Supermarkt des Jahres 2020 Sechs Monate Sonderkonjunktur

Ein spannendes Kongressprogramm begleitete die Preisverleihung beim Supermarkt des Jahres 2020. Dabei ging es um wichtige Zukunftsfragen: Wie entwickeln sich die Märkte mit und nach der Pandemie? Und was werden wir morgen essen?

Freitag, 06. November 2020 - Wettbewerbe
Silke Wartenberg und Jens Hertling
Artikelbild Sechs Monate Sonderkonjunktur
Bildquelle: Peter Eilers

Der Lebensmittelbranche wurde durch die Corona-Pandemie eine „Hurra! Sechs Monate Sonderkonjunktur“ geschenkt, erklärte TV-Finanzexpertin Anja Kohl zum Auftakt der Veranstaltung. Insgesamt könne man von weiteren 12 bis 18 Monaten ausgehen, in denen das Verbrauchervertrauen und die Kaufneigung sehr stabil bleiben werden. Viele arbeiten weiterhin zu Hause, Kurzarbeitermaßnahmen wirken, Entlassungswellen sind noch nicht durchgeschlagen und Insolvenzwellen aufgrund von Milliardenprogrammen bauen sich nicht auf. Tendenziell sei aber mit einem verstärkten Preiswettbewerb zu rechnen.

Um sich am Markt zu behaupten, sind laut Kohl vier Aspekte entscheidend: eine Geschäftsgrundlage und Strukturen, die dauerhaft den Erfolg sichern, ein ausreichender Cashflow, Digitalisierung und gute Mitarbeiter. Für entscheidend hält sie darüber hinaus das Besetzen der Nische im Onlinehandel. „Essen, Wohnen und Liefern verschmelzen“, sagte die Finanzexpertin. Nur ein paar Euro gebe der Deutsche für Essen im Internet aus, in Großbritannien seien es mehr als 80 Euro. Allerdings lebten in Deutschland derzeit vier Millionen Menschen in Single-Haushalten, Tendenz steigend. Kohl beziffert das theoretische Marktvolumen für den Online-Lebensmittelhandel auf eine halbe Milliarde Euro und rät, diesen Markt nicht vollständig den milliardenschweren Unternehmen Amazon, Hello Fresh und Delivero Hero zu überlassen.
Digitale Bezahlsysteme haben sich in der Corona-Zeit auch in Deutschland durchgesetzt, und zwar schneller, als alle Leugner es vermutet haben. „Während Corona hat die Kartenzahlung in der Gunst der Deutschen weit gewonnen, sie kommen gut klar“, erklärte Kohl. Zeitgleich sei das Thema Nachhaltigkeit beziehungsweise Klimaschutz „freitagstauglicher Mainstream“ geworden. Die Unternehmen der Lebensmittelbranche hätten längst erkannt, dass sich nachhaltiges Wirtschaften lohnt. Alles andere verursache auf die lange Sicht Kosten, und die Reputation leide. Händlern und Herstellern rät sie, trotz Corona die Bemühungen weiter zu erhöhen.

Im Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz braucht die Branche den Staat als Partner – keine Konfrontation, sondern einen konstruktiven Schulterschluss. Es ist sinnvoll, kleine und mittelständische Lieferanten frühzeitig und über Weltmarktpreisniveau zu bezahlen und deren finanzielle Liquidität sicherzustellen. „Sie brauchen eine Cash-Flow-Entlastung für Ihre Zulieferer, um deren Lebensunterhalt zu sichern. Sie sind zum Gutes-Tun verdammt. Also tun Sie es gut, und reden Sie drüber! Stellen Sie dar, was Sie leisten, dann nehmen die Kunden das auch wahr.“

Ab 2023 kein Bargeld in Schweden
„Bargeldlos wird immer beliebter: Erfahrungen aus Schweden“ lautete der Vortrag von Ninni Löwgren Tischer, Leiterin Market Entry & Business Development der Deutsch- Schwedischen Handelskammer. „Cash ist out und die Karte ist König“, lautete das Anfangsstatement des Vortrags von Tischer. Die Schweden werden laut Tischer die Ersten sein, die die Banknoten abschaffen werden. Vielerorts in Schweden wird bereits heute kein Bargeld mehr angenommen. Mittlerweile werden über 80 Prozent der Käufe nur noch digital getätigt. Der Umsatz im Einzelhandel läuft bis zu 95 Prozent bargeldlos. „In Schweden wird so gut wie alles mit der Karte oder in irgendeiner Form digital bezahlt“, sagte Tischer. Ob im Bus, auf dem Markt oder in der Kirche: Die Schweden zahlen am liebsten elektronisch. So kommt es auch, dass in vielen Bars, Restaurants und Freizeitangeboten nicht einmal mehr die Möglichkeit besteht, mit Bargeld zu bezahlen.

Da erscheint der Schritt zur Abschaffung nahezu zwangsläufig. Von 2010 bis 2012 haben über 500 Bankfilialen ihre Dienstleistungen auf bargeldlosen Betrieb umgestellt. Im selben Zeitraum wurden 900 Geldautomaten abgebaut. Eigentlich sollte Schweden erst Ende 2030 bargeldlos werden. Nun wurde jedoch entschieden, dass die Bargeldzahlung schon ab 2023 abgeschafft werden soll. Im Einzelhandel bezahlt nur noch jeder siebte Kunde seine Einkäufe mit Bargeld. Stattdessen wird vor allem auf Bezahl-Apps wie die App Swish oder Bankkarten zurückgegriffen. Es ist zum einen der Versuch, den Schwarzgeldfluss, Diebstahl und Banküberfälle zu verhindern. Zusätzlich können Banken sich das aufwendige Cash-Handling sparen und erhalten zudem persönliche Daten ihrer Kunden. „Die Bevölkerung selber stört der Wandel wohl noch nicht. Es ist schon zur Gewohnheit geworden, alles mit Karte zu bezahlen“, sagt Tischer. Es ist nicht nötig, sich zur Bank oder einem Automaten zu bequemen, um sich Geld zu besorgen. Selbst Kinder können schon ab sieben Jahren über Debitkarten verfügen. „Das Taschengeld an meine Tochter überweise ich an die Bank“, sagt Tischer.

Es gibt jedoch auch einige Schwächen, die bei der Abschaffung im Hinterkopf behalten werden sollten. In Schweden gibt es rund eine Millionen Menschen, die große Probleme bekommen könnten, wenn sie nicht wie gewohnt an der Kasse mit ihrem Bargeld bezahlen können. Zu diesen Menschen gehören vor allem ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, Zuwanderer und Einwohner mit erschwertem oder keinem Zugang zu elektronischen Geräten.

Diskussion Future Food: Was Kochen wir morgen?
Ein Höhepunkt des Kongresses war die erwartete Diskussionsrunde zum Thema „Future Food – was kochen wir morgen?“. „Viele Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Frage. Wenn die Bevölkerung so weiterwächst wie bisher, werden wir an unsere Grenzen stoßen, was den Rohstoff betrifft für die Lebensmittel, die wir konsumieren. Das ist der Denkanstoß für viele neue Start-ups und Großunternehmen“, sagte Bernhard Düringer, Leiter Produktmanagement Insekten des Schweizer Produzenten Micarna. „Aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung benötigen die Menschen neue Proteinquellen wie beispielsweise pflanzliche Proteine, Algen oder eben Insekten. Auch mit den zunehmenden externen Umweltauswirkungen der klassischen Proteinquellen wie Fleisch und Fisch sind alternative Proteinquellen wichtig“, so Düringer. „Wir brauchen deshalb eine Alternative zum Fleisch, das wir produzieren. Ein besseres Fleisch, das bezahlt wird im Wert. Und wir brauchen ein Produkt, das nachhaltig auch für unsere nächsten Generationen einsetzbar wird“, sagte der Schweizer Produktmanager.

Ludwig Maurer, Koch und Gastronom, ergänzte: „Ich muss nicht jeden Tag Fleisch essen – auf keinen Fall.“ Wenn die Konsumenten dem Fleisch wieder den nötigen Respekt entgegenbringen würden – nämlich als Lebensmittel, das aus Lebewesen entsteht –, dann hätten wir diese Diskussion nicht mehr, so Maurer. Deswegen lautete seine Forderung: „Wir müssen Fleisch viel teurer machen.“ Auf die Frage von Moderatorin Gesa Eberl, ob wir in fünf Jahren überhaupt noch Fleisch essen, antwortete Maurer: „Fleisch wird es in Zukunft nach wie vor geben. Wir haben in den letzten 200 Jahren eine Kulturlandschaft erschaffen, in der Fleisch eine Rolle spielt. Deshalb sollten wir Fleisch auch erhalten.“