Lebensmittel-Lieferdienste Lukratives Geschäft?

Der E-Commerce ist das neue Steckenpferd des Lebensmittelhandels. Der logistische Aufwand muss sich jedoch bezahlt machen. Profitieren könnte der stationäre Händler von neuen Online-Supermarkt-Konzepten.

Donnerstag, 30. Oktober 2014 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Lukratives Geschäft?

Es ist die neue Wettkampfdisziplin im Einzelhandel: die Lieferung von frischen Lebensmitteln an die Wohnungstür des Kunden. Seit Jahren tüfteln stationärer Handel und Online-Start-ups auch hierzulande an Konzepten – mit Vorsicht. Denn bisher findet das bequeme Einkaufen vom heimischen Sofa aus keine breite Akzeptanz. Der Marktanteil des E-Commerce am deutschen Lebensmittelhandel beträgt weniger als 1 Prozent und mehr als ein Anbieter hat sich aus dem Geschäft bereits wieder zurückgezogen.

Dennoch wagen sich immer wieder neue Unternehmen auf den Markt, angespornt durch eine erfolgreiche Entwicklung im Ausland. Den Zug verpassen möchte keiner. Die Kosten sowie die Herausforderung der taggleichen Lieferung gilt es jedoch zu beherrschen.

Insbesondere für selbstständige Händler bedeutet der Service neben dem Kerngeschäft eine enorme Zusatzleistung. Die sich lohnen kann – zumindest in Großstädten wie Köln, wie Rewe Richrath bewiesen hat, einer der ersten Rewe-Händler mit eigenem Online-Shop und Lieferdienst. „Die größte logistische Herausforderung für einen Lebensmittel-Lieferdienst ist der Verkehr in einer Großstadt wie Köln“, erklärt Geschäftsführer Lutz Richrath. Für den Erfolg des Services gelte es daher, einige Dinge zu beachten: „Sie müssen auf eine wertschöpfende Preisschiene setzen und Artikel anbieten, die große Bequemlichkeit darstellen, vor allem jedoch sind die Frische der Ware sowie Pünktlichkeit und Vollständigkeit der Lieferung Voraussetzung für die Akzeptanz“, so die Erfahrung des selbstständigen Kaufmanns. Seit 2009 hat er mit seinem Bruder Peter Richrath den eigenen Lieferdienst mit Online-Shop (7.500 Artikel inkl. Frische) für den Raum Köln-Bonn aufgebaut, mit Eröffnung des neuen (13.) Marktes in der Kölner Innenstadt im Oktober 2014 jedoch an Rewe-Online übergeben. Bis dahin hatten Richraths stetige Umsatzsteigerungen generieren können. 350 Bestellungen pro Woche mit einem Durchschnittswert von 125 Euro wurden im Markt in Köln-Klettenberg kommissioniert, ausgeliefert wurde zwischen 9 und 20 Uhr zu wählbaren Zeitfenstern frühestens am Tag nach der Bestellung (ab einer bestimmten Anzahl an Bestellungen für ein Lieferfenster, wurde dies geschlossen). Zehn Mitarbeiter (Kommissionierer und Fahrer) und sechs Küh lfahrzeuge waren für den Service im Einsatz. „Wir haben nach Vollrechnung mit dem Lieferdienst gutes Geld verdient“, betont Richrath. Über die im Vergleich zu den stationären Märkten höheren Artikelpreise sei nie diskutiert worden, die Liefergebühr (bis 55 Euro Bestellwert: 10 Euro) war akzeptiert. Dass die Kaufleute nach Etablierung des neuen Marktes wieder in das E-Food-Segment einsteigen, schließt Lutz Richrath daher nicht aus, jedoch nicht mit einem Vollsortiment sondern mit Spezialitäten, Fleisch etc.

Nach Einschätzung von Marten Freund, Inhaber Schlemmer-Markt Freund, die richtige Strategie. „Ein Online-Shop mit Lebensmittel-Vollsortiment rechnet sich nicht“, so die Erfahrung des selbständigen Kaufmanns, der als Pionier im E-Food-Segment „Lehrgeld bezahlt“ hat. Von 2001 bis Ende 2013 betrieb er zusätzlich zu seinem Kieler Markt einen Online-Shop. Ein Brand im Markt zwang den Kaufmann zur Sanierung der Fläche und zu einer Entscheidung pro oder contra Online-Supermarkt, für den schon länger ein kostenintensiver Relaunch anstand. Hohe Durchschnittsbons von 50 bis 70 Euro sprachen für den Shop, doch die Umsätze stagnierten auf rund 90.000 Euro jährlich. „Der Aufwand im Zuge der neuen Lebensmittelinformationsverordnung wird enorm zunehmen, der Mindestlohn zudem zu Buche schlagen, daher haben wir die Reißleine gezogen“, so Freund. Einen Kommissionierer und einen Fahrer hatte der Kaufmann für den Online-Shop abgestellt, 5 Euro Gebühr nahm er für die Lieferung (ab 25 Euro), 1 Euro extra für jede Getränkekiste. Der Fuhrpark (4 Autos) bestand bereits für den eigenen ‧Catering-Service. Mit taggleicher Lieferung (Bestellung bis 17 Uhr konnte auf Wunsch noch am gleichen Tag geliefert werden, frühestens 90 Minuten nach Bestelleingang) und einem 20.000 Artikel umfassenden Angebot inklusive kühlpflichtiger Produkte blieb eigentlich kein Wunsch offen, der Durchbruch gelang dennoch nicht. Vielleicht sei Kiel einfach zu klein, meint Freund. Chancen sieht er für Lebensmittel-Online-Shops durchaus, jedoch eher für Spezialitäten-Anbieter als für Standard-Artikel.

Damit überlassen selbstständige Einzelhändler das Online-Geschäft mit Lebensmittel-Vollsortimenten vorerst den Handels-Zentralen sowie der zunehmenden Anzahl an Online-Supermärkten mit unterschiedlichen Konzepten. Einen Online-Supermarkt mit bundesweitem Lieferdienst bietet die Deutsche Post DHL mit Allyouneed.com. Rund 20.000 Artikel aus den Bereichen Drogerie, Lebensmittel, Haushaltswaren und Tierbedarf umfasst das Sortiment. Ausgenommen ist Tiefkühlkost. 4,90 Euro (ab 40 Euro kostenfrei) berechnet die DHL für die Lieferung über das klimaneutrale GoGreen-Programm von DHL. Im Aufbau befindet sich ein eigenes Logistiknetzwerk mit DHL-Kurier, das mehr Flexibilität von der Bestellung bis zur Auslieferung, optimierte Verpackungen und kürzere Laufzeiten biete, teilt der Anbieter mit. Noch bis 24 Uhr am Vorabend der Lieferung können Kunden ihre Waren bei Allyouneed.com bestellen. Obst und Gemüse werden täglich frisch vom Großmarkt ins Allyouneed.com-Logistikzentrum geliefert. Die Lieferung an die Haustür soll ab dem Folgeabend ohne Verpackungsmaterial in kompostierbaren Tüten erfolgen. Angeboten wird der neue Service ohne Aufpreis bereits u. a. in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln und München.


Gas geben aktuell Karsten Schaal und Christian Fickert mit Food.de: 2011 in Berlin und Leipzig gestartet, bietet der Shop rund 16.000 Produkte (inkl. Frische und TK), die über einen Großhändler als festen Partner bezogen werden. 33 Städte in verschiedenen Ballungsgebieten wie dem Großraum Hamburg, dem Rheinland und München beliefert food.de aktuell, bei Bestellungen bis 12 Uhr auf Wunsch sogar noch am selben Tag. Die Liefergebühr beträgt 5 Euro. Für die Expansion wurde die Fahrer-Flotte in den vergangenen Monaten deutlich vergrößert. „Städte und Ballungsräume sind das perfekte Liefergebiet für unser Liefermodell“, erklärt Gründer und Geschäftsführer Karsten Schaal. Die größte logistische Herausforderung liege in der Versorgung von potentiellen Kunden in dünner besiedelten Randgebieten und ländlichen Regionen. „Um hier effektiv und kostengünstig auszuliefern, muss das allgemeine Interesse am Lieferdienst in diesen Regionen erhöht werden und das benötigt viel Zeit“, so seine Einschätz ung. Bekundet hatte Schaal Interesse an der Zusammenarbeit mit lokalen, stationären Einzelhändlern. „Wir werden auch weiterhin mit einem Großhändler zusammenarbeiten, da kleine stationäre Dienstleister den Anforderungen an Lieferleistung und Zeitmanagement nicht nachkommen können“, erklärt er.

Einen etwas neuen Ansatz zur Kooperation mit dem stationären Handel verfolgen parallel zwei neue Start-ups. In München können Verbraucher seit Ende Oktober bei Shopwings.de ihren Einkauf aus einem Angebot von rund 6.000 Artikeln online bestellen und innerhalb von zwei Stunden liefern lassen. Möglich machen dies Personal Shopper  die für den Kunden direkt im Supermarkt um die Ecke einkaufen gehen. Sie sollen sogar auf den gewünschten Reifegrad bei Obst und Gemüse oder Käse achten. 4,90 Euro beträgt die Gebühr ab der zweiten Lieferung (Mindestbestellwert 20 Euro), ab 60 Euro ist diese kostenfrei. Die Preise gestaltet das Unternehmen, dessen größter Geldgeber nach Medieninformationen die Samwer-Brüder (Rocket Internet) sind, selbst, um die Kosten zusätzlich zu decken. Ausgeliefert wird z. T. mit den privaten Autos und Rollern der Einkäufer – angesprochen werden hierfür vor allem Studenten.

In Konstanz geht in Kürze mit Shopsters.de ein ähnlicher Service an den Start. Auch hierfür soll im stationären Lebensmittelhandel eingekauft werden, was über die App bestellt wurde, das Lieferfenster sogar nur eine Stunde betragen. Gesucht werden aktuell noch Einkäufer mit eigenen Autos oder Rollern. Die Liefergebühr soll laut Informationen der vorläufigen Webpräsenz 3,99 Euro betragen.

Der Partner-Ansatz mit dem stationären Handel ist nicht neu. Ein Anbieter ist bereits schnell wieder von der Handels-Bildfläche verschwunden. Der Online-Supermarkt froodies.de hatte sich zwischen 2009 und der Insolvenz 2012 Liefergebiete in Hamburg, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Münster und Wuppertal erschlossen. Froodies kooperierte mit lokalen stationären Händlern, deren Märkte als Kommissionierlager fungierten. Entsprechend wird die Branche mit Spannung verfolgen, ob sich die neuen Partner-Konzepte durchsetzen.

Amazon Fresh
Er kam und ging, der September 2014. Doch das von der Branche erwartete Großereignis, der Start von Amazon fresh in Deutschland, blieb aus. Der Lieferservice für frische Lebensmittel des Online-Händlers wird seit einigen Jahren an der Westküste der USA (San Francisco, Los Angeles, Seattle) getestet und dient als beispielhaft für den weltweiten Lebensmittelhandel. Rund 500.000 Produkte des täglichen Bedarfs umfasst das Angebot laut Website. Die Besonderheit: Lokale Geschäfte und Restaurants können mit Amazon fresh kooperieren, der Kunde also frischen Fisch, Wein oder auch Pizza vom lokalen Experten mitliefern lassen. Ein großer Pluspunkt ist darüber hinaus die taggleiche Lieferung, wahlweise vor die Tür oder bis in die Küche im Beisein des Kunden. Voraussetzung für die Nutzung ist eine Amazon fresh-Mitgliedschaft zu einer jährlichen Gebühr von 299 USD (223 Euro) – eine klare Hürde für die breite Akzeptanz des Services. Ob der Lieferdienst in absehbarer Zeit auch in Europa verfügbar sein wird, hat Amazon bisher nicht bestätigt.

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