dass es den „hybriden", also den zweigeteilten Konsumenten gibt: „Einerseits suchen sie den Luxus und hochwertige Markenprodukte, anderseits fordern sie auch Diskontierung." So lässt sich eine generelle neue Markenaffinität der Verbraucher nicht eindeutig feststellen. Als unter Branchenkennern und Analysten sicher gilt jedoch nach wie vor die steigende Beliebtheit von Import-Marken, von der unter anderem Campari, Beam Global, Borco-MarkenImport und andere Importeure profitieren.

Nische Bio-Spirituosen
Neben Ready-To-Serve-Cocktails wagen sich einige Hersteller und Importeure schon an den nächsten möglichen Coup: Bio-Spirituosen. Ob sich diese Kategorie allerdings nachhaltig durchsetzen wird und der Verbraucher bereit sein wird, mehr Geld für biologisch hergestellte Spirituosen auszugeben, muss sich erst noch zeigen.

Seit Februar produziert die Drinks & Food Vertriebs GmbH drei neue Bio-Spirituosen Tarpan Bio-Vodka, Bramleys Bio-Sahnelikör und Balle's Bio-Eierlikör. „Für uns sind Bio-Spirituosen eine ganz logische Ergänzung unseres Portfolios", sagt Michael Bouchette, Geschäftsführer bei Drinks & Food. Konsumenten, die Bio-Produkte in ihrem Alltag integrieren, könnten bei einem erweiterten Angebot zum Wechselkäufer werden und sich von neuen Bio-Spirituosen überzeugen lassen. Bouchette sieht hier Potenzial. „Das erste Feedback von Verbrauchern und dem Handel ist gemischt. Die Verbraucher sind bei den Verkostungen von der Idee und dem Geschmack begeistert. Der Handel reagiert neugierig. Doch die Produkte müssen sich selbst im Markt bei den Testlistungen noch beweisen", sagt Product-Managerin Stella Bouchette.

Auch Beam Global liebäugelt mit der Idee Bio-Spirituosen: „Beam Global und Beam Global Deutschland ¬beschäftigen sich mit dem Thema. Wir sehen aber noch keinen nachhaltigen Konsumententrend, der für Bio-Spirituosen spricht. Erste Produkteinführungen von Wettbewerbern haben sich als nicht erfolgreich erwiesen bzw. Konsumenten waren nicht bereit, mehr Geld hierfür zu bezahlen", erklärt Jus. Auch bei Nielsen fristen Bio-Spirituosen noch ein Nischen-Dasein: „Bio-Spirituosen werden nicht gesondert erfasst, sie fließen in die jeweilige Warengruppe ein", sagt Verbeek.

Rohstoffmärkte bereiten Sorgen
Ein wichtiges Thema, das die Industrie beschäftigt, ist die Entwicklung auf den Rohstoffmärkten. Seit Agrarprodukte als Energieträger sowohl in den USA als auch Europa hoch subventioniert werden, hat dies Auswirkungen auf die Nachfrage und damit auf die Preisentwicklung von Getreide. Der Tenor aus der Industrie ist eindeutig: Über kurz oder lang sind Preiserhöhungen bei dieser angespannten Lage kaum zu vermeiden: „Es ist fraglich, ob es in den nächsten Jahren gelingen wird, die Preissteigerungen an den Rohstoffmärkten durch Einsparungen auszugleichen", fasst Jus von Beam Global Deutschland das Dilemma zusammen, in dem die Branche derzeit steckt. Dabei ist das Problem für die meisten Produkte von Beam Global noch nicht akut, denn die Destillate werden zwar deutlich teurer, allerdings werden die Konsumenten damit erst in ein paar Jahren konfrontiert, denn die Produkte müssen zunächst ein paar Jahre in Lagerhäusern reifen. „Beam Global hat in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um Einsparungen zu erzielen. So konnte 2011 auf Preiserhöhungen verzichtet werden", sagt Jus.

Aber es gibt auch noch andere Preistreiber als die Lage auf den Rohstoffmärkten: „Neben den stark steigenden Energiepreisen sind auch die Preissteigerungen bei Glas, Alkohol und Zucker nicht zu unterschätzen", sagt Jensen von Campari. Umso wichtiger sei es, den Bekanntheitsgrad, die Aktualität und den emotionalen Mehrwert für die Marken weiter zu steigern. „Nur dieser Weg schafft Begehrlichkeit und Preis-Akzeptanz (auch bei steigenden Preisen) bei Konsumenten", glaubt Jensen. Die Entwicklung von Campari, Aperol, Russian Standard oder Ouzo 12 bestätige diesen Weg.

{tab=Fakten zum Spirituosen-Markt}

Bilder zum Artikel

Bild öffnen
Bild öffnen
Bild öffnen
Bild öffnen
Bild öffnen
Bild öffnen
Bild öffnen