Herr Ohlig, welche Innovation hat Sie zuletzt überrascht?
Jens Ohlig: Halo Top erschuf ausgehend von den USA aufgrund vieler gesundheitlicher Probleme in der Gesellschaft ein ganz neues Segment – Gesünderes Eis. Halo Top präsentiert damit eine Lösung für die gesundheitlichen Belange der Eiskategorie: Ein gesundes, proteinreiches und weniger kalorienhaltiges Produkt, das immer noch hervorragend schmeckt. Obwohl die Kategorie Eiscreme generell rückläufig ist, hat es Halo Top geschafft, die Verbraucher mit dieser Variante zu erhöhtem Konsum zu bewegen. Was vor einigen Jahren als Nischenprodukt in der Küche des Gründers begann, eroberte plötzlich aufgrund des vermeintlich „erlaubten“ Genusses den Mainstream-Eismarkt. Allein das starke Halo Top-Produkt an sich trug wesentlich zum Markterfolg bei, aber auch ein attraktives und leicht verständliches Verpackungsdesign, wodurch wichtige Verkaufsargumente am Regal schnell kommuniziert werden konnten. Dadurch hob sich die Marke nicht nur ab, sondern verleitete die Konsumenten auch dazu, das Produkt zu testen...
...nur zu testen reicht aber nicht...
Richtig, aber angesichts des gesundheitlichen Nutzens und des guten Geschmacks kauften die Verbraucher auf Vorrat ein, was schnell zu leeren Regalen führte. Die Einzelhändler waren daher für zusätzliche Platzierungen im Geschäft offen, um dies zu verhindern.
Wie drückt sich dieser Erfolg in Zahlen aus?
Das starke Produkt, die auffällige und leicht verständliche Verpackung sowie die schnelle Anpassungsfähigkeit des Handels führten zu erstaunlichen Ergebnissen: 280 Prozent Umsatzwachstum, gerechnet in US-Dollar; Platz sieben unter den Eiscreme-Marken und 40 Prozent Distributionswachstum. Auch Unilever hat eine ähnliche Range mit „Breyers“. Insofern kann man davon ausgehen, dass Protein-Eis in den kommenden Monaten oder sogar Jahren relevant ist und bleibt.
Passt diese Innovation in einen allgemeinen Trend?
Ja, zum allgemeinen Gesundheitstrend – das heißt, ein gesünderes Ersatzprodukt für ein bestehendes zu entwickeln, das „besser für mich“ ist, Käufer bindet und die breite Nachfrage der Verbraucher befriedigt. Dieser Trend ist in den vergangenen fünf bis zehn Jahren in vielen verschiedenen Kategorien enorm gewachsen. Die Verbraucher wollen nicht nur gesünder essen, sie wollen auch einen gesünderen Lebensstil im Allgemeinen führen. Mehr als zwei Drittel der Verbraucher auf der ganzen Welt verfolgen einen Ernährungsstil, der den Konsum von bestimmten Lebensmitteln oder Zutaten einschränkt oder verbietet. Die Verbraucher sind immer mehr um ihr Wohlbefinden besorgt. Mit einem zunehmenden Fokus auf das, was sie ihrem Körper zuführen, achten sie mehr darauf, was sie kaufen. Das sehen wir auch in unserer Nielsen Ernährungstypologie. Darunter gibt es die Gruppe der „Naturnahen“, die unbehandelte, vertrauenswürdige, umweltfreundliche und nachhaltige Produkte suchen und Wert auf Regionalität, Frische, Saisonalität, Siegel und Fairtrade legen.
Wo bleibt denn da der Genuss?
Während viele Verbraucher aus gesundheitlichen Gründen ihre Ernährung umstellen, gibt es aber immer noch Raum für Genussmittel, da sich Konsumenten gerne mal etwas gönnen oder sich belohnen wollen. Hersteller sollten über die traditionell gesunden Kategorien hinausdenken und darauf achten, den Genuss etwas weniger sündhaft zu gestalten. Genau das hat Halo Top getan. Das Entfernen oder Ersetzen unerwünschter Inhaltsstoffe ist ein guter Ausgangspunkt, aber die Hersteller sollten sich darüber im Klaren sein, wie sich dies auf den Geschmack auswirken kann. Das Produkt kann noch so gesund sein, wenn es nicht schmeckt, ist die Wiederkaufsrate gering.
Welche generellen Trends gibt es sonst noch?
Neben dem Genuss in Kombination mit einer gesünderen Ernährung sehen wir auch noch weitere Trends wie Premiumisierung, Nachhaltigkeit oder Convenience. Das Premium-Segment verzeichnet in vielen Märkten ein starkes Wachstum, das über dem der gesamten Kategorieverkäufe liegt – mit einem starken Potenzial für weiteres Wachstum, da die Kaufkraft der Verbraucher und die Ausgaben weltweit steigen. Die Höhe des Kassenbons steigt aber nicht einfach nur so, sondern Verbraucher greifen vermehrt zu Premiumprodukten für den Alltag.
Was zeichnet ein Premiumprodukt für den Alltag aus?
Viele Verbraucher suchen nach Alltagsprodukten, die besser funktionieren oder ihre emotionalen Bedürfnisse oder sozialen Bestrebungen erfüllen, zu einem Preis, der das Sparschwein nicht sprengt. Das ist DIE Gelegenheit für Mainstream-Marken, Premium-Produkte anzubieten, die im Vergleich zu höherwertigen Premium-Artikeln immer noch erschwinglich sind.
Wie passt da Nachhaltigkeit hinein?
Auch wenn der gesundheitliche Nutzen bei der Wahl der Produkte eine große Rolle spielt, achten die Verbraucher gleichzeitig auch verstärkt auf Nachhaltigkeit. Sie wollen dadurch sicherstellen, dass die Ressourcen künftig nicht erschöpft sind und sie weiterhin ihre gesunden Produkte einkaufen können. Darauf sollten Hersteller besonders achten.
Und welche Chancen bietet die von Ihnen angesprochene Convenience für Hersteller und Handel?
In Bezug auf Convenience wird es immer so sein, dass der Mensch intuitiv den Weg des geringsten Widerstands geht. Die Hersteller müssen also sicherstellen, dass ihre Produkte leicht zu finden, zu kaufen und zu konsumieren sind, wie zum Beispiel die Snacks von Munchbox, deren Nährstoffgehalt ausgeklügelt ist und die in einer umweltfreundlichen Verpackung direkt nach Hause geliefert werden.
Wenn Sie zehn Jahre zurückdenken, welcher Trend von damals ist heute Mainstream?
Aromatisiertes Mineralwasser. Noch vor zehn Jahren gab es schlicht und ergreifend keine Auswahl an kohlensäurehaltigen Wasser mit Geschmack. Dann begann sich der Markt zu entwickeln, indem einige Zitronensorten auf den Markt kamen. Heute sind wir in einer Phase, in der jeder große Hersteller eine ganze Reihe an aromatisierten, sprudelnden Wasser hat. Darüber hinaus findet man auch „craft made“ Mineralwasser mit Geschmack sowie verschiedene Trinkwassersprudler, um aromatisiertes, sprudelndes Wasser auch zu Hause herstellen zu können. Dieser Trend steht auch im Einklang mit dem Gesundheitstrend, da immer mehr Verbraucher gesunde Alternativen zu zuckerhaltigen Soft Drinks und Säften suchen, einschließlich Wasser, das keine Kalorien enthält. Einige Verbraucher wünschen sich hierbei jedoch ein wenig mehr Geschmack und Sprudel.
Welcher Trend von heute wird wohl in zehn Jahren Mainstream sein?
„Snacking“ auf hohem Niveau wird in Zukunft immer wichtiger werden, ebenso wie pflanzliche Lebensmittel und Getränke sowie Fleischimitate. Wie bereits erwähnt, werden die Menschen immer gesundheitsbewusster, haben aber auch immer weniger Zeit, sodass sie anfangen, bestimmte Mahlzeiten, wie etwa das Frühstück, durch gesunde Snacks zu ersetzen. Sie sind sich auch des Klimawandels bewusst und interessieren sich mehr für Nachhaltigkeit und was sie tun können, um zu helfen. Die durch den Fleischkonsum verursachten Umweltauswirkungen haben eine Reihe von Start-ups dazu gebracht, Fleischimitate auf erschwinglichere Weise zu liefern, weshalb wir immer mehr Fleischersatzprodukte in Geschäften auf der ganzen Welt finden.
Gibt es angesichts der Entwicklung hin zu regionalen Produkten mittlerweile auch regionale Trends? Welche sind das?
Da sich der Trend hin zu Regionalität immer weiterentwickelt, sehen wir immer mehr Einzelhändler, die ihre eigenen Marken aus regionalen Produkten kreieren. Einzelhändler wie Lidl, Rewe oder Edeka haben mit großem Erfolg ihre Eigenmarken entwickelt und diese regionalen Produkte in all ihren Filialen beworben. Dadurch werden diese Eigenmarken nicht als Einstiegsmarke mit niedrigen Preisen angesehen, sondern als qualitativ hochwertige Produkte aus unseren Regionen. In bestimmten Kategorien sind diese regionalen Eigenmarken heute bereits führend.
Gibt es regionale Innovationen, die über ihre Region herauswachsen?
Griechischer Joghurt. Nachdem der griechische Joghurt vor zehn Jahren praktisch nicht existierte, ist er heute in allen Supermärkten der Welt erhältlich. Der grundlegende Reiz des griechischen Joghurts scheint für diejenigen, die ihn probiert haben, ziemlich offensichtlich zu sein: Er ist sowohl lecker als auch gut bekömmlich und sättigend, und dennoch nicht zu fett. Sorten mit niedrigem und ohne Fettgehalt behalten die charakteristische Dicke des Joghurts bei, die sich aus einer jahrhundertealten Technik des Heraussiebens von Flüssigmolke ergibt. Griechenland versucht nun sogar, den Namen „Griechischer Joghurt“ rechtlich zu schützen.
Wo sehen Sie im Lebensmittelbereich die größte Notwendigkeit für Innovationen, wo fehlen ausreichend Innovationen?
Ich würde nicht sagen, dass es uns an Innovationen in einer bestimmten Kategorie mangelt. Innovationen gibt es überall in der FMCG-Branche, aber einige Kategorien innovieren mehr und schneller als andere. Zum Beispiel war Bier eine Kategorie, in der wir in den vergangenen fünf Jahren so viele Neuheiten wie Craft-Bier, Spezialitäten wie Keller / Landbier und mehr gesehen haben, während in anderen Kategorien wie Reinigungsmittel Innovationen viel langsamer auf den Markt kommen und in letzter Zeit nicht viele revolutionäre Innovationen vorgefunden wurden.