Interview mit Prof. Dr. Schroiff „Gender-Food ist ein großartiges Ankerthema“

Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff, Autor zahlreicher Bücher zum Thema neue Produkte, über die aktuellen Herausforderungen der Konsumgüterindustrie und den nächsten großen Lebensmittel-Trend.

Donnerstag, 07. November 2013 - Hersteller
Tobias Dünnebacke
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Wie definieren Sie den Begriff „Innovation“?
Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff: Den benutze ich eigentlich gar nicht mehr – außer in unserem Firmennamen InnoChainge, und da passt er auch. Es gibt wohl kaum einen Begriff, der so eklatant und augenwischerisch von den Herstellerfirmen missbraucht wird wie Innovation. Da wird ein bahnbrechendes innovatives Produkt gleichgesetzt mit der zehnten Duft-Variante eines Weichspülers. Ich habe mir deshalb angewöhnt, schlicht und einfach von Neuprodukten zu sprechen, und jedes Produkt, das im Handel eine neue europäische Artikelnummer (EAN) kriegt, ist definitionsgemäß ein Neuprodukt. Dann schaue ich mir an, wie viele dieser Neuprodukte später noch in den Regalen des Handels zu finden sind. Und da sind ja bekanntlich nach zwölf Monaten zwischen 68 bis 80 Prozent aller Neueinführungen schon wieder ausgelistet. Die wahre Innovationskraft eines Unternehmens zeigt sich allein in der überdauernden Konsumenten-Akzeptanz seiner Produkte: Erstkäufer-Penetration und Wiederkaufsrate sind da ganz in teressante Indices. Und damit gilt der Spruch des langjährigen Henkel-CEO Prof. Dr. Ulrich Lehner: ,Innovation ist, wenn der Konsument Hurra schreit.’ Heißt, wenn es tatsächlich gelungen ist, dem Konsumenten etwas Neues und Relevantes anzubieten.

Prof Dr. Hans-Willi Schroff
Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff ist Autor zahlreicher Publikationen zur Markt- und Meinungsforschung. Aktuell ist das Buch „Warum Produkte floppen“ mit Tina Müller (Vorstand Adam Opel AG) erhältlich. Prof. Schroiff war unter anderem viele Jahre Vorstandsmitglied des Marketing Science Institute in Boston und hat verschiedene Aufsichtsratsfunktionen in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen inne. Schroiff ist darüber hinaus Professor am Lehrstuhl für Marketing an der RWTH Aachen.

Sie haben lange in der Konsumgüterbranche gearbeitet. Wie läuft der Innovationsprozess ab? 
Es ist halt so, wie Tina Müller und ich es in unserem Buch „Warum Produkte floppen“ beschrieben haben: Die meisten Unternehmen haben schlichtweg keinen systematischen und kontinuierlichen Innovationsprozess. Man wartet auf Geistesblitze der Forschung und Entwicklung, man orientiert sich an den Wettbewerbern, man delegiert die Verantwortung über Co-Creation oder Crowd-Sourcing an den Verbraucher, man veranstaltet obskure Kreativitäts-Seminare oder Ideen-Wettbewerbe – und wenn alles nichts mehr hilft, schürft man im tiefenpsychologischen Untergrund und sinniert zur Kreativitäts-Stimulation über den Zusammenhang zwischen einem Damenstrumpf und Erdbeerpüree. Kann man alles machen, aber daraus erwächst kein verlässlicher Anteil am Umsatz durch Neuprodukte, und daher bleibt das der Börse annoncierte Umsatzwachstum immer eine wacklige Angelegenheit, das durch weitere Wertverluste wie Promotions oder Preisreduktionen permanent erschwindelt werden muss . Die Wachstumskennwerte müssen ja schließlich erreicht werden. Dass aus diesen Bemühungen wenig an überdauernder Wertschöpfung erwächst, erscheint allen Beteiligten im Nachhinein nicht verwunderlich.

Es mangelt der Industrie heute nicht an Trends. Im Bereich Lebensmittel sind es bspw. Bio, Regionalität, Convenience. Aber sind diese Konzepte wirklich innovativ – in dem Sinne, wie Sie diesen Begriff definieren? 
Bei den von ihnen genannten Begriffen wie ,Bio’ handelt es sich aus meiner Sicht nicht so sehr um Konzepte, sondern um das, was ich als Ankerthemen bezeichne: also grundlegende Denkplattformen oder Wegweiser, die man trefflich als Ausgangspunkt für kreative Lösungen nutzen kann. Bio selbst ist natürlich überhaupt nicht innovativ, aber wenn ich mich von dort mit den entsprechenden Methoden kreativ ein paar Stationen weiterhangele, gelange ich in neue Territorien, in denen ich über ,geleitete Kreativität’ plötzlich Konzepte erschaffe, die vorher auch nicht nur annähernd in meiner Firmen-DNA denkbar waren. Und dann wird plötzlich ein Thema mit einem Bio-Hintergrund wieder neu und interessant inszeniert – und die Konsumenten nehmen es dankbar und begeistert auf.

Als die industrialisierte Lebensmittelproduktion noch in den Kinderschuhen steckte, gab es große Sprünge, wie Tiefkühlkost. Glauben Sie, dass es heutzutage überhaupt noch möglich ist, Innovationen zu erfinden, die unsere Konsumgewohnheiten in einem solchen Maß beeinflussen? 
Ja, das glaube ich schon. Aber – wie Sie korrekt feststellen – es ist schwieriger geworden mit den technologischen Innovationen im Food-Bereich. Das wissen z. B. auch die Anbieter von Tiefkühlkost, und daher wird es auf keinen Fall mehr ausreichen, sich über Benefits wie ununterbrochene Kühlkette zu positionieren und zu differenzieren. Hier wird man sicher Wege finden müssen, über verbraucherzentriertere Angebote zu punkten. Ein Beispiel ist mein Lieblingsthema Gender-Food, also die Schaffung von kreativen kulinarischen Angeboten für Frauen und Männer, deren unterschiedliche Präferenzen im Food-Bereich man bislang eher plattgebügelt hat. Ein großartiges Ankerthema. Sie sollten einmal sehen, was z. B. meinen Studenten an der Tuck School of Business dazu letztes Semester eingefallen ist. Die kreative Inszenierung solcher Themen wird sicher auch zu einer Veränderung von Konsumgewohnheiten beitragen – es müssen nicht immer technologiegetriebene Tr iebfedern für Neuprodukte sein. Ich schließe als Professor an einer technischen Hochschule natürlich auch technologische Neuentwicklungen nicht aus, aber die haben immer den Nachteil, dass Verbraucher sich wenig für technische Hintergründe interessieren. Es liegt für sie keine Faszination darin, dass ein Waschmittel über einen Extruder (und nicht über einen Sprühturm) produziert werden kann.

Was glauben Sie, wo geht die Reise hin? Welche Trends werden die Industrie, den Handel und die Verbraucher in Zukunft beschäftigen? 
Ihre Frage ehrt mich. Wenn ich das wüsste, dann wäre ich ein reicher Mann, weil sich bei mir die großen Firmen die Klinke in die Hand geben und sicherlich viel Geld bei mir lassen wollten, um noch erfolgreicher als andere zu sein. Man muss aber kein Prophet sein, um die Relevanz von Themen wie z. B. Bio, Regionalität und Convenience auch in der Zukunft zu sehen. Hier kommt es wie gesagt darauf an, sich dieser Themen kreativ anzunehmen und sie entsprechend zu inszenieren. Aber Trends passieren ja nicht nur einfach so, sie werden immer auch gemacht. Und da verpassen viele Unternehmen große Chancen, weil sie sich in die Schafherde der Trend-Follower einordnen, die unreflektierte Aussagen von Trend-Gurus als Weltwissen missverstehen. Ich rede daher mit meinen Kunden grundsätzlich zunächst über ihre Wissensbasis von Konsumenten und Märkten als Grundlage von allem. Und da bewegt man sich in der Regel schon auf sehr dünnem Eis. Sobald man über solides Gru ndlagenwissen verfügt, kann man auch Dinge verlässlich extrapolieren und seine Ankerthemen danach ausrichten. Sonst bleibt das alles ein fürchterliches Risiko-Unternehmen. Sich das Vordenken zu erlauben, ist immer noch besser als das Nachsehen zu haben.

Bild: Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der RWTH Aachen.

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