Heidelberger Verpackungsmuseum Kleider machen Marken

Die Geschichte der Industrie-Verpackung ist Jahrhunderte alt. Das Heidelberger Verpackungsmuseum zeichnet ihren Weg zum Markenmacher nach.

Freitag, 20. August 2010 - Hersteller
Markus Oess

Wir schreiben das Jahr 1916, als die berühmte Ur-Konturflasche von Coca-Cola erschaffen wurde. Eine Zeit, in der der erste Weltkrieg tobte und Massenvernichtungswaffen ihren verheerenden Siegeszug durch die Welt angetreten hatten. In Deutschland hatte Kaiser Wilhelm II das Sagen. Noch ein paar Jahre früher, nämlich 1893 kam in Dresden Odol auf den Markt. Die milchweiße Flasche mit dem typischen zur Seite abgeneigten Flaschenhals gilt bis heute als eine der bedeutendsten Design-Ikonen der Markenartikelindustrie. Der Vater der Marke Odol war ein Selfmademan, der für seine Zwecke sogar die bedeutendsten Wissenschaftler seiner Zeit gewinnen konnte.

Sein Name war Karl August Ligner. Seine Erfindung fällt in die Tage, als Robert Koch und Louis Pasteur den Bakterien als Krankheitserregern und Verursachern von Karies auf der Spur sind. Heute, 117 Jahre später, sitzt der Kulturwissenschaftler Hans-Georg Böcher in seinem Verpackungsmuseum, beugt sich über eine alte Schauflasche Odol und parliert über die Idee der Verpackung als Botschafter der Marke. Seit der Eröffnung 1997 rückt das Deutsche Verpackungs-Museum in Heidelberg als erstes und einziges seiner Art die Kulturleistung der Verpackung in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten. „Die Verpackung präsentiert sich immer als Spiegel der kulturellen Entwicklungen unserer Gesellschaft. Die geschichtliche Veränderung verschiedener Produktdarbietungen zeigt auch den Wandel des Alltagslebens im Laufe der Zeit. Die Verpackung leistet als 'äußeres Gewand' eines Markenartikels einen wesentlichen Beitrag zur Differenzierung und Prägung einer Markenidentität“, so Böcher, der zu Hause in seiner Privatsammlung mehr als 30.000 Exponate sein Eigen nennt.

Wenn die Kinder beim Betrachten von Uromas Waschpulver oder der Milchabfüll-Maschine große Augen machen, dürften Eltern und Großeltern erstaunt längst vergessene Flaschen, Kartons oder Dosen aus Kindertagen wiedertreffen. Zu den berühmten Verpackungs-Klassikern zählen u.a. Maggi, Uhu, Nivea, Pril oder Persil. Über ihre Entwicklungen und Erfolge liefert das Museum lehrreiche Hintergrundinformationen. Industrielle Warenverpackungen begleiten seit nunmehr 200 Jahren ihre Produkte, und so manche „Markenkleider“ haben sich zu wahren Schätzchen gemausert. Wechselausstellungen und Sonderschauen ergänzen das vielfältige Museumsangebot. So etwa die Sonderschau „Markenartikel und Verpackungen der DDR“, die zeigte, wie die Waren jenseits der Zonengrenze im Verkaufsregal standen.

Markenartikeln begegneten sogar die Bürger im Sozialismus, wenn auch recht selten. Denn gute exportfähige Ware wurde gegen Devisen im Ausland verkauft. Dazu gehörten Markenartikel wie Radeberger Pilsener, Rotkäppchen-Sekt oder das Fit-Spülmittel, die heute den Sprung in den wiedervereinigten Einzelhandel erfolgreich bewältigt haben. Eine besondere Situation entstand, wenn eine Marke auf beiden Seiten der Grenze weitergeführt wurde, wie etwa das Waschmittel „Fewa“, das seit 1938 von der Werbe-Kunstfigur „Johanna“ präsentiert wurde, die mit rundem Kopf, knallrotem Haar und Kittelschürze auftrat. Nach dem Krieg entwickelten die westdeutsche Henkel KGaA in Düsseldorf und auch der Grafiker und Künstler Horst Geil (1919–1970) in der DDR „Johanna“ für die VEB Fettchemie Chemnitz weiter. „Johanna“ war in der DDR sogar einmal nackt zu sehen, „voller Vorfreude auf ihre frisch gewaschenen Perlon-Dessous“, wie Böcher sagt. „Die deutsche Teilung brachte eine ungewöhnliche Situation für solche Marken mit sich, die von da an schismatisch geführt wurden. Spaß macht es heute natürlich, solche Entwicklungen zu vergleichen“, erzählt der Museumsdirektor.

Aktuell läuft die Sonderschau „Das Wunder von Warstein - vom Dorftrunk zur internationalen Spitzenmarke“. In der Ausstellung widmet sich das Museum dem Bier als „Leitwährung der Sozialgeschichte“. Im Fokus steht ein Wendepunkt beim Konsum nach 1949: Aus der Speisekammer der einfachen Leute schaffte es der Gerstensaft in die gehobene Gastronomie. „Die Marke, mit der sich dieser Wandel historisch verbindet, ist Warsteiner“, erläutert Böcher. Das Werden und Wirken einer der ersten Pils-Sorten mit Premium-Anspruch können Besucher noch bis Ende Juni anhand von fast 600 Exponaten aus dem Archiv der Brauerei verfolgen - so sie es eben schaffen, nach dem üblichen Touristen-Pflichtprogramm auf dem Heidelberger Schloss noch die Hauptstraße entlang zu flanieren und die alte Nothkirche in einem Hinterhof, die das Museum beherbergt, zu besuchen. Der Name Odol entstand übrigens aus dem griechischen Odous (Zahn) und dem lateinischen Oleum (Öl): Kurz, prägnant und klingt in allen Sprachen gleich.

Infos:www.verpackungsmuseum.de

{tab=Bildergalerie, Front}

Schauflasche: Museumsdirektor Hans-Georg Böcher mit einem Odol-Exponat der 20er oder 30er Jahre

{tab=Bildergalerie, 1}

  1. Ein Schokoladenwickler von 1911 der Schweizer Firma Fapal.
  2. Leibniz von Bahlsen schon 1891 nur echt mit 52 Zähnen.
  3. Giftkonserve: Die Blei-Dichtung (um 1830) wurde aufgebügelt.
  4. Vorbild und Nachahmer für Flaschen mit koffeinhaltiger Brause.
  5. Halberstädter, die Urmarke der Wurstkonserve, damals und heute.
  6. Merchandising: Eine Original-Zigarettenschachtel von der Titanic.
  7. Scheunenfund: Das Carepaket von 1949 wurde ungeöffnet entdeckt.

{tab=Bildergalerie2}

  1. Die Treppenfrau war ein Beitrag eines Design-Wettbewerbs.
  2. Bierzeit: Der „Verpackungsweg“ von Warsteiner im Überblick.
  3. Kultmarke: Raymond Loewy ersetzte 1942 Grün durch Weiß und entwarf zwei „Vorderseiten“.
  4. PEZ-Dame: Gerhard Brause schuf das Brause-Weib der 50er.
  5. Kinderspiel: Das Henkel-Logo trug zu DDR-Zeiten Hammer und Zahnrad mit dem Schriftzug VEB Persil-Werk.
  6. Warteschleife: Viele Exponate lagern im Gewölbekeller.
  7. Kaiserlich: Die Schwartau-Dose mit preußischem Adler.