Roundtable Ostdeutsche Produkte Regional mit überregionalem Anspruch

Amiga oder Brockenhexe kennen nur noch Kenner. Aber viele Marken der früheren DDR gibt es immer noch. Manche sind national präsent, andere nicht. Sind die Hürden zu hoch? Zum Thema traf sich auf Einladung der Lebensmittel Praxis eine Gesprächsrunde.

Donnerstag, 19. Juli 2018 - Hersteller
Silvia Schulz
Artikelbild Regional mit überregionalem Anspruch
Bildquelle: Santiago Engelhardt

Die Themen sind die gleichen: Regionalität, Wertschätzung für Lebensmittel, Markenpflege. Hier gibt es kaum Unterschiede zwischen ostdeutschen und westdeutschen Markenartiklern. Im Detail gibt es die Unterschiede dann aber doch. In spannender Offenheit diskutierten Matthias Gaida, Geschäftsführer „Die Thüringer Fleisch- und Wurstspezialitäten“, Sebastian Kühn, Geschäftsführer EWG Eberswalder Wurst GmbH, und Marco Thiele, Geschäftsführer „Kathi Rainer Thiele“, bundesländer- und branchenübergreifend über Ziele, Visionen, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Schwierigkeiten sowie den Zugang zum Lebensmittel-Einzelhandel (LEH).

Thüringer, Dornheim
  • Die Thüringer GmbH, Am Lohfeld 1, 99310 Dornheim
  • www.diethueringer.de
  • Sortiment: Bratwurst, Rohwurst, Kochwurst, Brühwurst,
  • Aufschnitt, Frischetheke
  • Toppseller: Thüringer Rostbratwurst

Herr Kühn, Herr Thiele, Herr Gaida – wie laufen die Geschäfte?
Sebastian Kühn: Das nach der Wende in die Insolvenz gegangene Unternehmen SVKE – Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde – wurde 1977 gegründet und war der Grundstein für die heutige Marke Eberswalder. Wir sind heute wieder der Wursthersteller Nr. 1 für die Region Berlin-Brandenburg. Und das sind immerhin sechs Millionen Konsumenten. Viel weiter schauen wir im Moment nicht.

Marco Thiele: Unser Bekanntheitsgrad im Osten liegt bei 85 Prozent, was auch daran liegt, dass meine Großeltern die Marke „Kathi“ bereits 1951 haben schützen lassen. So war der Firmenname unseres Familienunternehmens trotz Enteignung stets präsent. Heute sind wir Marktführer im Osten.

Matthias Gaida: Wir sind sehr zufrieden! Thüringer Wurst ist über die Grenzen Thüringens hinaus sehr bekannt und beliebt. Überdies wird vom Verbraucher und damit vom Handel immer mehr Regionalität nachgefragt. Vor diesem Hintergrund sind wir sowohl in als auch außerhalb Thüringens sehr erfolgreich dabei, unsere heute schon beachtlichen Distributionsquoten weiter auszubauen.

Regionalität ist „das“ Thema derzeit. Händler profilieren sich mit regionalen Produkten. Sie auch?
Gaida: Klar. Wir stellen „Regionale Spezialitäten“ mit überregionalen Vermarktungspotenzialen her. Regionalität ist quasi unser Geschäftsmodell. Das gilt nicht nur für die Herstellung unserer Produkte, sondern auch für die Auswahl unserer eingesetzten Rohstoffe. Der Verbraucher ist heute wesentlich interessierter, zu erfahren, wo diese Rohstoffe herkommen. Diesen Bedarf verstehen wir als Aufgabe und Chance zugleich, uns entsprechend zu differenzieren.

Thiele: Wir verwenden nur Mehl nach dem regionalen Qualitätsprogramm „Ährenwort“ (Mühlen-Qualitätsprogramm, Anmerkung der Redaktion). Dies steht für regional erzeugtes Getreide und eine gleichbleibend hohe Mehlqualität mit optimalen Backeigenschaften. Regional bedeutet hierbei übrigens aus dem eigenen Bundesland und angrenzenden, also Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Kühn: Und noch ein Aspekt: Bei Jahresgesprächen im Handel geht es nicht nur um Konditionen. Die Handelsseite will auch wissen, wo der Rohstoff herkommt, auf welchen Werten die Marke basiert.

Kathi aus Halle
  • Kathi Rainer Thiele GmbH, Berliner Str. 216, 06116 Halle
  • Gründungsdatum 1951
  • www.kathi.de
  • USP: Ährenwortkonzept, ethische Unternehmensführung, regionale Verantwortung (unter anderem Träger des Ethikpreises und Hidden Champion in der Kategorie Verantwortung)
  • Besondere Aktivität: Backen mit Kindern (Kathi- Weihnachtsbäcker, Patenschaften), Eventbäckerei „Kathi’s Backzauber“, Handelsund Nichthandelspromotion mit eigenen Mitarbeitern, außerdem jährliches Kathi Hoffest zum Kindertag
  • Motto/Vision „Kathi ist die zeitgemäße Art, wie selbstgemacht zu backen“
  • Sortiment: Backmischungen und Mehle
  • Artikelanzahl: Sortiment mit insgesamt etwa 60 Artikeln (inklusive Export)
  • Toppseller: Hefe- und Streuselteig, Mandarinen Schmandkuchen sowie der Papageienkuchen

Haben es Produkte von ostdeutschen Herstellern bei der Listung im LEH schwer oder gar schwerer?
Kühn: An der Wertschätzung für Lebensmittel muss noch gearbeitet werden. Und zwar bei Handelspartnern, aber auch den Konsumenten.

Thiele: Die Herkunft der Lebensmittel – ob aus dem Osten oder Westen – spielt dabei aber schon lange keine Rolle mehr. Es geht um das Produkt.

Gaida: Die Chancen sind heute tatsächlich gleich, wenn in Teilen nicht sogar besser. Denn regionale Produkte erfreuen sich, wie gesagt, beim Verbraucher großer Beliebtheit. Entscheidend ist: Das Gesamtpaket muss passen, dann klappt es auch mit der Listung.

Immer öfter wird der Handel zum Hersteller und das nicht nur durch Eigenmarken, sondern auch durch Zukäufe. Verkaufen Sie auch direkt?
Thiele: Wir vertreiben unsere Produkte über den LEH und haben einen Online-Shop. In unserer Heimatstadt haben wir zwei kleine Ladengeschäfte. Eigene Läden sind darüber hinaus nicht in Planung.

Kühn: Wir beliefern den LEH, haben aber auch drei eigene Läden. Die befinden sich im Brandenburger Land. Dabei soll es auch bleiben.

Gaida: Wir betreiben in näherer Umgebung zu unserem Produktionsstandort lediglich zwei Ladengeschäfte. Mehr werden es nicht. Die Belieferung des LEH und Discount ist und bleibt unser Schwerpunkt. Hier liegt auch – wie viele Bespiele zeigen – die Kernkompetenz für direkte Vermarktung und Verbrauchernähe.

Was sind Ihre aktuellen Ziele?
Kühn: Wir wollen die Marke Eberswalder zur Nummer eins in der Region machen. Darüber hinaus wollen wir das Aktionsgeschäft Eberswalder national weiter ausbauen, und wir liebäugeln auch mit Europa.

Thiele: Regionalität ist unser Schwerpunkt. Doch natürlich sind wir auch bestrebt, den Export weiterzuentwickeln. Dazu besuchen wir internationale Messen, fokussieren uns aber aufgrund unserer Größe auf bestimmte Länder.

Gaida: Wir möchten unsere starke Position im Bereich der „Regionalen Spezialitäten“ weiter ausbauen. Sehr gute Differenzierungschancen sehen wir dabei unter anderem in einer nachhaltigen und regionalen Beschaffung unserer eingesetzten Rohstoffe. Hierbei ist eine antibiotika- und genfreie Aufzucht, neben optimalen Haltungsbedingungen der Tiere, besonders zielführend. Überdies arbeiten wir auch sehr konzentriert in Bereichen wie Salzreduktion unserer Rezepturen und nachhaltige Produktverpackungen weiter an deutlichen Fortschritten.

EWG aus Britz
  • EWG Eberswalder Wurst GmbH, Joachimsthaler Straße 100, 16230 Britz
  • Gründung 2002, als ostdeutsches Kombinat 1977
  • www.eberswalder.de
  • USP: Traditionsrezepturen und -verfahren aus der Vorwendezeit
  • Besondere Aktivitäten: Sportsponsor Hauptstadtregion; Stadionwurst des 1. FC Union Berlin
  • Motto/Vision: ...richtig gut die Wurst – und immer besser werden!
  • Sortiment: Würstchen, Bratwurst, Spezialitäten, Aufschnitt, Fleisch & Co., Vegetarisch
  • Sortiment mit etwa 150 SpezialitätenToppseller: Eberswalder Würstchen

Wo sehen Sie Ihre Unternehmen in fünf Jahren?
Gaida: „Die Thüringer“ werden in allen Bereichen noch deutlich besser aufgestellt sein als heute. Punkt!

Thiele: Im Osten wollen wir unseren hohen Marktanteil noch weiter ausbauen. Wir wollen die absolute Nummer eins sein. Aber wir möchten auch andere Warenbereiche ausloten. Beim Symposium „Feines Essen und Trinken“ in München stellten wir etwas absolut Neues für unser Unternehmen vor, Stichwort Feingebäcke. Zudem wollen wir das Erleben der Marke in unserer Eventbäckerei „Kathi’s Backzauber“ am Standort weiter ausbauen.

Kühn: Eberswalder ist nicht nur Wurst, sondern auch Fleisch. Das wollen wir weiter vorantreiben, auch wenn der Rohstoff nicht nur aus Brandenburg kommt. Wir planen bei Fleisch eine regionale Veredelungsstufe einzuführen. Und wir müssen Gewinn machen, um ausreichend investieren zu können. Wenn der Verbraucher an Eberswalder denkt, soll er die Markenwerte Eberswalder wahrnehmen und nicht nur die Eberswalder Würstchen.