Bier Alles nur Zierde?

Craft-Biere sind nicht der Heilsbringer für die unter Preisdruck stehende Kategorie Bier. Sie passen aber zum Zeitgeist und machen den Gerstensaft durch ihre Vielfalt wieder interessant.

Donnerstag, 31. März 2016 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Alles nur Zierde?

Craft-Biere erfahren seit Jahren eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit. Sei es auf Fachmessen wie der Internorga, in den Medien oder auch auf der Fläche im Lebensmittel-Einzelhandel: Die Geschichten hinter den Klein-Brauereien aus den USA und anderen Ländern faszinieren und bieten demjenigen deutschen Verbraucher, der Individualität und Experimentierfreude zu schätzen weiß, eine willkommene Abwechslung. Bei dem ganzen Hype vergisst man jedoch schnell, wie klein die Kategorie eigentlich noch ist: Am deutschen Gesamtmarkt machen Craft-Biere laut Nielsen gerade mal überschaubare 2,5 Prozent des Umsatzes aus. Im Segment der so genannten „Super Premium Biere“ (Preisindex über 180 Prozent gegenüber der Kategorie Bier und Biermix), wo die Marktforscher IPA & Co. mangels genauerer Definition verorten, sind es aktuell 10 Prozent. „Dieses Segment wächst seit mehreren Jahren, allerdings sind die Wachstumstreiber bisher internationale, etablierte Marken, weniger die Craft-Biere“, erklärt Marcus Strobl, Bier-Experte bei Nielsen, und spielt dabei u. a. auf die im vergangenen Jahr etablierte neue Becks-Range an. Trotzdem: Im Konzert der „echten“ Craft-Biere stellen eher kleine, unabhängige Brauereien die Pioniere. „Der Craft-Bier-Markt an sich ist sehr fragmentiert und hochgradig regional. Über 100 Marken buhlen um die Konsumenten. Allerdings ist deren Verbreitung sehr unterschiedlich und reicht von einem reinen ‚Stadt-Bier‘ bis hin zur regional vertriebenen Spezialität“, sagt Strobl.

Stadt-Bier

Die deutsche Craft-Bier-Kultur ist vom urbanen Lifestyle geprägt. Berlin, Hamburg und München sind die Innovationszentren für diesen Trend.

Obwohl die Anzahl der Craft-Biere derzeit steigt, ist das Segment also klein. Dennoch birgt es einen entscheidenden Vorteil: Der Fokus auf dem Handwerklichen, der Individualisierung des Produktes durch die Braumeister und der geschmackliche Vielfalt, die in Deutschland durch das Reinheitsgebot jahrzehntelang beschränkt wurde, passen zum Zeitgeist. Und so bieten internationale Bier-Stile wie Indian Pale Ale, Scotch Ale oder amerikanisches Lager die Möglichkeit zur Profilierung und Abgrenzung. „Der Einzelhändler erreicht durch diese Craft-Biere neue Käuferschichten. Zusätzlich bieten ihm die Hersteller mit neuen Sorten und spannenden Unternehmensgeschichten jede Menge Storytelling am PoS“, sagt dazu Lars Roisch, Geschäftsführer der Agentur Stein, die über zehn Jahre Erfahrung mit der Verkaufsförderung und Promotion von u. a. Craft-Bier hat.

Das Angebot von Roisch trifft im Handel auf Zustimmung, denn die vergleichsweise teuren Biere an den Verbraucher zu bringen, kann durchaus eine Herausforderung sein: Bei der Vermarktung bedienen sich Handel und Werbeagenturen zahlreicher Kommunikationselemente: „Das reicht von einer ‚Bier-Vita‘ mit ungewöhnlichen Hopfen und ‚Craft Bier Meistern‘ bis hin zu Tasting Notes und ‚branchenfremden‘ Flaschen-Designs, die an Wein und Champagner erinnern“, erläutert Strobl.

Ein Lebensmittel-Einzelhändler, der auf das Thema setzt, ist Dominik Meiß, Marktmanager im Rewe Green Building in Frankfurt-Praunheim. Stolze 79 Sorten handwerklich gebrauter Biere hat er im Sortiment. Platziert sind sie an stark frequentierten Gängen. Die Gestaltung richtet sich dabei an der Weinplatzierung aus, die Anordnung erfolgt geographisch. Auch Meiß bestätigt, dass Craft-Biere den Nerv der Zeit treffen: „In meinen Augen wird eine jüngere Käuferschaft erreicht, die experimentierfreudig ist. Weiterhin sind die Biere etwas für Genießer, welche die Bereitschaft zum Kauf von hochwertigen Artikeln zeigen und sich über den Kauf von Massenverbrauchern abheben möchten“, sagt der Händler.

Wer sich vom Massengeschmack abheben möchte, der benötigt allerdings auch Kenntnisse der Materie. Warum haben IPAs eine so starke Hopfennote? Mit welchen Gerichten lassen sich untergärige Schwarzbiere kombinieren? Der Handel sollte dem neugierigen Kunden solche Fragen beantworten können. „Craft-Bier polarisiert nicht nur geschmacklich, sondern kann auch zu großer Enttäuschung bei unerfahrenen Käufern führen“, erklärt Roisch von der Agentur Stein. Die Beobachtungen würden zeigen, dass je erfahrener die Käufer mit den komplexen Geschmacksnoten des Craft-Biers sind, desto zielsicherer würden sie fast ohne Anleitung das passende Produkt finden.

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