Milchkühe So wirkt sich Milch auf das Klima wirklich aus

Was nun? Sind Milchkühe Klimakiller oder ein Teil der Lösung, wenn es um Klimaschutz geht? Je nachdem, wer befragt wird, schlägt die Meinungshoheit auf die eine oder andere Seite. Ein Faktencheck.

Montag, 26. September 2022 - Molkereiprodukte
Dr. Friederike Stahmann
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Bildquelle: Getty Images

„Klimakiller Kuh“, „Hafer top, Kuhmilch flop“ oder „Höhere Mehrwertsteuer auf Milch“ – Schlagzeilen wie diese machen seit geraumer Zeit die Runde. Corona, Krieg und Energiekrise. Etwas nach hinten gerutscht, bleibt das Thema Klima aber dennoch auf der Tagesordnung. Und damit auch die Frage, wie es um die Emissionen bei Milch aus Kuheutern steht.
Um Lebensmittel in Sachen Nachhaltigkeit miteinander vergleichen zu können, werden Emissionen in sogenannten Kohlendioxid-Äquivalenten angegeben. Damit lässt sich ablesen, wie viel ein Lebensmittel pro Kilogramm zur globalen Erwärmung beiträgt. Es handelt sich also um eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase: von Kohlenstoffdioxid über Methan bis hin zu Lachgas. Weltweit betrug der globale Ausstoß aller klimaschädlichen Gase 2021 laut Umweltbundesamt 36,3 Milliarden Tonnen. 2,1 Prozent davon kamen aus Deutschland. Davon sind wiederum 7 Prozent auf die heimische Landwirtschaft zurückzuführen.

Und welchen Anteil trägt die Milcherzeugung in Deutschland dazu bei? Jetzt wird es etwas kompliziert, denn es kommt darauf an, wen man dazu befragt. So führen Befürworter eines veganen Lebensstils oftmals die Berechnungen des Forschungsteams Poore und Nemecek aus dem Jahr 2018 ins Feld. Das kommt auf einen Wert von 2,2 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalent je Kilogramm Milch (zum Vergleich: Bei der Erzeugung eines Kilogramms Pflanzendrink fallen je nach Grundstoff 0,6 bis 0,9 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalent an). Seine Angaben für Kuhmilch basieren auf Daten aus aller Welt – von Neuseeland, aber auch aus der Sahara. Also überall, wo Kühe gemolken werden. Damit ist es ein sehr grober Durchschnittswert.

Um (sinngemäß) nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, ist es daher sinnvoll, für eine exakte Umweltbilanzierung Werte zu errechnen, die vor Ort anfallen. In einer aktuellen Studie hat das Öko-Institut zusammen mit dem Schweizer Forschungs- und Beratungsunternehmen Infras und dem deutschen Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft im Auftrag des Umweltbundesamtes genau dies gemacht. Die errechneten Werte für in Deutschland erzeugte Milch liegen laut ihren Analysen zwischen 0,89 Kilogramm und 1,12 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalent je Kilogramm Milch (zum Vergleich: Ein Pflanzendrink aus heimischem Hafer kommt auf einen Wert von rund 0,3 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalent je Kilogramm). Das ist also etwa die Hälfte des von Poore und Nemecek errechneten Wertes.

Nicht egal, wo Milch erzeugt wird
Bei hiesiger Kuhmilch liegt eine Spanne von 20 Prozent zwischen dem besten und dem schlechtesten Wert. Das ist mehreren Faktoren geschuldet: Wird im Allgäu, im Mittelgebirge, an der Nordsee oder in Sachsen gemolken? Wie viel Milch gibt die Kuh pro Jahr? Wie lange lebt sie? Und wo lebt sie – in einem biologischen oder konventionellen Betrieb? Und geht sie auf die Weide oder steht sie das ganze Jahr im Stall? Am besten schnitten die Kühe ab, die in einem Biobetrieb mit Weidegang im Mittelgebirge stehen, rund 7.000 Liter pro Jahr geben und vier Jahre lang gemolken werden. So weit die Zahlen für Deutschland.

Egal, welcher Berechnung man glauben mag: Kuhmilch schneidet schlechter ab als Haferdrinks. Daran ist nicht zu rütteln. Bei der Interpretation der Werte sind aber einige Punkte zu bedenken. So werden bei solchen Vergleichen Mengengewichte miteinander verglichen. Also ein Liter Haferdrink mit einem Liter Milch.

Eine vergleichende Betrachtung der Nährstoffe wäre jedoch für ein Lebensmittel adäquater. Hier zeigt sich, dass die Kaloriengehalte bei den pflanzenbasierten Getränken etwas tiefer liegen als bei Kuhmilch. Besonders ins Auge fällt der extrem geringe Eiweißgehalt von 0,5 Gramm je Kilogramm Haferdrink. Demgegenüber stehen 3,3 Gramm Protein bei Vollmilch. Also rund sechs Mal so viel. Würde der CO2-Fußabdruck also pro Gramm Protein berechnet, schnitte Kuhmilch mit 0,03 Kilogramm besser als der Haferdrink mit 0,06 Kilogramm ab.

Ein weiterer Aspekt ist bei der Interpretation der Zahlen zu beachten: Ein Drittel bis die Hälfte von dem, was eine Milchkuh im Futtertrog vorfindet, ist Gras. Frisch, getrocknet oder siliert. Gräser verwandeln mithilfe der Sonne durch Fotosynthese das Kohlenstoffdioxid aus der Luft in Kohlenhydrate und Sauerstoff. Die Kohlenhydrate nutzen sie für das Wachstum ihrer Blätter und speichern sie in ihren Wurzeln. Dadurch sind Grünlandböden die effizientesten Kohlenstoffspeicher. Besser als jeder Acker- oder Waldboden. Grünland ist aber nicht nur eine Futterressource (und nur von Wiederkäuern nutzbar) und ein Speicherorgan, sondern steht auch für ein Mehr an Biodiversität bei Flora und Fauna.

Grünland fördern
Diesen Aspekt hat man bei der Biomolkerei Söbbeke im Blick. Und forciert mit der Aktion „5 mal mehr Weide“ die Grünlandnutzung. „Grasende Tiere regen das Graswachstum und die Wurzelbildung an und fördern damit den Humusaufbau und die CO2-Bindung im Boden“, so die Verantwortlichen. Mehr noch: „Mehr Fläche heißt aber auch mehr Gräser und Kräuter, aus denen Kühe sich ihr All-You-Can-Eat-Büfett zusammenstellen“, ist auf der Homepage nachzulesen.

Und nun zu den Schattenseiten in der Klimabilanz von Milch: Kühe produzieren nicht nur Kohlenstoffdioxid, sondern vor allem Methan – dadurch, dass sie Gras fressen, wiederkäuen und verdauen. An allen in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgasen hat Methan mit rund 6 Prozent zwar einen recht kleinen Anteil, aber es ist 28 Mal schädlicher als beispielsweise Kohlenstoffdioxid. Eine Kuh, die 4.000 Liter Milch pro Jahr gibt, stößt pro Liter umgerechnet 30,8 Gramm Methan aus. Hat die Kollegin im Stall aber doppelt so viel Milch, halbiert sich dieser Wert fast. So konnte in den letzten Jahren die Methangesamtmenge in Deutschland durch Rinder um 25 Prozent gesenkt werden, weil die erzeugte Milch von immer weniger Tieren stammt.

Methan weiter reduzieren
Wissenschaftler arbeiten seit Jahren daran. So wird beispielsweise mit Futterzusatzstoffen aus Algen experimentiert. Ganz aktuell hat das Mittel namens Bovaer eine EU-Zulassung erhalten. Laut Herstellerfirma soll der Zusatzstoff den Methanausstoß von Kühen um 30 Prozent senken.

Wie das funktioniert? Durch den Zusatzstoff werde das Enzym, das im Kuhmagen die Methanbildung auslöst, gestoppt. Danach werde der Zusatzstoff verdaut, ohne dass es negative Auswirkungen auf das Wohlergehen der Tiere, den Futterverbrauch oder die Leistung gebe. Klingt gut. In einem Pilotprojekt zwischen dem Futterzusatzhersteller und der Molkerei Friesland Campina bekommen Kühe in den Niederlanden nun dieses Futter. Hein Schumacher, CEO von Friesland Campina, erläutert, warum: „Letztlich sollen alle unsere Milcherzeugnisse netto klimaneutral werden. Dieses Ziel wollen wir erreichen, auch wenn es nicht von einem Tag auf den anderen geht. Zusätzlich zur Nutzung grüner Energie ist die Senkung der Treibhausgasemissionen von Kühen einer der Wege, unsere Klimaziele zu erreichen. Das erfordert große Innovationen und viele Tests. Wir tun das jetzt auch mit Bovaer, einem wirklich neuartigen Futtermittelzusatzstoff von DSM, der den Methanausstoß von Kühen signifikant verringert.“