Teure Rohstoffe und knappe Energie Drahtseilakt zwischen Kosten und Kontrakten

Der Milchpreis ist hoch – gut für die Landwirte, schlecht für die Verbraucher? Irgendwo in der Mitte liegt die Wahrheit, aber auch ein großes Problem der deutschen Molkereien.

Freitag, 09. Dezember 2022 - Molkereiprodukte
Markus Wörmann
Artikelbild Drahtseilakt zwischen Kosten und Kontrakten
Bildquelle: Mirco Moskopp

Peter Stahl, Vorsitzender Milchindustrie-Verband, sieht für die Molkereien noch Nachholbedarf bei den Preisen.

Die Energiethematik beherrscht die öffentliche Diskussion. Wird genug dafür getan, dass auch die Industrie genügend Strom und Gas hat?
Peter Stahl: Aus meiner Sicht ist das Bewusstsein in Berlin schon vorhanden, wie entscheidend die Energieversorgung für die deutsche Industrie ist. Wir bekommen als Milchindustrie auch viele Sympathiebekundungen, und es wird auch mündlich anerkannt, dass wir auf Gas angewiesen sind – aber einen Status als geschützter Kunde haben wir noch nicht. Insofern bleibt die Unsicherheit für uns als Branche – wahrscheinlich nicht für diesen Winter, aber möglicherweise für den nächsten: Wie kommen wir da durch?

Und wie kommen Sie da durch?
Einige Molkereien haben Gas teilweise durch Öl ersetzt und sind nun vielleicht im Nachteil, weil Heizöl zu teuer ist und nach dem Russland-Boykott noch knapper werden wird.

Noch gut versorgt: Milchprodukte

Deutschland ist im Grunde nicht auf Importe von Milcherzeugnissen angewiesen – auch wenn es sie natürlich gibt. Der Selbstversorgungsgrad ist über alle Segmente hoch, zeigen Zahlen des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BZL) von 2021: Konsummilch: 112 Prozent; Sauermilch, Joghurt und Milchmischerzeugnisse: 128 Prozent; Käse: 127 Prozent und Trockenmilcherzeugnisse: 212 Prozent. Dennoch muss man aktuell genauer hinschauen, denn die Milcherzeugung in Deutschland ist 2021 nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Schnitt um 2 Prozent auf 32,5 Millionen Tonnen erstmals seit vielen Jahren wieder gesunken.

 

Die Bundesregierung deckelt im nächsten Jahr für die Industrie den Strompreis auf 13 Cent und den Gaspreis auf 7 Cent je Kilowattstunde für 70 Prozent des Verbrauchs. Der Rest muss zu Marktpreisen erstanden werden. Gibt es Beispielrechnungen, was dies für eine Molkerei an Kostensteigerung bedeutet?
Beispielrechnungen ergeben da wenig Sinn, weil der Energiebedarf in den einzelnen Kategorien – weiße Linie, gelbe Linie oder Pulverherstellung – extrem unterschiedlich ist. Teilweise kommt es natürlich auch darauf an, zu welchen Vertragsbedingungen Strom und Gas bezogen werden und ob es Festpreiskontrakte gibt – zumindest über einen Teil des Bezuges. Manche Unternehmen haben das gemacht, andere nicht. Wie hart es jetzt die einzelnen Unternehmen trifft, ist abhängig von deren Portfolio und der Vertragsgestaltung.

In den Entwürfen zur Strom- und Gaspreisbremse sollte der Referenzzeitraum bis in den Herbst 2022 reichen. Dann wären die Unternehmen im Nachteil, die schon Energie eingespart haben. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Bezug nehmend auf den ersten Entwurf war das so. Hier konnte der Milchindustrie-Verband jedoch intervenieren. Nun ist das Referenzjahr erneut 2021, und der Referenzzeitraum liegt damit vor dem Krieg.

Werden Verbraucher eine eingeschränkte Produktauswahl akzeptieren müssen?
Damit rechne ich nicht. Die Markenhersteller versuchen, mit ihrem Sortiment breit im Regal zu stehen. Kaufentscheidungen bei Verbrauchern fallen überwiegend erst dort. Und je breiter ich dort platziert bin, idealerweise mit Blockbildung, desto mehr ist dieser Kaufimpuls da und die Awareness für meine Marke. Natürlich überlegt sich jeder bei seinen Randsortimenten und den Langsamdrehern, ob er diese im Sortiment hält, zumal jede Umrüstung der Anlage mit Reinigungsprozessen verbunden ist, die auch Energie kosten. Aber ich glaube nicht, dass es zu spürbaren Sortimentsreduzierungen für Verbraucher kommen wird.

Listungsgespräche kommentieren die wenigsten Molkereien, dennoch zeigen sich einige hinter vorgehaltener Hand nicht unzufrieden mit den Preisentwicklungen. Welche Argumente sprechen für die Molkereien?
Also ganz ehrlich: So wirklich habe ich noch niemanden jubeln hören. Unserer Erfahrung nach haben es die Molkereien bei Weitem noch nicht geschafft, in vollem Maß die Kostensteigerung beim LEH zu platzieren. Wir verzeichnen einen massiven Kostenanstieg bei Rohwaren und eben auch bei Energie, Verpackungen, Logistik und Personal. Es gibt wenige Händler, die haben Kontrakte geöffnet, und vielleicht sind das dann auch Stimmen, die Sie hören. Es gibt aber auch Händler, die haben teilweise Regalpreise nach oben gezogen, ohne ihren Lieferanten höhere Preise zuzugestehen. Summa summarum rechne ich damit, dass die Molkereien gegenüber dem LEH definitiv noch Nachholbedarf haben.

Viele Molkereien machen sich auf den Weg, die Milch klimafreundlicher oder sogar klimaneutral zu produzieren. Wie ist die Branche insgesamt aufgestellt?
Das Bewusstsein für die Themen ist bei jedem angekommen. Ein wichtiges Thema ist die Fütterung: Wie ist diese gestaltet, und welchen Einfluss gibt es darauf, um zum Beispiel den Methanausstoß zu verringern. Allerdings kommt in der ganzen Diskussion manchmal die Bindung von Klimagasen durch das Grünland zu kurz. Da wiederum ist die Haltung und Fütterung der Kühe ein ganz entscheidendes Thema. Professor Wilhelm Windisch von der TU München hat dazu interessante Erkenntnisse veröffentlicht, welche Rolle an sich Nutztiere in der Kreislaufwirtschaft spielen, wenn man ganzheitlich das Thema Ernährung betrachtet.

Und da schneiden die Kühe besser ab als bisher gedacht?
Sie haben geradezu einen notwendigen Platz in der Kreislaufwirtschaft. Cem Özdemir, der sich ja überwiegend pflanzlich ernährt, hat es mal auf den Punkt gebracht: „Mein Gemüse braucht Tiere.“ Denn bei der rein pflanzlichen Ernährung wird nur ein kleiner Teil der Pflanze verzehrt. Die restliche Biomasse kann über das Tier eben sehr gut verwertet werden und sollte es auch.

Auf den Höfen ist der Kostendruck enorm gestiegen: Kraftstoffe, Dünger, Futtermittel. Wie kann man Landwirte aktuell noch überzeugen, in nachhaltigere Bewirtschaftungsformen zu investieren?
Es gibt wirklich genug Landwirte, die aus eigenem Antrieb diese Themen als wichtig erkannt haben und von sich heraus etwas tun. Allerdings müssen Investitionen auch vergütet werden. Aktuell haben wir in Deutschland einen wirklich attraktiven Milchpreis, und da sollten die Landwirte an sich auch zufrieden sein. Es geht natürlich auch darum, wie man zusätzliche Leistungen ausloben und dann in Verbraucherpreise umsetzen kann. Damit wird der Spielraum geschaffen, entsprechend investieren zu können.

Lassen sich diese Auslobungen aktuell noch in Geld umsetzen oder schauen die Kunden zu sehr auf den Preis?
Im Moment haben wir eine Phase, wo Mehrwert- und Markenprodukte unter Druck stehen und eher Handelsmarken im Basiseinstiegsbereich gefragt sind. Ich hoffe natürlich, dass wir diese Phase überwinden und die Verbraucher wieder bereit sind, für nachhaltig erzeugte Produkte mehr zu bezahlen.

Es werden viele Landwirte aus Altersgründen und ohne Nachfolger aufgeben. Wie wird sich die gesamte Erzeugerlandschaft verändern?
Wir rechnen damit, dass der Trend weitergeht und wir Höfe verlieren werden. In den letzten Jahren waren es rund 2–4 Prozent pro Jahr. Und auch die Zahl der Milchtiere wird weiter sinken. Bis vor zwei Jahren ist die Milchleistung in Deutschland nicht zurückgegangen. Letztes und dieses Jahr dagegen lag die Milchmenge unter dem jeweiligen Vorjahr. Und wir sehen, dass jetzt auch die Inhaltsstoffe Fett und Eiweiß zurückgehen, wo die Futtermittelbasis schlechter ist und Kraftfutter eher gespart wird.

Ist das eine verkraftbare Konsolidierung für den deutschen Markt oder bedenklich?
Wir haben in Deutschland und Europa immer noch einen Selbstversorgungsgrad von weit über 100 Prozent. Dennoch scheint gefühlt die Milch knapp zu sein, wodurch die Preise tendenziell hoch bleiben in einer solchen Phase. Wir sehen aber auch, wie schnell Preise reagieren, wenn es kleine Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage gibt – auch global. Grundsätzlich glaube ich, dass wir ein höheres Niveau an Milchpreisen sehen werden.

Das Thema Tierwohl nimmt man kaum noch wahr. Wann kommt das bezahlte Tierwohl in der Milchbranche an?
Bezahltes Tierwohl – das ist auch ein gutes Stichwort. Als Milchindustrie-Verband arbeiten wir mit dem Handel zusammen daran, dass höhere Haltungsstufen auch vergütet werden.

Peter Stahl, Vorsitzender Milchindustrie-Verband

Der Milchindustrie-Verband (MIV) repräsentiert 90 private, genossenschaftliche und multinatio‧nale Unternehmen. Rund 95 Prozent der deutschen Milchanlieferung (rund 30 Millionen Tonnen Milch) und 90 Prozent des Exportvolumens werden von MIV-Mitgliedern erbracht. Mit 28,5 Milliarden Euro Jahresumsatz ist die Milchindustrie der größte Bereich der deutschen Ernährungsbranche.

Dann kam Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mit fünf Stufen …
Genau – und darüber sind wir nicht glücklich, weil das in keiner Weise auf dem aufsetzt, was im Grunde die Wirtschaft schon selbst gestaltet hat, und die Kernidee wirklich ist, dass dies in der Vergütung der Landwirte reflektiert werden kann. Wir hätten uns gewünscht, dass die wirtschaftlichen Initiativen hier Vorrang bekommen, damit die Landwirte profitieren können.

Zum Schluß die Frage: Was waren die positiven Momente 2022?
Ich hoffe, die Landwirte werden trotz der Kostensteigerung das Jahr 2022 in sehr guter Erinnerung behalten, weil die Milchpreise schon außerordentlich gut waren. Worüber ich mich noch gefreut habe, ist der PR-Award für „Let’s talk Milch“. Gerade in der Königsdisziplin Consumer Marketing gibt es der Initiative Milch, hinter der ja 80 Prozent der deutschen Milchmenge stehen, Rückenwind für die Zukunft.