Interview mit Ulrike Detmers Modern mit Tradition

Tradition ist das Grundgerüst, Modernität das Spezialgerüst: Ulrike Detmers, Mitgesellschafterin der Mestemacher GmbH, darüber, wie ein Familienunternehmen modern bleibt, wie sich Talente finden und binden lassen, und was die Unternehmer motiviert.

Donnerstag, 31. August 2017 - Hersteller
Susanne Klopsch
Artikelbild Modern mit Tradition
Konzentriert (v. r.): Ulrike Detmers, Mestemacher, sowie Susanne Klopsch und Reiner Mihr (Lebensmittel Praxis).
Bildquelle: Insa Hagemann

Inhaltsübersicht

Familienunternehmen dominieren die deutsche Wirtschaft, werden aber gar nicht so wahrgenommen. Weshalb?
Ulrike Detmers: Viele Familienunternehmen sind zurückhaltend. Sie haben vermutlich eine gewisse Scheu, ins Rampenlicht zu treten. Wir halten es jedoch für sinnvoll, unser Leistungsportfolio auch öffentlich sichtbar zu machen. Damit zeigen wir auch, dass Familiengesellschaften in der Wirtschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Die Veröffentlichungen über das Leistungsportfolio sollten schon neugierig machen.

Es ist ja letztlich auch nicht mehr zeitgemäß, still zu sein.
Das ist richtig. Allerdings setzen öffentliche Aktivitäten von Familienunternehmen voraus, dass intern klar ist, wer die Familie nach außen repräsentiert. In unserer Familiengesellschaft übernehme ich seit mehr als 20 Jahren diesen Job. Mein Mann Albert ist Chef des Vertriebs. Gemeinsam mit der Geschäftsführerin Marta Glowacka leitet er den kaufmännischen Bereich. Mein Schwager Fritz Detmers ist als Geschäftsführender Gesellschafter zuständig für das Ressort Einkauf. Gemeinsam mit dem Geschäftsführer Kim Folmeg verantwortet er die Bereiche Technik und Produktion. Ich bin Chefin des Ressorts Markenmanagement, Social Marketing undPR.

Was zeichnet Familienunternehmen aus?
Vielleicht eine nachhaltiger geprägte Unternehmenskultur mit gemeinsamen Werten, Normen und Einstellungen. Eigentum verpflichtet. Wachstum und Pflege des Eigentums nehmen sicherlich bei vielen Familiengesellschaften eine bedeutende Rolle ein.

Was verstehen Sie darunter?
Ein Wirtschaften, das stärker sozial und moralisch verortet ist. Familiengesellschaften treten auch immer öfter als Stifter in Erscheinung. Zum ethischen Spirit gehört die Verantwortung für die Belegschaft. Der alte kaufmännische Geist mit Verantwortungsorientierung ist meiner Meinung nach bei Familienunternehmen weiter verbreitet. Ihnen sitzen oftmals keine Finanzinvestoren im Rücken oder Aktionäre. Wobei das nicht schlecht sein muss, wenn es darum geht, durch Druck aufs Management Innovationskräfte freizusetzen. Sich auf den Lorbeeren ausruhen, das geht dann nicht.

Der Handel konzentriert sich immer stärker. Ist das eine Gegenbewegung zu den Familiengesellschaften?
Nein, die Konzentration etwa in unserer Branche, in der Backbranche, nimmt ebenfalls seit Jahren zu. Die Risiken, mit denen die deutsche Wirtschaft kämpft, sind Fach- und Führungskräftemangel sowie qualifizierte Nachfolgeregelung. Hier im Raum Gütersloh z. B. spielt die frühzeitige Regelung der Nachfolge eine maßgebliche Rolle.

Wie sieht Ihre Lösung aus?
Da können Sie keine Regelung aus dem Hut zaubern. Wir haben bereits vor vielen Jahren angefangen, einen Talentpool aufzubauen. Dieser ist durch das frühzeitige Rekrutieren qualifizierter Führungskräfte mit Branchenerfahrung sowie im Zuge der Zusammenarbeit mit der FH Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft und Gesundheit, installiert worden.

Wie funktioniert der Talentpool?
Wir rekrutieren junge Menschen, viele von der bereits erwähnten Fachhochschule Bielefeld. Dort sind wir Firmenpartner. Das hat nicht unbedingt mit meiner Professur dort zu tun, diesen Weg kann ja jeder andere auch gehen. Wir bieten Pflichtpraktika an, wir bieten Werkstudenten Verträge an. Wir schaffen uns damit eine Plattform, diese jungen Leute auf den Prüfstand zu stellen. Sie arbeiten hier, wir gucken sie uns an, und wir haben auch viele übernommen. Wir nutzen verantwortungsbewusst die Flexibilität, die uns das Teilzeit- und Befristungsgesetz einräumt. Wir nutzen u. a. Sachgrundbefristung etwa bei Projektarbeit, Elternteilzeit, alternierende Telearbeit mit Präsenz- und Homeoffice-Pflicht.


Wie binden Sie diese Mitarbeiter?
Da spielt die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Wir bieten Telearbeitsverträge an, das heißt, die Präsenzpflicht wird ebenso definiert und fixiert wie die Zeit für das Homeoffice. Bei den Heimarbeitstagen wird die Dienstzeit genau festgelegt. Ich habe zudem eine wöchentliche Nachweispflicht eingeführt: Leistungs- und Arbeitsberichte zeigen, welche Ziele erreicht wurden. Die kontrolliere ich und zeichne sie ab. So steuern wir die Arbeitnehmer systematisch, und behandeln alle gleich. Der Frauenanteil in der Führungsetage liegt bei Mestemacher bei 50 Prozent. Das ist zum einen für Frauen ein Anreiz, und zum anderen für Männer, die gern im Team mit Frauen arbeiten. Außerdem bieten wir gute Arbeitsbedingungen. Acht geben müssen wir, dass sich nicht der Geist einschleicht, uns geht es gut und nun gönnen wir uns das Ausruhen auf den Lorbeeren. Das ist mit mir, aber auch den anderen Eigentümern, nicht zu machen. Hier heißt es: Holzauge sei wachsam.

Mit Familienunternehmen verbindet man oft den Begriff Tradition. Wer bei Oetkers, Bahlsens oder Underbergs vorbeischaut, der kann das spüren. Welche Rolle spielt heute noch Tradition?
Tradition ist das Grundgerüst. Aber auch nur das. Modernität ist das Spezialgerüst. Ich finde ja den Spruch von Amazon-Chef Bezos klasse: ‚Flexibilität ist unsere Konstante‘. Sie dürfen damit aber nicht die Belegschaft überfordern. Sie brauchen das Fundament, sie brauchen aber auch das Prozessdenken. Und das muss durch Kundenorientierung gedeckt sein. Der Kunde ist König. Kundenwünsche zu erfüllen, ist unsere Leidenschaft. Das verlangt den Mitarbeitern aber auch einiges ab.

Wie kann man vorbeugen, dass man sich auf den Lorbeeren ausruht, und schleichende Veränderungen nicht merkt?
Bei schleichendem Niedergang kommen z. B. die Gläubigerbanken als Kreditgeber schnell ins Spiel. Die fordern möglicherweise einen Beirat, der frischen Wind in die unzeitgemäße Unternehmenskultur bringen soll, oder externe Fachberater werden geholt. Da kann das schwächelnde Unternehmen schnell gezwungen werden, gewisse, ungewöhnliche Schritte zu gehen und ungewohnte Veränderungen einzuleiten. Die Zäsur wird nicht selten von Geldgebern eingeleitet. Solange aber noch eigenes Geld zur Stärkung der Finanzkraft der Familiengesellschaft eingebracht wird, und Gläubigerbanken außen vor bleiben, kann sich ein wettbewerbsschwaches Unternehmen eine Zeit lang über Wasser halten. Gefährlich ist in dieser Lage das Abwandern von erfahrenen Fach- und Führungskräften.

Was motiviert Familienunternehmen?
Die Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit. Sie haben weder disziplinarisch noch fachlich Vorgesetzte. Das ist eine starke Motivation, die aber auch mit viel Verantwortung verbunden ist.

Bäcker seit 1871

Die Großbäckerei Mestemacher wurde im Jahr 1871 gegründet. 2016 erwirtschaftete die Unternehmensgruppe mit Pumpernickel, Vollkornbroten, Spezialbroten und Kuchen 156 Mio. Euro Umsatz. Prof. Dr. Ulrike Detmers ist als Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafterin der Mestemacher- Gruppe verantwortlich für das Ressort Markenmanagement,  Social Marketing und PR. Ihr Ehemann Albert ist als Geschäftsführender Gesellschafter verantwortlich für den Vertrieb. Gemeinsam mit der Geschäftsführerin Marta Glowacka leitet er den kaufmännischen Bereich. Ihr Schwager Fritz Detmers ist als Geschäftsführender Gesellschafter zuständig für das Ressort Einkauf. Gemeinsam mit dem Geschäftsführer Kim Folmeg verantwortet er die Bereiche Technik und Produktion.

Eigentlich könnten Sie ja ein leichtes Leben haben.
Sicher, aber wo bleibt da die unternehmerische Freude? Wo bleibt da die Lust an der Selbstständigkeit? Wo bleibt die Freude am Tun? Wo bleiben da der unternehmerische Schöpfergeist, die relativ grenzenlose Kreativität? Klar, wir müssen auch Erfolg haben. Aber die Freiheit, zu arbeiten, etwas zu entwickeln, zu wachsen, das ist der größere Reiz. Und natürlich die Freude daran, Geld zu verdienen – das darf man ehrlicherweise nicht vergessen.

Muss ein Familienunternehmen immer ein Familienunternehmen bleiben?
Ich bin der Auffassung, dass Eigentum verpflichtet. D. h. , dass die Familiengesellschafter darauf achten müssen, dass ihr Unternehmen verantwortungsvoll geführt wird. Verantwortungsvolle Leitung ist für mich aber im Prinzip unabhängig von der Herkunft.

Wie sieht es bei Ihnen im Unternehmen aus?
In der Unternehmensleitung arbeiten wir bereits jetzt mit von außen kommenden Führungskräften gut zusammen.

Ihre Tochter und Ihr Sohn sind die Mit-Eigentümer der Detmers Getreide-Vollwertkost GmbH: Werden sie irgendwann in die Mestemacher GmbH einsteigen?
Unser Sohn arbeitet in der Exportabteilung der Mestemacher GmbH. Der Sohn meines Schwagers ist Betriebsleiter bei Mestemacher. Unsere Tochter ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Detmers Getreide-Vollwertkost GmbH. Das Unternehmen wird eigenständig geführt und ist Kooperationspartner der Mestemacher-Gruppe.

Ist es schwierig, den richtigen Zeitpunkt für den Absprung zu finden?
Oh, da denke ich, dass mir mein Mann schon die Hölle heiß machen wird. Der hat ja auch keine Lust, irgendwann allein im Ruhestand zu sein. Aber wann das sein wird, das werden wir dann ja sehen.

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