Risiko- und Krisenmanagement Unternehmens-Risiken im Griff?

Produktionsausfälle, Naturkatastrophen, Produktrückrufe. Die Notwendigkeit eines professionellen Risiko- und Krisenmanagements für Hersteller und Handel ist gewachsen.

Mittwoch, 23. Januar 2013 - Hersteller
Bettina Röttig
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EHEC-Killer-Gurken, Dioxin-Eier, Virus-Erdbeeren, Ekel-Alarm in Münchner Großbäckerei. Die Ernährungswirtschaft ist in den vergangenen zwei Jahren erneut mit verschiedensten Krisen und Skandalen in die Negativ-Schlagzeilen geraten.

Denkbare Risiken für Unternehmen gibt es unzählige. Allein rund 1,3 Produktrückrufe bzw. Warnungen werden pro Tag über das EU-Schnellwarnsystem RASFF für Lebens- und Futtermittel (Rapid Alert System for Food and Feed) für Deutschland gemeldet. Auf dem Vormarsch sind jedoch vor allem vermeintliche Skandale. Insbesondere für mittlere und kleine Unternehmen geht es im Krisenfall sehr schnell ums nackte Überleben. So endete z. B. der Skandal der Münchner Großbäckerei Müller-Brot im vergangenen Jahr mit der Insolvenz des Unternehmens.

Die Binsenweisheit „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ gilt eben auch für die Existenzsicherung von Unternehmen. Ein professionelles Risiko- und Krisenmanagement ist heute notwendiger denn je. Gründe hierfür sind veränderte Rahmenbedingungen. Durch NGOs, für die der „kritische Umgang“ mit Nahrungsmitteln teilweise Geschäftsgegenstand sei, seien Lebensmittel in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten, sagt Peter Feller, Geschäftsführer Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Auch Social Media leiste hierzu einen weiteren Beitrag. „Durch diese Entwicklung müssen Nahrungsmittelhersteller mehr denn je davon ausgehen, dass sie mit Situationen konfrontiert werden, in denen sie entscheiden müssen, ob sie sich auf die öffentliche ,Thematisierung’ ihrer Produkte einlassen und wenn ja, in welcher Weise dies erfolgt.“ Die Behördenlandschaft sei heute sehr sensibel, sagt Dr. Michael Lendle, Geschäftsführer der AFC Risk & Crisis Consult GmbH. Man schaue in Deutschland genauer hin als in anderen Ländern. Auch ein gewisser Wettbewerb zwischen Behörden sei im föderalen System nicht immer auszuschließen. „Der Preisdruck im deutschen Lebensmittelhandel erhöht eindeutig die Gefahr weiterer Krisen“, betont Hendrik Löffler, Geschäftsführer der auf Risikomanagement spezialisierten Unternehmensberatung Funk RMCE. Es sei nicht verwunderlich, dass Unternehmen für Rohwaren-Beschaffung nach China auswichen und es zu Fällen wie virusversuchte Erdbeeren komme.

Uwe Knebelsberger, Geschäftsführer der Corporate Trust Business Risk & Crisis Management GmbH, nennt u. a. das Agenda-Surfing der Politiker als Grund für den erhöhten Druck auf die Ernährungsbranche:„Zum einen hat sich die Politik Themen wie Verbraucherschutz mehr auf die Fahne geschrieben, aber vor allem die Verbraucher sind sensibilisierter.“ Auch er sieht ein großes Problem in der heutigen Geschwindigkeit der Nachrichtenverbreitung über Blogs, Foren oder Soziale Netzwerke. „Die Gefahr der Rufschädigung hat mit dem Internet drastisch zugenommen. Dies stellt natürlich auf der einen Seite Unternehmen vor größere Herausforderungen. Auf der anderen Seite ergeben sich jedoch gerade hier auch Chancen für das Unternehmen selbst, wenn es z. B. Blogs und Social Media gezielt und proaktiv dafür nutzt, Vertrauen und Image aufzubauen.“ Dies geschehe jedoch noch viel zu selten.


Stellt sich die Frage, wie die Branche tatsächlich gegen Risiken und Krisen aufgestellt ist. Laut Einschätzung von Peter Feller verfügen die großen, international agierenden und börsennotierten Unternehmen der Ernährungsindustrie aufgrund ihrer Infrastruktur (Stabsabteilungen für PR, Qualitätsmanagement, Rechtsabteilung etc.) über ein „sehr gutes Risiko- und Krisenmanagement“. Der überwiegende Teil der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die rund 92 Prozent des Marktes ausmachten, sei sensibilisiert und habe Vorkehrungen getroffen, um in kritischen Situationen, in denen z. B. Zweifel an der Verkehrsfähigkeit von Produkten auftreten, angemessen reagieren zu können. „Jedoch dürfte in zahlreichen Unternehmen Nachhol- bzw. Optimierungsbedarf bestehen.“

Diese Einschätzung wird untermauert von der ersten repräsentativen Studie zum Stand des Risikomanagements im deutschen Mittelstand von Funk RMCE, Rödl & Partner und Weissman & Cie. Demnach will die Mehrheit der mittelständischen Unternehmen der Ernährungswirtschaft – 87 Prozent – künftig stärker in Ausbau und Optimierung von Risikomanagement-Systemen investieren.

Treiber der Entwicklung seien bei rund 61 Prozent der befragten Unternehmen Anstöße von außen, wie das neue deutsche Bilanzrecht, gestiegene Anforderungen seitens der Kreditgeber, Investoren und Gesellschafter, aber auch Ziele der Inhaber und Geschäftsführer, Haftungsrisiken zu vermeiden.

Robert von Bennigsen, Geschäftsführender Gesellschafter BDJ Versicherungsmakler, weiß, gut vorbereitet sind heute in der Regel die Unternehmen, bei denen schon etwas passiert ist. „Im Vergleich zu Global Playern sind Mittelständler angreifbarer, weil erstere hier weitaus besser aufgestellt sind, Risikomanager beschäftigen und zudem über ganz andere Rücklagen verfügen, um eine Krise abfangen zu können.“

Nach den Erfahrungen von Knebelsberger sieht der Mittelstand Risiko- und Krisenmanagement jedoch zu sehr als Kostenfaktor sowie „Ressourcen-Vernichter“ und nicht als Chance bzw. „Geschäftsbefähiger“.

Dass die Implementierung eines Risiko- und Krisenmanagements zunächst auf der Kostenseite zu Buche schlägt, ist keine Frage. Laut Frank Roselieb, Geschäftsführender Direktor und wissenschaftlicher Leiter Krisennavigator – Institut für Krisenforschung / Unternehmensberatung, liegen die Kosten einmalig zwischen rund 20.000 und 30.000 Euro. Dazu kämen 3.000 bis 5.000 Euro pro Jahr für Audits und Training etc. Konfitüre-Spezialist Zentis beispielsweise investierte vor einigen Jahren rund 1.200 Euro in eine Softwarelösung, hinzu kamen rund 20 interne Manntage und 10 externe Manntage, berichtet Michael Köstler, Leitung Finanzwirtschaft / Risikomanagement bei Zentis.


Überschaubare Ausgaben, stellt man diesen den Krisenfall gegenüber. „Kosten für einen bundesweiten Rückruf, die früher einige Hunderttausend Euro betrugen, können heute in die Millionen gehen, meist können sie nicht bemessen werden. Daher ist der Druck auf Krisen-Prävention so groß“, betont Lendle. Bennigsen verdeutlicht: „Wenn sie ein mittelständisches Unternehmen haben mit 150 Mitarbeitern und einem Umsatz von 30 bis 40 Mio. Euro, sind reine Rückrufkosten in Höhe von 500.000 Euro keine Seltenheit. Noch nicht mit eingerechnet ist dabei der mögliche entgehende Gewinn aufgrund reduzierten Absatzes, geschweige denn die Kosten für die Neupositionierung der Marke.“

Ein professionelles Risiko- und Krisenmanagement schlägt jedoch auch positiv zu Buche. Eine Tatsache, die viele Unternehmen nach Einschätzung der Experten noch zu wenig im Blick haben. „Risiken werden auch in Zinsen festgesetzt. Ein überzeugendes Risikomanagement schlägt sich also direkt positiv in den Zahlen nieder“, so Löffler.

Laut BDJ-Kundenbetreuer Hendrik Bockelmann ist vielen Unternehmen noch nicht bewusst, dass das präventive Krisenmanagement mit einem prozentualen Anteil von 10 bis 15 Prozent der Jahresnettoprämie für beispielsweise Rückrufsimulationen, Krisenkommunikation etc. vom Versicherer bezuschusst werde.

Auch oben zitierte Studie zum Stand des Risikomanagements im deutschen Mittelstand zeigte: Der betriebswirtschaftliche Nutzen eines Risikomanagement-Systems kommt bei den meisten Unternehmen nicht ausreichend zur Geltung. Während immerhin rund ein Drittel der befragten Unternehmen Kostenreduzierungen bei Versicherern erreichten, realisierten gerade einmal 11 Prozent eine wesentliche Vereinfachung der Kapitalbeschaffung bei Banken bzw. verbesserte Kreditkonditionen. Banken seien nach BASEL II in der Pflicht, präventive Bemühungen der Unternehmen zu belohnen, daher sollten diese die proaktive Vermarktung des eigenen Risikomanagements in Richtung Banken intensivieren, so der Tipp seitens der Verfasser der Studie.

Zunehmend Handlungsbedarf wird auch in Zukunft bestehen, insbesondere im Bereich der kommunikativen Krisen, sind sich die Experten sicher. Dass sich die Branche in Zukunft insbesondere im Umgang mit der Öffentlichkeit besser aufstellen muss, zeigt eine Online-Studie zum Thema Risiko- und Krisenmanagement von AFC und BVE, die im November 2011 durchgeführt wurde. Demnach fehlt es dem Großteil der Unternehmen bislang an elementaren Instrumenten für die Krisen-Kommunikation. So verfügen lediglich 14 Prozent der befragten Unternehmen über ausgearbeitete Pressemeldungen zur Information der Öffentlichkeit. Insgesamt finden negative mediale Berichterstattungen, Auswirkungen öffentlicher Diskussionen (jeweils 31 Prozent) sowie NGO-Kampagnen (23 Prozent) als potenzielle Risikofaktoren relativ wenig Berücksichtigung.


Frank Roselieb (Krisennavigator) rät, dass sich Unternehmen besser auf so genannte schleichende Krisen vorbereiten müssen, also möglicherweise vorhandene „Leichen im Keller“: „Beispielsweise war das Thema ,Acrylamid’ in der Lebensmittelbranche schon seit vielen Jahren bekannt. Trotzdem war kaum ein Unternehmen mit Sprachregelungen für den Kundenkontakt, Kernbotschaften für Interviews oder Frage-Antwort-Listen für die Internetseite vorbereitet, als es plötzlich hochkochte.“ Zu beobachten sei auch, dass man nach einigen Themen quasi die Uhr stellen könne. Rund um die Weihnachtszeit müssten Unternehmen der Backwarenindustrie damit rechnen, dass das Thema „Cumarin im Zimt“ wieder aufgegriffen wird. Ebenso werde das Thema „Massentierhaltung“ von Tierrechtsaktivisten regelmäßig im Vorfeld der EuroTier auf die Agenda der Medien gesetzt. Aber auch klassische Unternehmensrisiken wie ein möglicher Datenmissbrauch rückten zunehmend stärker in den Fokus der Öffentlichkeit.

Weitere Infos
  • www.bve.de  2006 wurde das BVE-Krisenmanagement etabliert, das sich an kleine und mittelständische Lebensmittel-Hersteller richtet.
  • www.bdj.de Informationen der BDJ Versicherungsmakler zu Versicherungslösungen wie Produktschutzversicherung finden Sie zusätzlich online unter www.tinyurl/lprisk
  • Unternehmensberatungen mit Fokus auf Risiko- und Krisenmanagement in der Ernährungswirtschaft: www.afc.net, www.corporate-trust.de, www.funk-gruppe.de

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Bild öffnen Krisenmanagement: Professionelle Vorbereitung ist u?berlebenswichtig (Bildquelle: Shutterstock)
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