Brot und Backwaren Reale Back-Prozesse

Aldis Vorstoß bei der Ausrüstung der Märkte mit Backstationen hat an Schwung verloren. Das Thema bleibt aber für die Branche bestimmend. Darüber hinaus bewegen hohe Rohstoffkosten die Gemüter.

Donnerstag, 10. März 2011 - Sortimente
Susanne Klopsch
Artikelbild Reale Back-Prozesse
Schwache Discounter (Quelle: The Nielsen Company)

Wärmt er nur oder backt er schon? Mit dieser Frage, nicht ganz so salopp formuliert, beschäftigt sich derzeit das Landgericht Duisburg. Hintergrund ist eine Klage des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerkes stellvertretend für die Bäckerinnung Wolfach gegen die Aldi-Einkauf GmbH & Co. OHG, gleich Aldi Süd. Der Discounter hatte im vergangenen Jahr die flächendeckende Ausrüstung der Märkte mit Bake-off-Stationen angekündigt. Nach einer umfangreichen Testphase hatten sich die Mülheimer für ein Gerät entschieden, bei dem der Kunde per Knopfdruck sein Produkt wählt, das dann, für ihn nicht einsehbar, im Ofen zubereitet wird und das er anschließend dem Ausgabeschacht entnimmt.

Und da tat sich für den Zentralverband die eingangs gestellte Frage auf: Ist diese Zubereitung ein Backprozess? Gerichtlich beanstanden die Berliner eine Formulierung in einem Aldi-Werbeprospekt aus dem vergangenen Sommer: „...wir backen den ganzen Tag Brot und Brötchen für Sie...". Knackpunkt ist die Verwendung des Wortes backen. Armin Werner, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Handwerksbäcker, gegenüber der LP: „Aldi-Süd erhitzt die vom Hersteller fertig- bzw. weitestgehend vorgebackenen und angelieferten Backwaren in einem Automaten lediglich, oder bräunt sie zu Ende. Daher ist die Aussage, dass Aldi-Süd bäckt und das den ganzen Tag, irreführend und somit unzulässig." Weiterer Kritikpunkt: Einige der von Aldi Süd in dem Prospekt gemachten Aussagen zu den Brotsorten (hier geht es um die Zusammensetzung der Produkte) entsprächen nicht den Leitsätzen für Brot und Kleingebäck der Deutschen Lebensmittelbuchkommission. Beim ersten Verhandlungstermin Ende Februar hatte sich das Gericht selbst ein Bild von einer Aldi-Backstation machen wollen – musste die Discounter-Filiale in Duisburg aber wieder unverrichteter Dinge verlassen, da Aldi den Blick hinter die Kulissen nicht gewährte. Der Prozess wird am 31. März fortgesetzt.

Nach Einschätzung von Armin Werner ist mit einem Urteil Ende des Jahres zu rechnen. Die Ausrüstung der Aldi-Märkte mit den Back-Apparaturen scheint indes an Schwung verloren zu haben. „Die Dynamik der Umrüstung hat deutlich abgenommen", sagt beispielsweise Robert Maaßen, Country Commercial Manager Vandemoortele Deutschland und Österreich. Er vermutet, dass die bisher erzielten Ergebnisse unter den Erwartungen liegen. Insgesamt nennen Branchenkenner die fehlende Transparenz des Backvorgangs für den Kunden als Schwachpunkt der Aldi-Lösung. Es fehle der Blick auf das Produkt, das gerade frisch zubereitet werde. In den meisten Backstationen wird für den Kunden direkt sichtbar aufgebacken. Maaßen kritisiert zudem, dass der Kunde per Knopfdruck zum Kauf verpflichtet werde: „Ein Verbraucher kann nicht wie gewohnt die optische Vorauswahl treffen, ob ihm das Produkt in Punkto Bräunungsgrad, Ausbund und Geschmacksempfinden überhaupt zusagt."

Bislang hat Aldis Back-Offensive auch die Abgabepreise für Prebake-Produkte nicht sinken lassen, wie einige Marktbeobachter zunächst befürchtet hatten. Vereinzelt hatte sogar das Wort „Kampfpreise" die Runde gemacht: Aldi-Süd-Brötchen werden zu ähnlichen Preisen wie die Produkte anderer Hard- und Softdiscounter verkauft.

Handswerksbäcker bedrängt
Dabei wird der klassische Lebensmittel-Einzelhandel nach Ansicht der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) Aldis Back-Aktivitäten eh nicht als erster zu spüren bekommen: „Die Ausweitung de Angebots trifft eher die Bäckereien, die derzeit einen Marktanteil von 40 Prozent halten", sagt Helmut Hübsch, Marktexperte GfK Panel Services. Auswirkungen spürten „selbstverständlich auch Betriebe, die bisher die SB-Ware lieferten". Für die weitere Verbraucher-Ansprache rät Hübsch Vollsortimentern, weiter auf Qualität und Service zu setzen.

Nun hat der Handel ja nicht geschlafen. In den vergangenen zwei Jahren haben vor allem die Vorkassenzonen-Bäcker eine Aufwertung erfahren, machen mit ihrem Angebot (neben den Klassikern Brot, Brötchen, Kuchen etc.) an frisch zubereiteten Snacks, Kaffee und der Möglichkeit zum Verzehr vor Ort vor allem Handwerksbäckern Konkurrenz. Als Beispiele seien die K&U-Bäckerei der Edeka Südwest genannt oder das Konzept „Unser Norden – Landbäckerei" der Coop Kiel. Die Warengruppe Brot ist für viele Händler eine Visitenkarte ihrer Märkte, bei der sich Vorkassenzonen-Bäcker, Prebake-Station und SB-Regal im Idealfall perfekt ergänzen und alle Kundentypen ansprechen.

Neue Wege testete hier Real. Und dies so erfolgreich, dass die im Wiesbadener Markt als Pilotprojekt betriebene Bedientheke für Backwaren als Blaupause für die Ausrüstung weiterer SB-Warenhäuser dient. Die bereits bestehende Hausbäckerei wurde um eine Schaubäckerei mit drei Öfen und eine 2 m lange Bedientheke ergänzt. Zwei Bäckergesellen backen vor Ort Brötchen, Kuchen und Brote. „Wir nehmen 10 Prozent des Sortimentsumsatzes im Bereich Backwaren mittlerweile über die Bedientheke ein", sagte der stellvertretende Geschäftsleiter Jörg Wendel schon im Herbst in einem Gespräch mit Lebensmittel Praxis. Angepeilt werden 15 Prozent.

Abweichen vom Schema F
Die Bäcker wollen auch vom bekannten Schema F abweichen: „Durch die erste Schaubäckerei hatten wir die Möglichkeit, viel zu lernen", heißt es bei Real. „Auf der einen Seite konnten wir eigene Produkte kreieren, etwa Plunderteilchen, und schauen, wie sie vom Kunden angenommen werden. Auch bei der Preisgestaltung haben wir Spielräume genutzt, um zu erfahren, welchen Preis der Kunde akzeptiert." Das Wiesbadener Modell soll auch in anderen Real-SB-Warenhäusern Schub für die Warengruppe bringen: „Dabei kommen analog zum Markt in Wiesbaden grundsätzlich nur Märkte mit einer größeren Verkaufsfläche und der daraus folgenden hohen Kundenfrequenz infrage. Die Mindestgröße, die uns für dieses neue Marktbäckereikonzept zur Verfügung stehen muss, liegt bei rund 140 qm."

Prebake ist aus dem frische-orientierten Einzelhandel nicht mehr wegzudenken, bietet dem Händler weiterhin gute Möglichkeiten, sich vom Wettbewerb abzuheben. Neben dem Standard-Sortiment können Premium-Produkte mit handwerklichem Charakter neue Kunden für Brötchen und Co. aus der Bake-off-Station ansprechen.

Bei Harry-Brot aus Schenefeld hat man auf die zunehmende Nachfrage nach Prebake zeitig reagiert: Im ersten Halbjahr 2011 wird der dritte Produktionsstandort für TK-Backwaren in Betrieb genommen. „Mit dem Kapazitätsausbau sind auch Produktinnovationen verbunden, wie beispielsweise Laugenbrezeln und andere Artikel im Bereich handwerklicher Produkte", sagt Geschäftsführer Hans-Jochen Holthausen. Die Schenefelder sehen durch den Prebake-Trend den Absatz von Schnitt- und Ganzbrot zunehmend unter Druck.

Hiestand & Suhr mit ihrem Käfer-Dachmarken-Konzept, Vandemoortele oder Délifrance machen für ihre Backstationen-Produkte im LEH gute Chancen aus. „Wir sehen, dass vor allem Brotspezialitäten, die in Bezug auf Vielfalt, Optik und Geschmack etwas Besonderes bieten, immer besser nachgefragt werden", heißt es bei Délifrance. Anja Lippmann, Leitung Marketing bei Hiestand & Suhr, verweist darauf, dass der Händler „mit unseren Premiumprodukten weiterhin überdurchschnittliche Verkaufspreise erzielt. Mit der Marke Käfer hat der Händler eine Alleinstellung am Markt und ist nicht vergleichbar."

Preise auf Höhenflug
Es gibt ein weiteres Thema, das die gesamte Branche betrifft: die stetig steigenden Rohstoffpreise. Allein der Weizenpreis legte 2010 im Jahresverlauf um 72 Prozent zu. Nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) verteuerten sich Agrarrohstoffe seit Mai 2010 um 40 Prozent. Und Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbands, sagte kürzlich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa: „Die Zeiten, als Milch, Butter, Eier oder Fleisch eine Inflationsbremse waren, sind vorüber, auch die Zeit der extremen Niedrigpreise beim Discounter." Spekulanten, der Run auf Agrarrohstoffe, die für die Treibstoffherstellung verwendet werden, Missernten oder Bürgerkriege – Preistreiber gibt es viele. „Die Konkurrenz zwischen Brotkorb und Autotank wird sehr hart", sagt Prof. Ulrike Detmers, Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafterin der Mestemacher Gruppe. Ihre Prognose: „Deshalb sind die Perspektiven für die Preise von Brotgetreide eher düster." Auch Frank Kleiner, Vorstand Vertrieb Lebensmitteleinzelhandel Lieken AG, sagt nüchtern: „Wir erwarten in unserem wettbewerbsintensiven Marktumfeld ein schwieriges Jahr." Von weiter volatilen Rohstoffmärkten geht man auch bei Harry-Brot aus, „deshalb wird bei uns die Beschaffungssicherheit in puncto Qualität und Preise oberste Priorität haben."

Bleibt die Frage nach höheren Verkaufspreisen. Thomas Gill, Inhaber der Bäckerei Prünte, ein regionaler Spezialbrotbäcker aus Nordrhein-Westfalen: „Der Verbraucher wird nicht umhin kommen, sich an ein höheres Preisniveau bei Backwaren zu gewöhnen." Prof. Detmers sieht Handlungsbedarf auch für den Preiseinstieg: „Die Preise müssen steigen, damit die gestiegenen Rohstoffkosten bezahlt werden können." Lassen sich diese Preise beim Handel durchsetzen? Kleiner: „Ende 2010 konnten wir höhere Preise im Markt etablieren. Angesichts der weiteren Erhöhungen im Rohstoffbereich führen wir derzeit konstruktive Gespräche mit unseren Kunden."

Doch das ist nicht ohne Risiko, wie gerade Lieken erfahren musste. Mit den Werken Achim und Bernau werden bald zwei Produktionsstätten geschlossen. Und das nicht nur wegen veralteter Maschinen, sondern auch wegen mangelnder Auslastung. Gegenüber der lokalen Presse hatte Thorsten Zierdt von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch das „Preisdiktat der Discounter" das Aus vor allem des Achimer Werkes besiegelt habe: So habe Lieken den Vertrag mit Lidl bzw. der Schwarz-Gruppe gekündigt, zum März werde die Belieferung von mehr als 530 norddeutschen Lidl-Filialen eingestellt. Liekens Pressesprecherin Daniela Lützeler wollte dies gegenüber der Lebensmittel Praxis weder dementieren noch bestätigen. Sie sagte lediglich: „Es sind Kunden nicht mehr da, die vorher da waren." Namen werde das Unternehmen nicht nennen.

SB-Angebot aktuell halten
Zum richtigen Mix in Sachen Warengruppe Brot gehört schließlich das SB-Regal. „Wichtig ist im LEH das Sortiment aktuell zu halten und mit Neuprodukten die Trends zu 'rustikal' und 'mediterran' zu bedienen", sagt Lieken-Vorstand Kleiner. Mit der Absatzentwicklung der Marke Lieken Urkorn ist das Unternehmen zufrieden, der Marktanteil bei Schnittbrot konnte laut Kleiner weiter ausgebaut werden. Stagnation gab es allerdings bei Golden Toast. Lieken setzt 2011 den Schwerpunkt auf die Aktivierung des bestehenden Lieken-Urkorn- sowie des Golden-Toast-Sortiments über Media-Kommunikation via TV und Plakat, z.B. für das Lieken Urkorn Fit & Vital Vitaminbrot.

Im „beinharten Wettbewerb um Regalplätze in der Brotabteilung" haben sich die Mestemacher Spezialitäten-Produkte nach Angaben von Mitgesellschafterin Prof. Ulrike Detmers gut geschlagen. Die Gruppe erreichte die für 2010 gesetzten Ziele (den Umsatz von 2009) und plant für 2011 ein Wachstum von 7 Prozent von 112 Mio. auf 120 Mio. Euro. Zum 140-Jährigen in diesem Jahr werden Vollkornbrot und Pumpernickel im Retro-Design angeboten. Die 18. Ausgabe von „Panem et Artes" zeigt ein Werk des chinesischen Malers Ding Yi.

Als stark in der Nische sieht sich Prünte Brot: „Wir erleben zurzeit einen starken Trend zu regionalen Produkten, von dem wir als Marke aus der Region mit den entsprechenden Spezialitäten deutlich profitieren", sagt Inhaber Thomas Gill. Mit Pumpernickel, Vollkornbrot und Spezialbroten beliefert das Familienunternehmen nunmehr in der sechsten Generation den Handel. „Mit unserer Ausrichtung sind wir von modischen Trends weitestgehend unabhängig und sehen uns mit unserem traditionellen und in der Region bekannten Sortimenten gut aufgestellt. Das nutzt auch der Handel zur Kundenbindung."

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Bild öffnen Reale Back-Prozesse (Bildquelle: Fotolia)
Bild öffnen Schwache Discounter (Quelle: The Nielsen Company)
Bild öffnen Lieber geschnitten (Quelle: The Nielsen Company)
Bild öffnen Frank Kleiner, Lieken Brot- und Backwaren (Bildquelle: Lieken)
Bild öffnen Prof. Ulrike Detmers, Mestemacher-Gruppe (Bildquelle: Mestemacher)
Bild öffnen Hans-Jochen Holthausen, Harry-Brot (Bildquelle: Kämper)