E-Fahrzeuge Weniger Akku ist oft mehr

Hohe Reichweite und weniger Ladezyklen: Auf den ersten Blick spricht alles für einen möglichst großen Akku im E-Auto. In der Praxis aber sind kleinere Akkus oft die bessere Wahl.

Dienstag, 14. Dezember 2021 - Hersteller
Bernd Liening
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Bildquelle: AUDI AG

Bei den rein elektrisch betriebenen Autos der ersten Generation hielt sich die Begeisterung der Autofahrer vor allem aus zwei Gründen in Grenzen: hoher Preis und wenig Reichweite. Beides hat sich inzwischen geändert. Die Fahrzeuge werden mit wachsenden Stückzahlen und auch dank staatlicher Förderpakete immer billiger, die Akkukapazitäten und damit die Reichweite immer größer. War anfangs ein „Tankstopp“ nach 100 bis 150 Kilometern fällig, schaffen die aktuellen Modelle mindestens 300 Kilometer. E-Autos wie der Mercedes EQS mit bis zu 770 Kilometer oder Teslas Model S mit 650 Kilometer Reichweite zeigen, was E-Autos heute können. Als nächstes Etappenziel peilen einige Hersteller 1.000 Kilometer für den Alltagsbetrieb an; in Tests wurde das schon erreicht. Ähnlich wie beim Benziner und Diesel gibt es auch bereits pro Modell mehr Auswahl bei den Antrieben und den Akkukapazitäten.

Beispiel Volkswagen: Im kompakten ID.3 stehen drei Batteriegrößen zur Auswahl. Die kompakte Version mit einem Nettoenergiegehalt von 45 kWh ermöglicht eine Reichweite von bis zu 352 km (WLTP) mit einer Ladung. Mit 58 kWh erhöht sich die Reichweite bereits auf außendiensttaugliche 426 km. Und mit der großen 77-kWh-Batterie kommt man bis zu 549 km weit. Beim ID.4 ist die Auswahl ähnlich. Zusätzlich gibt es diesen E-SUV auch noch mit einem Dualmotor-Allradantrieb.

Wichtig ist die richtige Einordnung der von den Herstellern genannten WLTP-Reichweite. WLTP steht dabei für „Worldwide Harmonised Light-Duty Vehicles Test Procedure“ und ist ein weltweit einheitliches und für alle Hersteller verbindliches Testverfahren, das einen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Elektroautos ermöglicht. Da es sich bei der WLTP-Reichweite um einen Durchschnittswert aus unterschiedlichen Teilzyklen (Stadt, Land, Autobahn) und ohne zusätzliche Verbräuche von Klimaanlage oder Heizung handelt, kann die Reichweite im Alltag von der Normreichweite abweichen. Dazu wieder als Beispiel ein Reichweitenvergleich des VW ID.3 nach Batteriegröße: Mit dem 58-kWh-Akku schafft das Fahrzeug nach WLTP 420 Kilometer und eine Praxis-Reichweite von 300 bis 420 Kilometer. Bei der größeren Batterie mit 77 kWh steigen die Werte auf 550 WLTP-Kilometer und 390 bis 550 Kilometer in der Praxis.

Kritischer Blick gefordert
Die Auswahl in Sachen Motorleistung und Akkukapazität wird bei allen Marken immer größer – und stellt damit den Fahrer vor die Qual der Wahl: Welche Batteriegröße ist für meine Zwecke alltagspraktisch und auch ökologisch die bessere Wahl? Schließlich gilt: Je größer der Akku, desto mehr Rohstoffe und Energie verschlingt seine Produktion, desto größer ist sein CO2-Fußabdruck. Der ADAC hat dazu eine Modellrechnung aufgestellt. Unter der Prämisse, dass pro Kilowattstunde Kapazität rund 100 Kilogramm CO2 bei der Batterieproduktion anfallen, kommt die kleine Batterie eines Hyundai Kona auf 3.920 Kilogramm CO2 und die große Batterie auf 6.400 Kilogramm CO2. Die Differenz entspricht laut ADAC ungefähr der CO2-Belastung, die ein deutscher Zweipersonenhaushalt in zwei Jahren allein durch seinen Stromverbrauch zu Hause verursacht. Oder aufs Autofahren bezogen: Der Kona mit der großen Batterie hat bei seiner Anmeldung schon genauso viel CO2 verursacht wie ein Kona mit kleiner Batterie, der bereits 30.000 Kilometer gefahren ist.

Die größeren Batterien haben noch weitere Nachteile: Jedes Kilogramm Mehrgewicht muss beim Fahren mitgeschleppt werden und erhöht den Energieverbrauch. So liegt beim VW ID.3 das Gewicht der unterschiedlichen Akkus zwischen 320 und 500 Kilogramm. Im Beispiel des Hyundai Kona verbraucht die kleine Variante 0,4 kWh pro 100 Kilometer weniger als die große. „Über die Jahre der Nutzung kommen damit entsprechend größere CO2-Belastungen und höhere Kosten fürs Aufladen zusammen“, führen die Experten vom ADAC aus.

Als Faustregel empfiehlt der ADAC: Wer oft Strecken von 250 Kilometern und mehr am Stück fahren möchte oder muss, greift besser zur Modellvariante mit der größeren Batterie. Elektroautos mit einer größeren Batterie haben oft auch höhere Motorleistungen. Nicht zuletzt ermöglichen sie auch an der Schnellladesäule höhere Ladeleistungen, was beim beruflichen Langstreckeneinsatz von entscheidender Bedeutung ist. Auf der Kurzstrecke hingegen, wie sie auch von den meisten Berufspendlern gefahren wird, ist die kleinere Batterie die wirtschaftlich und ökologisch vernünftigere Variante.
Auch die EnBW Energie Baden-Württemberg AG mit Sitz in Karlsruhe hat das aktuelle Angebot an E-Autos, ihre Batteriesysteme und Reichweiten unter die Lupe genommen. Ihr Ratschlag für die Modellwahl: „Wer regelmäßig lange Strecken am Stück fahren muss, kann sich für den größeren Akku entscheiden. Aber selbst in diesem Fall ist ein großer Akku inzwischen keine dringende Voraussetzung mehr, da das Schnellladenetz permanent ausgebaut wird.“ Daher der Tipp der EnBW: „Die Batteriekapazität sollte nur so groß sein, wie sie wirklich sein muss.“

Das richtige Aufladen
Spannend zu beobachten ist die Weiterentwicklung der Akkutechnologie, die sowohl bei den Pkw als auch den Nutzfahrzeugen mehr Effizienz bei weniger Ressourcenverbrauch verspricht – und damit auch den Einzelhandel bei seinen Klimazielen unterstützt. Besonders ambitionierte Ziele verfolgt die BMW Group. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll die Energiedichte von Batteriezellen um mindestens einen mittleren zweistelligen Prozentbereich steigen. Vorstandsmitglied Frank Weber: „Wir entwickeln die Batteriezelle der Zukunft. Sie wird leistungsstark, sicher, kostengünstig und kreislauffähig sein – von der Materialauswahl über die Verwertbarkeit nach dem Einsatz im Fahrzeug bis hin zum Recycling.“ Im Zentrum der BMW-Forschung steht die Feststoffbatterie-Technologie. Weber: „Bis zum Ende des Jahrzehnts werden wir eine Automotive-taugliche Feststoffbatterie für den Serieneinsatz realisieren.“

Egal ob große oder kleine Batterie, Kurz- oder Langstrecke: Mit dem richtigen Lade- und Nutzungsverhalten kann der Fahrer einen entscheidenden Einfluss auf die Batterielebenszeit nehmen. Darauf weist Audi hin und gibt Tipps zum richtigen Umgang mit E-Autos. Regelmäßiges Laden auf 100 Prozent ist nicht nur für den Fahrer Stress, sondern auch für die Batterie. Ihre Kapazität nimmt vergleichsweise schneller ab. Beim Einsatz auf Kurzstrecken empfiehlt Audi daher, bis maximal 80 Prozent zu laden. Bei Langstrecken hingegen sollte die maximale Batteriekapazität zugunsten der Reichweite genutzt werden – allerdings erst kurz vor Fahrtbeginn, um einem schleichenden Energieverlust vorzubeugen. Auch das Schnellladen (High Power Charging mit über 100 kW) empfiehlt Audi hauptsächlich für die Langstrecke. Steht das Auto im Alltag über einen längeren Zeitraum, sollte der Ladestand der Batterie idealerweise zwischen 30 und 80 Prozent betragen – nicht zu voll geladen, damit der Alterungsprozess nicht beschleunigt wird, nicht zu leer, damit für genügend Reichweite gesorgt ist und man nicht ungewollt stehen bleibt.