Crowd-Investment Lukrative Schwärmerei

Die „Crowd“ – ein schwammiger Begriff in modernem Denglisch, der für den Bio- sowie Finanzmarkt von wachsender Bedeutung ist. Immer mehr Öko-Hersteller, insbesondere etablierte Markenanbieter, lassen sich Projekte und Wachstumsstrategien mithilfe des „Schwarms“ finanzieren. Über die Vorteile und Herausforderungen.

Mittwoch, 05. Februar 2020 - Hersteller
Bettina Röttig
Artikelbild Lukrative Schwärmerei
Bildquelle: Getty Images

Der Gang zur Bank ist für kleine und mittelständische Unternehmen heute oft kein leichter. Um mehr Kapital für nötige Investitionen aufzunehmen, sind deutlich mehr Sicherheiten gefordert, die Konditionen sind härter geworden. Dass es jedoch Alternativen zum klassischen Bankkredit gibt, hat die Start-up-Szene vorgemacht: Die Schwarm-Finanzierung boomt.

Einige Online-Plattformen setzen einen Schwerpunkt auf nachhaltige Unternehmen sowie Projekte und gewinnen mehr und mehr etablierte Bio-Hersteller als Kunden. In den vergangenen vier Jahren wurden alleine beim Digitalfinanzierer Finnest.com 27 Kampagnen mit Unternehmen der Bio-Branche in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt. Dabei boten Anleger den Unternehmen nach Angaben von Finnest rund 18 Millionen Euro an. Richtig angefasst, bringen Crowdinvest-Kampagnen nicht nur zusätzliches Kapital, sondern auch positive Marketingeffekte.

So benötigt Saft-Spezialist Beckers Bester aktuell eine zusätzliche Finanzspritze für wichtige Modernisierungen und Erweiterungen von Produktionsanlagen. Derzeit läuft über Finnest.com die zweite Crowdinvest-Kampagne des Familienunternehmens. Das Familienunternehmen Tress Lebensmittel (Marke Tress Brüder) hat Anfang 2019 über die Plattform Econeers.de mehr als 1,1 Millionen Euro von 656 Investoren eingesammelt und Voelkel Fruchtsäfte eine neue Abfüllanlage mit rund 1,5 Millionen über Finnest mitfinanziert.

Der junge Bio-Spätzleteig-Hersteller Frizzle schaltete eine Kampagne über Conda.eu und erzielte gut 446.000 Euro von 446 Klein-Investoren, während die Berliner Veganz Group gleich mehrere Millionen Schwarm-Kapital über verschiedene Finanzierungs-Runden über Kapilendo und Seedmatch einfuhr. Gerade läuft die nächste Kampagne, über die satte zehn Millionen Euro erzielt werden sollen.

So Läuft es
Das Prinzip dahinter: Zu Laufzeiten von meist fünf bis sechs Jahren werden Klein-Investoren Nachrangdarlehen zu jährlichen Zinssätzen von bis zu acht Prozent angeboten. Beckers Bester bietet aktuell eine Verzinsung von bis zu fünf Prozent jährlich (fix). Zusatz-Anreize schaffen sollen Angebote wie ein 50-Prozent-Bonus für Investoren, die mindestens 1.000 Euro anlegen und sich ihre Zinsen in Gutscheinen auszahlen lassen. Ab 5.000 Euro erhalten Investoren regelmäßig eine Auswahl exklusiver Neuprodukte, bevor diese in den Handel kommen.

Zweifelsfrei sehr verlockende Angebote. Für den Investor ist das Unterfangen jedoch riskant: Geht der Kreditnehmer pleite, werden andere Gläubiger vorrangig behandelt, im schlimmsten Fall droht somit der Totalverlust des Kapitals.

Für den Kreditnehmer bringen Crowdinvestment-Kampagnen jedoch eine Reihe an Vorteilen mit sich, die entscheidend sein können, um Weichen zu stellen für die Zukunftsfähigkeit und Etablierung eines Unternehmens im Markt.

Eigenkapital erhöht
Die Notwendigkeit eines schnellen Wachstums, um im trendigen bio-veganen Segment jetzt eine führende Markenposition zu besetzen, hat Hersteller Biovegan (Marken: Biovegan, Nicol Gärtner) dazu veranlasst, auf Crowdfinanzierung zu setzen. „Banken verstehen die Marktdynamik zu wenig, fordern sehr hohe Sicherheiten und zudem ein deutlich langsameres Unternehmenswachstum“, sagt Biovegan-Geschäftsführer Matthias A. Gärtner. „Wir stehen aber unter Zeitdruck. Wenn erst große Player wie Dr. Oetker oder Nestlé in unseren Warengruppen auf den Zug aufspringen, haben wir mit unseren Budgets kaum noch eine faire Chance.“

Das Unternehmen aus Bonefeld im Westerwald ist auf einem guten Weg, verzeichnet jährliche Umsatzsteigerungen zwischen 25 und 30 Prozent. Lag der Umsatz 2008 noch bei 600.000 Euro, schloss Biovegan das vergangene Jahr mit mehr als 15 Millionen ab. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen Matthias A. und seine Frau Nicol Gärtner, Geschäftsführende Gesellschafterin und Tochter der Unternehmensgründerin, ihren Umsatz noch einmal verdoppeln.

Dynamisches Wachstum erfordert auch höhere Investitionen in Produktentwicklung, Rohstoffsicherung oder Maschinen. In der niedrigmargigen Ernährungswirtschaft könne man als mittelständisches Unternehmen die Eigenkapitalquote jedoch nicht entsprechend den Forderungen der Banken steigern, erläutert Matthias A. Gärtner weiter. Biovegan hat daher bereits zwei Crowdinvest-Kampagnen (Finnest) erfolgreich beendet. Mit der ersten Tranche wurde Anfang 2019 eine knapp siebenstellige Summe eingesammelt, mit der vor allem der Aufbau eines Rainforest-Alliance-zertifizierten Bio-Vanilleanbaus in Madagaskar finanziert wird.

Im Herbst 2019 folgte die zweite Kampagne. Die angestrebte siebenstellige Summe wurde in nur drei Wochen erreicht. Finanziert werden soll damit das Ziel von Biovegan, bis Ende 2020 ein komplett plastikfreies Unternehmen zu werden, inklusive der Umstellung auf 100 Prozent vollkompostierbare Produktverpackungen. Gerade in die Entwicklung letzterer fließe nicht nur jahrelange Arbeit, sondern auch viel Geld, so Nicol Gärtner. Im Vergleich zur klassischen Bankenfinanzierung mit eher kurzen Rückzahlfristen, sind die Laufzeiten der Crowdinvestments recht lang. Auch bei vorzeitiger Liquidität können diese vom Unternehmen nicht vor Ablauf der fünf Jahre abgelöst werden.

Verhandlungsposition gestärkt
Doch die Vorteile der alternativen Finanzierung überwiegen für Biovegan: Der Zinssatz der Nachrangdarlehen sei deutlich niedriger als von den Hausbanken geboten. „Zudem stärken wir unsere Verhandlungsposition gegenüber den Banken, wenn es um künftige Finanzierungen geht“, so der Geschäftsführer. Denn die Nachrangdarlehen erhöhen als so genanntes Mezzanine-Kapital das haftbare Eigenkapital.

In Verhandlungen um Bankkredite bestimmt die Eigenkapitalquote die Grenzen der Fremdkapitalaufnahme und den Rahmen der Finanzierungsmöglichkeiten insgesamt. Je mehr Eigenkapital, desto günstiger in der Regel die Konditionen bei der Darlehensaufnahme. Demnach stärkt ein Unternehmen mithilfe von Crowdinvestments auch seine Verhandlungsposition gegenüber der Bank.

„Wir sehen das Crowdinvest als gute Ergänzung und Alternative zur reinen Bankfinanzierung, auch um mögliche Finanzierungsrisiken über eine Streuung durch verschiedene Darlehensgeber zu minimieren“, bestätigt Jan-Peter Bauck, Geschäftsführer von Bauck (Bauckhof). Der Naturkost-Spezialist hat sich den Bau einer zusätzlichen modernen Mühle zur Produktion von glutenfreien Flocken und Mehlen in Bio- und Demeter-Qualität durch die Finnest-Crowd teilfinanzieren lassen. Das Ziel von einer Millionen Euro wurde sogar überzeichnet. Die Investoren konnten ihre Wunschfinanzierung zwischen zwei und fünf Prozent wählen, der Zuschlag lag bei 3,5 Prozent. Bauck ging es darum, mit der Kampagne die vielfältigen Kundengruppen stärker in die Entwicklung des Unternehmens einzubinden und den Ausbau der Bio-Landwirtschaft zu fördern. Gut angenommen wurde die Möglichkeit, sich die Zinsen in Form von Warengutscheinen ausbezahlen zu lassen und dafür einen Bonus von 20 Prozent zu erhalten. So wird gleich der Absatz der Bauckhof-Produkte erhöht.

Marken-Botschafter
Für Biovegan hatten die Crowdinvest-Kampagnen darüber hinaus wertvolle Marketing-Effekte, und das Unternehmen gewann mit den Investoren, pro Kampagne zwischen 150 und 200, treue und engagierte Partner (auch Händler investierten), Kunden und Multiplikatoren.

Auch für andere Unternehmen liegt genau darin ein besonderer Wert des Crowdinvestments. So haben sich Tress Lebensmittel (Tress Brüder) vor allem aus Marketinggesichtspunkten für die alternative Finanzierungskampagne entschieden. „Wir erhoffen uns hieraus den Crowd-Effekt, der Investor soll automatisch auch sein Netzwerk für die Produkte aktivieren und begeistern“, erklärt Dominik Tress. Das Unternehmen hatte in der Kampagne eine Art Stufenfinanzierung beworben und genau erklärt, welche Pläne es ab welcher Summe realisieren möchte: Ab 100.000 Euro ging es um den Ausbau der Listungen und Lagerbestände, ab 300.000 Euro sollte der Launch neuer Bio-Fertiggerichte angegangen, ab 500.000 Euro zudem der Ausbau der Vertriebsstrukturen des Außendienstes finanziert werden und ab 750.000 ging es zudem um die Weiterentwicklung nachhaltiger Verpackungen.

Am Ende wurde mit gut 1,1 Millionen Euro (die Verzinsung lag bei 6 Prozent) das höchste Finanzierungsziel sogar deutlich übertroffen. Mit den Extra-Euros konnten einige Themen schneller realisiert und die Brand-Awareness gesteigert werden.

Bei Laune halten
Um aus Anlegern Multiplikatoren zu machen, gilt es, diese über die nächsten Jahre hinweg zu aktivieren und darüber zu informieren, was mit deren Geldern erreicht wird. Die gezielte Kommunikation mit den Investoren kann somit auch Veränderungen in der Unternehmenskommunikation nötig machen. Bei Bauck werden die Anleger regelmäßig auf dem Laufenden gehalten. Sie bekamen beispielsweise zum Jahreswechsel Infoschreiben zum Stand der Baumaßnahmen der neuen Bauck-Mühle und ihrem Investment. Auch Tress sendet regelmäßige Reportings an die Investoren. „Unsere Investoren sind natürlich sehr interessiert daran, was mit ihrem Kapital geschieht und wie sich unser Unternehmen weiterentwickelt“, erklärt Bredack. Sie seien eine wichtige Anspruchsgruppe, aber auch Förderer und Fans der Marke. So werden wesentliche Neuheiten nicht nur über Social-Media-Kanäle bekannt gegeben, sondern auch gezielt per Newsletter an die Anleger.