Bell AG In den Startlöchern

In der Schweiz ist für den größten heimischen Fleischverarbeiter Bell kaum mehr Wachstum realisierbar. In Deutschland und der EU hat die Coop-Tochter viel vor.

Mittwoch, 22. Februar 2012 - Hersteller
Christina Steinheuer
Artikelbild In den Startlöchern

Strategisch kann die Schweizer Bell AG gar nicht anders, als sich neu erfinden. Denn auf seinem Heimatmarkt ist für das eidgenössische Unternehmen Wachstum kaum mehr möglich, schließlich ist man schon der größte Fleischverarbeiter der Alpenrepublik. In den vergangenen Monaten hat der Verwaltungsrat (in Deutschland würde man Aufsichtsrat sagen) verschiedene Strategien für die Schweiz und die internationalen Märkte thematisiert. Diese Strategien beschreiben inhaltlich und zeitlich, wohin für Bell die Reise geht. „Fokus-Land bleibt Deutschland“, sagt Bell-Chef Lorenz Wyss im LP-Interview, „und das viel mehr und ganz anders als bisher.“

Eine Überlegung ist es beispielsweise, vorgelagerte Wertschöpfungsstufen stärker ans Unternehmen zu binden. Die Unternehmen, um die es gehen könnte, zumeist kleinere Marktteilnehmer, haben ohnehin ein hartes Jahr hinter sich. Verschärfend hinzu kam das neue Fleischwerk der Edeka Südwest in Rheinstetten, ein moderner Neubau, in dem vieles nun selbst gemacht wird, was zuvor noch zugeliefert wurde. Auch das hat Auswirkungen auf die Schlacht- und Zerlegebetriebe im Südwesten Deutschlands.

Konzeptionell soll u. a. das Thema Nachhaltigkeit Bells Speerspitze werden. Aktuell untersucht man die internationalen Beschaffungsmärkte: „Wir wollen mit einem glaubwürdigen Nachhaltigkeitskonzept überzeugen“, betont Wyss. Alles andere sei nur Marketing, das der Verbraucher schnell enttarne. Ein Projekt wurde bereits 2011 gestartet: In Estland, Lettland und Litauen gibt es die riesigen Weideflächen, die man für eine tiergerechte Haltung und Aufzucht benötigt. Tests liefen dort bereits sehr Erfolg versprechend. Aber auch in Deutschland wolle man Landwirte überzeugen, für Bell zu produzieren. Die Bindung soll eng sein, Vertragsproduktion sei ein denkbarer Weg.

In Deutschland werde das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnen, im Geflügel-Bereich seien ja erste Schritte schon erkennbar. „Das Thema Tierwohl ist nicht mehr aufzuhalten.“ In Österreich gebe es bereits gute Konzepte und überzeugende Ansätze. „Wir werden uns genau so positionieren.“ Der Handel wäre bereit für einen starken Partner mit einem glaubwürdigen Konzept. Dass schon klare Präferenzen bestünden, mit welchen Handelsunternehmen man diese Nachhaltigkeitsoffensive plane, verneinte der Bell-Chef. Man rede mit allen.


Bislang taucht Bell als Marke in Deutschland kaum auf. In der Schweiz liegt der Umsatz mit Handelsmarkenartikeln bei rd. 60 Prozent. „Auch das wollen wir ändern“, sagt Davide Elia, bei Bell Leiter für Marketing und Kommunikation. Bell soll auf dem Schweizer Markt als A-Marke ausgebaut werden und sich stärker von den Handelsmarken abheben. Gleichzeitig will man in und außerhalb der Schweiz unter der Marke Bell die eidgenössischen Spezialitäten vermarkten, angefangen von der St. Galler Kalbsbratwurst bis hin zum Bündnerfleisch. 2011 wurde eigens dafür der Trockenfleisch-Betrieb in Churwalden gekauft. Denn bis dato konnte der größte Fleischverarbeiter der Schweiz seinen Kunden keine eigenen Bündner-Spezialitäten-Artikel, für die das Land weltberühmt ist, anbieten.

Der Betrieb in Lausanne, in dem regionale Charcuterieartikel hergestellt werden (vgl. S. 53), wird 2013/14 einem Neubau in Cheseaux weichen, in dem auch kleine Losgrößen – z. B. für selbstständige Händler – produziert werden. Bell investiert in diesen Betrieb rd. 32 Mio. CHF. Ruhig, aber entschlossen zielt Bell nach Deutschland. Dort gibt es mit den Tochterunternehmen Abraham, Hoppe und Zimbo bereits ein Fundament.

\\ www.bell.ch
\\ Die Erläuterungen des Zolls zu Bündnerfleisch als Gegenstand der Parlamentsdiskussion www.youtube.com /watch?v=E5agWxzWTsc

Nachgefragt: Lorenz Wyzz
Mit wem aus dem deutschen Handel wollen Sie die Bell-Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland umsetzen?
Wir sind nicht von vorneherein auf einen Handelspartner fixiert und reden mit allen.
Marktzugang durch Übernahme: Wen kauft Bell als nächstes?
Zurzeit haben wir mit unseren bisherigen Akquisitionen genug zu tun.

Um Abraham ist es ruhig geworden, hat Bell da nichts vor?
Ins Portfolio passt noch gut ein eigener Parmaschinken, oder?

Lorenz Wyss, Jg. 1959, Vorsitzender der BellGruppe und Leiter der Direktionen Bell International und Bell Schweiz, ist gelernter Metzger, Dipl.-Kaufmann, Techniker der Fleischwirtschaft, MBA ZFH, arbeitete u.a. bei Jenzer, Gehrig und der Coop (seit 1998) - zuletzt als Leiter Category Management Frischprodukte/Gastronomie
Zahlen und Fakten
2008 ist für Bell das Jahr der Internationalisierung. Die Schweizer übernehmen Groupe Polette in Frankreich sowie Zimbo und Abraham in Deutschland.
2011 folgt eine 49-Prozent-Beteiligung an Hilcona , die 2015 auf 51 Prozent aufgestockt wird. Zudem übernimmt Zimbo Hoppe und Bell in der Schweiz Kocherhans & Schär in Churwalden.
2011 ist der Umsatz der Bell-Gruppe nominal um 3,8 Prozent (100,6 Mio. CHF) gesunken – und zwar von 2,61 auf 2,51 Mrd. CHF. Davon entfielen 1,75 Mrd. CHF auf die Schweiz und 771.000 CHF auf den Bereich „International“.Der Jahresgewinn beträgt 71,6 Mio. CHF (11 Prozent mehr als 2010). Die Eigenkapitalquote liegt bei 50 Prozent. Der Absatz wuchs um 1,9 Prozent auf rd. 224,3 Mio. kg. Der Reingewinn je Aktie liegt bei 180 CHF. Die Ausschüttung je Aktie soll auf 60 CHF erhöht werden. Ende 2011 zählte die Bell-Gruppe 6.470 Mitarbeiter. Die Konjunkturaussichten für 2012 beurteilt Bell zurückhaltend, erwartet ein moderates Absatzplus und will durch Produktivitätssteigerungen Mehrkosten ausgleichen.
Bell AG - Standorte und Sortimente
Oensingen: Rindfleisch-Betrieb (Schlachtung bis Kommissionierung): Fleisch für SB und Theke (frisch und TK), (Halb-)Fertigprodukte für Gastronomie/Industrie.
Basel: Bell-Hauptsitz; Charcuterie (Brühwurst, Rohwurst, Kochpökelware); Schweineschlachtung; Schweinefleisch (Zerlegung bis Verpackung) für SB und Theke; Seafood.
Gossau:  Ostschweizer Charcuterie-Spezialitäten (St. Galler Kalbsbratwurst). Churwalden:  Trockenfleisch-Betrieb für Bündnerfleisch und Bündner Rohschinken.
Zell: Geflügelfleisch: Produkte für SB und Theke (frisch und TK), (Halb-)?Fertigwaren für Gastronomie/Industrie, gegarte Convenience-Produkte.
Cheseaux: Fleisch für SB und Theke (frisch und TK), Charcuterie, (Halb-)Fertigprodukte für Gastronomie/Industrie.
Lausanne: Regionale Charcuterieprodukte.

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