Wildvogelfutter Raus aus der Saisonfalle

Edeka Nord verkauft jetzt Wildvogelfutter das ganze Jahr, auch im Sommer, und kooperiert mit dem Vogelfutterhersteller Erdtmann. Bei Kunden kommt das Angebot an, bei Naturschützern ist die Ganzjahresfütterung umstritten.

Donnerstag, 21. September 2017 - Management
Sabine Wygas
Artikelbild Raus aus der Saisonfalle
Bildquelle: Getty Images, Erdtmann, Frederik Röh

Wer Wildvögel füttert , kann das Futter im Herbst und Winter meist bequem während des täglichen Einkaufs im Supermarkt mitnehmen. Im Sommer müssen Vogelliebhaber dagegen im Internet bestellen oder extra in Fachmärkte fahren. Edeka Nord schließt diese Lücke und bietet in ihren Filialen Sonnenblumenkerne, Nüsse und andere Sämereien der Firma Erdtmann im Winter und im Sommer an.

„Wir wollen diese Saisonartikel aus der Saisonfalle holen und zum Ganzjahresartikel machen“, sagt Carsten Koch, Edeka-Nord-Geschäftsführer. In 250 Einzelhandelsgeschäften und 20 Marktkauf-Häusern gab es diesen Sommer daher extra ein Vogelfutter-Starter-Kit mit Meisenknödeln, Meisen- und Mischfutter, Erdnusskernen und dazu das Buch „Vögel füttern, aber richtig.“ Das ist sehr gut verkauft worden, sagt Koch. „Eigentlich bieten wir Wildvogelfutter schon seit drei Jahren auch im Sommer an, wir haben zum Beispiel ganzjährig Meisenfutter und Sonnenblumenkerne im Sortiment“, beschreibt der Geschäftsführer. „Jetzt sind wir das Thema aber nochmal intensiver angegangen um es mehr in den Fokus zu rücken. Wir erweitern zudem das Wintersortiment um Mehlwürmer. Insgesamt führen wir etwa 20 verschiedene Artikel.“

Abgrenzung im Wettbewerb
Sommer-Wildvogelfutter diene zur Abgrenzung vom Wettbewerb im Lebensmittelhandel und Drogeriemärkten. Bisher bieten diesen Service vorrangig Tierhandelsgeschäfte. „So können wir die Kundenbindung stärken. Aber unsere Motivation ist durchaus ökologischer Natur“, betont Koch, der selbst leidenschaftlich gerne Vögel füttert. Bis zu 10 kg Futter pro Woche gehen da schon mal ins eigens dafür gebaute Futterhaus.

„Ich glaube kaum, dass der Verkauf von Wildvogelfutter ein ökonomischer Durchstarter wird für Edeka, hier geht es vielmehr um das Thema Verantwortung.“ Ganzjahresfütterung ist wichtig, sagt Koch, da den Vögeln mittlerweile das natürliche Nahrungsangebot fehlt. Dabei beruft er sich auf den Ornitologen Prof. Peter Bertold, der auch Stiftungsratsmitglied der Heinz-Sielmann-Stiftung ist.

Laut Bertold ist die Sommerfütterung heute fast wichtiger, als die Winterfütterung es früher war. „Es gibt keine Wildkräuter mehr, und damit kaum noch Insekten. Und es gibt nicht ausreichend Pflanzen, die Samen bilden“, erklärt Bertold. „Die Vögel haben also kaum noch ausreichend Futter für sich selbst, geschweige denn, um ihre Jungen aufzuziehen. Da können wir mit der Ganzjahresfütterung helfen.“

Nabu: So füttern Sie richtig
  • Sonnenblumenkerne eigenen sich als Basisfutter, das fast alle Arten fressen; Freiland- Futtermischungen bieten ein breiteres Samenangebot.
  • Weichfutterfresser (z. B. Rotkehlchen, Amseln) mögen Rosinen, Obst, Haferflocken und Kleie in Bodennähe; wegen der Hygiene am besten im Bodenfutterspender.
  • Vogelhäuser regelmäßig mit heißem Wasser reinigen (Handschuhe anziehen) und aus Hygienegründen nur wenig Futter nachlegen.
  • Futterspender (Futtersilos) statt -häuser verwenden, damit die Vögel das Futter nicht mit Kot beschmutzen und darin herumlaufen.
  • Futterstelle an einer übersichtlichen Stelle platzieren, damit sich keine Katzen anschleichen können.
  • Todesfalle Glasscheiben: Bekleben Sie gefährliche Scheiben mit Aufklebern oder Mustern.

Nabu: Nur im Winter füttern
Das bestätigt auch Christoph Erdtmann, gemeinsam mit seinem Bruder Franz Erdtmann Inhaber des Familienbetriebs und Wildvogelfutterherstellers Erdtmann in Lauenburg an der Elbe. „Wenn ich durch die Feldmark spazieren gehe, kann ich kaum noch Früchte pflücken, auf den Feldern wachsen kaum noch Disteln. Das heißt, das Nahrungsangebot für Vögel schrumpft, sonst würden sie ja nicht an die Futterstellen kommen, vor allem im Sommer.“ Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) erreicht die Vogelfütterung im Garten selten mehr als 10 bis 15 Vogelarten. Ein ganzjähriges Füttern von Wildvögeln sei aus Sicht des Artenschutzes nicht erforderlich und kein zielführendes Mittel zur Erhöhung der Artenvielfalt sowie kein Mittel gegen Vogelschwund.

„An meine Futterstellen kommen bis zu 30 verschiedene Vogelarten, mehr als im Winter“, sagt Erdtmann. „Gäbe es keinen Bedarf, würden die Tiere im Sommer doch nicht kommen und sich eher in der Natur bedienen. Wir Menschen essen auch lieber frische Speisen als Fertiggerichte.“ Er wünsche sich noch mehr solcher Kooperationen mit dem Einzelhandel, natürlich auch aus wirtschaftlichem Interesse, aber auch, weil man über solche Aktionen bei immer mehr Menschen ein Bewusstsein für das Thema und die Natur schaffen könne. Denn das Interesse sei da. Erdtmann: „Wir haben bereits vor 15 Jahren Sommervogelfutter angeboten, das wollte keiner haben. Seit fünf, sechs Jahren ist das anders.“

Der Nabu empfiehlt dagegen die Vogelfütterung auf die Wintermonate und hier auf Zeiten und Orte mit tatsächlichen Nahrungsengpässen zu beschränken. Infolge der Klimaerwärmung würden solche Notzeiten künftig seltener auftreten.

Der Nabu ist zwar nicht ausdrücklich gegen eine Ganzjahresfütterung, lehnt es aber ab, diese als praktischen Artenschutz anzusehen. Eine naturnahe Bepflanzung und Gartennutzung diene den Vögeln viel mehr, als ein breites Futtersortiment.

Auch in der freien Landschaft müssen Maßnahmen Vorrang haben, die die Artenvielfalt umfassend fördern, so der Nabu, zum Beispiel, weniger Pestizide einsetzen, Feldsäume und Brachen fördern oder Stoppelfelder nach der Ernte belassen.

Edeka Nord engagiert sich unter anderem in Kooperation mit dem WWF (World Wide Fund For Nature) in einem Projekt, das die Vielfalt der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten in landwirtschaftlich geprägten Lebensräumen steigern soll. „Da geht es zum Beispiel darum, Wasserkolke, also Senken, in die Äcker einzulassen. Darum herum entsteht dann eine neue Art der Vegetation und das zieht andere Tiere an“, sagt Koch.

Das Thema Ganzjahresfütterung werde man weiter im Auge behalten und das Sortiment, je nach Kaufverhalten, gegebenenfalls erweitern oder umstellen. Koch räumt ein: „Es übersteigt aber unsere Möglichkeiten, in eine Tiefe zu gehen, die dem Thema in allen Facetten angemessen wäre.“