„Ohne – der verpackungsfreie Supermarkt“ München Für Erleuchtete

Ein besonderes Erlebnis ließ zwei Münchner ihr Leben überdenken und ein neues Baby aufziehen: Sie wagten den Quereinstieg in den Handel und eröffneten ein Lebensmittelgeschäft, das ohne Verpackungen auskommt.

Montag, 10. Oktober 2016 - Ladenreportagen
Bettina Röttig
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Bildquelle: Martin Hange

Die Geburt des ersten eigenen Kindes verändert das Leben enorm. Für Hannah Sartin und Carlo Krauß warf das Ereignis vor vier Jahren jede Menge Fragen auf: Welche Werte sie ihrer Tochter vermitteln und welchen Lebensstil sie ihr vorleben möchten zum Beispiel, erinnert sich Hannah – sie ist lieber per Du. Sogar ein Leben als Aussteiger hatten die beiden Anfang-30-Jährigen kurz in Betracht gezogen – angesichts der Lebenshaltungskosten in München jedoch rasch wieder verworfen. Dann stießen sie 2014 auf ein Buch zu Zero Waste, „und wir verliebten uns in den Lebensstil“, erklärt Hannah. Mittlerweile zu viert, gestaltete sich der Einstieg in das neue, abfallfreie Leben jedoch alles andere als einfach, das Verpackungsproblem schien gigantisch, nicht nur bei Lebensmitteln sondern auch bei Kosmetik, Hygiene-Artikeln, Medikamenten. Gleichzeitig begeisterten Hannah und Carlo viele Menschen in ihrem Umfeld von der Idee.

Der Gedanke, einen eigenen Laden, der ohne Verpackungen auskommt, inmitten der Münchner Innenstadt zu eröffnen, war schnell gefasst. Anregungen holten sie sich bei bereits etablierten Läden in Berlin und Kiel, die nötige Finanzspritze über eine Crowdfunding-Kampagne über Startnext. Diese brachte ihnen rund 48.000 Euro Startkapital und unerwartet eine zusätzliche Geschäftspartnerin ein, Christine Traub.

Am 20. Februar 2016 wurden aus der Schneiderin (Hannah), dem Ingenieur (Carlo) und der BWLerin (Christine) mit Eröffnung von „Ohne – der verpackungsfreie Supermarkt“ offiziell Lebensmittelhändler. „Ich habe den Handel mit Lebensmitteln im Blut“, antwortet Hannah auf die Frage, was sie mitbrachte für den Quereinstieg in den neuen Job. Ihre Ur-Großeltern hatten einst ein Kolonialwarengeschäft in Oberschlesien. Handelserfahrung hat Hannah sowohl in der Textilbranche gesammelt als auch im Rahmen von Aushilfsjobs im Lebensmittelhandel. Das meiste lernen die drei Gründer aber erst jetzt Schritt für Schritt im neuen Arbeitsalltag.

Patentierte Einrichtung
Als Edel-Purismus könnte man die Ladengestaltung beschreiben: Helle Holzregale und Tische, ein kleiner Kassentisch, ein Bistro-Tresen, davor einige Sitzplätze. Nichts in dem 90 qm großen Geschäft ist von der Stange, weder Ladenbauer noch Architekten legten Hand an. Stattdessen entwickelten Hannah und Carlo die Einrichtung selbst und ließen diese von Unternehmen im Münchner Umland fertigen. Zum Beispiel die Regale mit Halterungen für die ebenfalls selbst entwickelten Lebensmittelspender aus Glas und Edelstahl, in denen sich Mehl, Getreide, Hülsenfrüchte oder Sojaschrot befinden – alles mittlerweile patentiert und vermarktungsfähig. Der Abfüllmechanismus der sogenannten Bulk Bins funktioniert über einen Riegel. Schiebt man ihn nach unten, rieselt die lose Ware durch die geöffnete Schleuse in den darunter gehaltenen Behälter.

Dass man fast alles in einer wiederverwendbaren Mehrweglösung oder komplett ohne Verpackung anbieten kann, das zeigt sich beim Marktrundgang: Teigwaren beispielsweise findet man in Edelstahl-Behältern mit Zange oder Schaufel, losen Tee in Dosen, den lokalen Gin der Marke The Duke in der großen Flasche zum Selbstabfüllen, Reinigungsmittel etwa können aus dem Hahn gezapft werden. Selbst Zahnpasta gibt es im Spender – in Tablettenform.

Und so funktioniert der Einkauf im Ohne-Laden: Mitgebrachte Behältnisse werden zunächst an der Waage neben der Eingangstür vom Kunden selbst gewogen, das Gewicht mit einem Stift auf dem Glas oder der Dose notiert, und schon geht es ans Abfüllen. Beim Kassieren wird das Gewicht des Behältnisses dann abgezogen. Wer spontan einkaufen möchte, kann Stoffbeutel und Gefäße leihen oder kaufen.

Die Lebensmittel sind alle Bio-zertifiziert. Obst und Gemüse kommt von Etepetete, einem regionalen Anbieter, der auch Produkte mit Schönheitsfehlern vermarktet. Weine, Honig aus der Region, Molkereiprodukte oder Feinköstliches bekannter Bio-Marken finden Kunden in Selbstbedienung. Frische Backwaren, Kaffeespezialitäten sowie kleine Gerichte bietet der Ohne-Laden an der Gastro-Theke. Eine Käse- und Wurst-Theke wird es nicht geben. Allerdings kommt an bestimmten Tagen ein Käsehersteller aus der Region mit einem Stand in den Laden.

Auch für klassische Supermarktkunden eher Exotisches ist zu finden. So steht die ein oder andere Kundin etwas verwundert vor den Ruby Cups, Menstruationstassen als Tampon-Ersatz aus medizinischem Silikon. In unterschiedlichen Größen. Im Ohne-Laden sind die Produkte der Renner.

Die Zielgruppe der „Erleuchteten“, also jener Kunden, die sich mit dem Thema Plastik- und Müll-Vermeidung aktiv beschäftigen, ist in der bayerischen Hauptstadt zwar noch klein, so Hannah. Aber viele Vegetarier und Veganer, Lebensmittelallergiker und Anhänger des Clean-Eating-Trends kaufen im Ohne-Laden ein. Und ihre Zahl steigt stetig. Auch das Interesse anderer Händler an den patentierten Bulk Bins von Hannah und Carlo wächst. Ihre Entscheidung, einen neuen Karriereweg einzuschlagen, haben die Gründer bisher keine Sekunde bereut.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Ohne – der verpackungsfreie Supermarkt eröffnete im Februar 2016 im Münchner Stadtteil Maxvorstadt.
Bild öffnen Die richtige Adresse für Umweltbewusste: Ohne, Schellingstraße 42 in München.
Bild öffnen Quereinsteiger in den Handel: Carlo Krauß und Hannah Sartin.
Bild öffnen Der Vertrieb für das ausgeklügelte Regalsystem mit den patentierten plastikfreien Bulk Bins wird gerade aufgebaut.
Bild öffnen Krummes Obst und Gemüse kommt von Etepetete
Bild öffnen Schippen und zapfen heißt es in allen Sortimentsbereichen, ob Backzutaten, Reinigungsmittel oder der regi
Bild öffnen Nonfood-Exoten: Mit Bienenwachs beschichteter Ersatz für Frischhaltefolie sowie Menstruationstassen.
Bild öffnen Backwaren, Kaffeespezialitäten und frische Tagesgerichte gibt es im Bistro, möglichst „to stay“.