Fleischindustrie Globale Lust am Fleisch

China, Südkorea, Russland aber auch die Türkei importieren so viel Fleisch wie nie zuvor. Enorme Preisaufschläge sind die Folge, auch hierzulande.

Donnerstag, 15. Dezember 2011 - Hersteller
Dörte Fleischhauer
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Eigentlich müsste die Fleischwirtschaft jubeln: Länder wie China, Russland, Südkorea importieren so viel Schweinefleisch wie nie zuvor. Allein Westfleisch exportiert nach Asien viermal so viel Ware wie vor zehn Jahren. Der Grund: Mit zunehmendem Wohlstand verändern sich die Ernährungsgewohnheiten, der Fleischkonsum steigt. Doch die Fleischindustrie hadert mit diesen veränderten Marktbedingungen. Das hat mehrere Gründe.

Die Chinesen präferieren besonders Nebenerzeugnisse vom Schwein: Fett, Ohren, Pfoten und Schwänze – sie gelten als wertvoll, denn ein Tier hat davon nur eine überschaubare Menge. Auch fettreiche Teile sind begehrt. Die verstärkte Nachfrage hat dazu geführt, dass diese Teile aufgewertet wurden und beispielsweise „ein Schweineohr inzwischen teurer ist als ein Kotelett hier“, sagt Egbert Klokkers, Vertriebsleiter Asien/Osteuropa bei Westfleisch. Das habe die Absatzstagnation der vergangenen Monate in Europa positiv beeinflussen können. Jetzt zeichne sich eine leichte „preisliche Rückbesinnung“ ab, weil auch Schinken und Kotelett zunehmend gefragt seien, das Exportsortiment somit breiter werde. Auch wenn die Nachfrage zunimmt, beeinflusst sie den Gesamtmarkt noch nicht wirklich. „Wir können aktuell unsere Bockwurst fast schon aus Schinkenfleisch statt aus Verarbeitungsfleisch herstellen, weil die Preise für Fette und Verarbeitungsfleisch so enorm ge stiegen sind. Der boomende Export treibt die Preise in die Höhe, und wir schaffen uns Konkurrenz im eigenen Land“, sagt Tobias Metten, Mitglied der Geschäftsleitung bei Metten Fleischwaren. Der Schinkenmarkt selbst sei derzeit unterbewertet, denn Edelteile seien im Export momentan nicht stark gefragt. „Das kann im Zuge der sich verändernden Ernährungsgewohnheiten in den Schwellenländern jedoch schnell anders werden“, so Metten weiter. Die Folge: „Hierzulande muss der Verbraucher möglicherweise mit höheren Preisen für Wurst- und Fleischwaren rechnen, da der ’China-Effekt’ die Verarbeitungsware verteuert hat“, prognostiziert Klokkers.

Auch Südkorea braucht mehr Fleisch. Durch die Maul- und Klauenseuche, die Anfang des Jahres dort grassierte, hat das Land rund ein Drittel seines Schweinebestandes verloren. Und Russland ist ebenfalls für die Fleischvermarkter und Zerleger ein beliebter Exportmarkt. Die Russen greifen immer mehr zu Frischfleisch und Edelteilen. Der Ladenverkaufspreis beispielsweise von frischem Schweinefleisch ist ca. 30 Prozent höher als der in Deutschland.


Für Dr. Wolfgang Ingold, Chef des Wurstherstellers Wiltmann und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie, liegen die Gründe für die angespannte Marktsituation woanders. Einer ist der Dioxin-Skandal Anfang des Jahres. Die Folge war ein Preisverfall von Schweinefleisch, denn es wurde weniger konsumiert. Also wurde die Landwirtschaft unterstützt, indem die EU-Agrarminister die private Lagerhaltung erlaubten. Bei der privaten Lagerhaltung wird das Schweinefleisch für einige Monate eingelagert und dem Markt zu einem späteren Zeitpunkt wieder zugeführt. So wurden die Preise künstlich stabilisiert, der Markt subventioniert. Zudem, so Ingold, habe man eine Überflussgesellschaft. Mit Folgen: „Das, was in der Mangelgesellschaft positiv bewertet wurde, nämlich Fett, wird nun negativ bewertet. Innerhalb der vergangenen 30 Jahre wurde Material, das Fett enthielt, immer weniger wert, im Vergleich dazu das Material ohne Fett immer wertvoller.? ?? In Ländern, in denen Wachstum zu verzeichnen ist – wie es Schwellenländer nun mal sind – , ist zunehmender Wohlstand verbunden mit dem zunehmenden Verzehr von Fleisch und Fleischwaren und natürlich auch mit steigender Nachfrage nach Fett. In einem Aspekt widerspricht er Klokkers entschieden: Der Trend zu Pfoten, Ohren und Schweineschwänzen - dieses Phänomen gebe es bereits seit zehn bis 15 Jahren. „Die kulturell bedingte Nachfrage ist nicht größer geworden, die Teile sind auch nicht teurer geworden.“ Wenn dies so gewesen wäre, hätte das zur Entlastung des Fleischpreises hierzulande beigetragen. „Wenn ich diese Teile teurer verkaufen kann als zuvor, müssten die anderen Teile des Schweins günstiger werden, denn es ist ja eine Mischkalkulation.“ Zudem würden ja nicht nur die „kulturell bedingt nachgefragten Teile“ ausgeführt. Der dritte Grund sei der momentan extrem günstige Euro. „Hätten wir noch DM, hätten wir ca. 30 bis 35 Prozent höhere Währungsnotierungen“, so Ingol d. „Wir haben relativ bilaterale Märkte. Mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Aber bezahlen tut‘s der Verbraucher.“

Nicht nur der Markt für Schweinefleisch, auch der für Rindfleisch ist angespannt, denn es wird weltweit mehr konsumiert. „Gleichzeitig haben wir eine Verknappung auf der Angebotsseite. In Argentinien beispielsweise ist in den vergangenen drei Jahren der Rinderbestand von mehr als 60 Mio. um 17 Mio. Tiere gesunken. Die Landwirtschaft verändert sich auch da: Die Landwirte können mit dem Anbau von Mais und Soja mehr verdienen“, sag Karl-Heinz Kraemer, Vorstand Einkauf und Produktion bei Block Foods. Hinzu kommt, dass seit Anfang des Jahres die Türkei den Import von Schlachtrindern erlaubt. Jahrelang hatte sich das Land unter Verweis auf die BSE-Gefahr dagegen gesperrt. Türkische Fleischvermarkter kaufen nun verstärkt Rindfleisch auch aus Südamerika, und zwar Lebendtiere, um Halal-Fleisch produzieren zu können. Ein Umstand, den Unternehmen wie Block Foods schmerzhaft zu spüren bekommen. „Wir haben eine Hochpreisphase, und es sieht so aus, als würden sic h die Preise auf diesem Niveau halten. Und sie bilden sich natürlich im Wiederverkaufspreis für den Endverbraucher ab“, so Kraemer. Und nicht nur das. „Wir betrachten den Markt mit Sorge, wir sehen eine große Konzentration in der Schlachtindustrie. Das wird schon fast in eine Herausbildung von Monopolen münden.“

Dass auf die veränderte Situation auf den Rohstoffmärkten reagiert werden muss, scheint nachvollziehbar. „Die Frage ist: Wie schnell und in welchem Umfang können die Preise weitergegeben werden? Wie reagiert der Handel?“, so Metten. Mit Blick darauf werde das kommende Jahr ebenfalls schwierig werden: Gerade der deutsche Konsument sei preissensibel und werde eher Verzicht üben als dazu bereit sein, mehr für Lebensmittel auszugeben.