Unverpackt Markt in der Krise

Mehr und mehr Unverpackt-Läden schließen. Auch im Supermarkt sind Abteilungen für lose Ware vom Aushängeschild zum Sorgenkind geworden. Die Marktteilnehmer kämpfen um die Akzeptanz und Weiterentwicklung des Segments.

Mittwoch, 14. Dezember 2022 - Handel
Bettina Röttig
Artikelbild Markt in der Krise
Bildquelle: Unverpackt e.V.

Geschichte ohne Happy End: Unverpackt Kiel, der erste Laden für lose Ware in Deutschland, schließt am 31. Dezember 2022 seine Tür für immer. Seit der Eröffnung 2014 hat Gründerin Marie Delapièrre „einen gesunden wachsenden Erfolg“ verzeichnet. Infolge der Corona-Pandemie sowie des Ukraine-Krieges habe sich das Einkaufsverhalten jedoch drastisch verändert. Nach 2019 seien die Kundenzahlen um zwei Drittel eingebrochen. Unverpackt Kiel ist dabei kein Einzelfall, das Unverpackt-Segment kämpft ums Überleben.

Die Corona-Pandemie und die wirtschaftliche Situation infolge des Krieges in der Ukraine trafen die Branche hart, bestätigt der Verband Unverpackt. In Zahlen gesprochen, bedeutet dies: In den ersten gut zehn Monaten des Jahres 2022 wurden 28 Läden neu eröffnet, 44 Läden mit Verbandsmitgliedschaft jedoch geschlossen. Stand 24.11. zählte der Verband noch 320 stimmberechtigte Mitglieder, also Personen mit einem geöffneten Laden, Anfang 2021 waren es noch 380. „Weiterhin haben wir 203 Mitglieder mit einem Laden in Planung“, teilt der Verband auf Anfrage der Lebensmittel Praxis mit. Vor knapp zwei Jahren waren noch 266 Neueröffnungen angemeldet.

Der Verband nennt eine Reihe von Gründen für die Schieflage: In den vergangenen Monaten resultierten die steigenden Verbraucher-Preise im Lebensmittelbereich in Kaufzurückhaltung und -verzicht bei bestimmten Produktklassen, was die Unverpackt-Läden besonders zu spüren bekämen. Gerade Bio- und regionale Produkte, die in Unverpackt-Läden eine große Rolle spielen, würden weniger konsumiert. Auch die Verlagerung vom stationären auf den Online-Handel mache es Unverpackt-Läden nicht leicht, denn diese seien auf einen stationären Verkauf angewiesen. Gerade junge Läden, die aufgrund fehlender Geschäftszahlen aus dem Vorjahr keine Überbrückungshilfen bekommen haben, hätten es in letzter Zeit besonders schwer.

Die Zahl der Unverpackt-Läden verändert sich in den letzten Wochen des alten Jahres noch einmal. In den sozialen Medien, Online-Präsenzen und Schaufenstern weiterer Unverpackt-Läden werden Kunden über Geschäftsaufgaben informiert. Klever Unverpackt aus Emmerich, 2020 eröffnet, schließt Ende des Jahres, Glücklich unverpackt, 2017 in Essen-Rüttenscheid eröffnet, steht nun ebenfalls vor dem Aus. Nicht immer liegt es an Umsatzeinbrüchen. Der Veedelskrämer in Köln-Ehrenfeld, nach Angaben der Inhaberinnen einer der ersten 30 Unverpackt-Läden in Deutschland, stand trotz Krise gut da. Pandemie, Inflation und Kaufzurückhaltungen hätten „fast nix“ ausgemacht, damit habe man sich arrangiert. Dann jedoch kam die Kündigung des Mietvertrages. „Unsere (Noch-) Vermieterin bietet uns ‚unseren‘ Laden zu einem Mietpreis an, der 90 Prozent über dem derzeitigen Preis liegt. Wohlgemerkt – ohne Gegenleistung wie zum Beispiel Modernisierung oder gar doppelte Fensterverglasung. Das können wir uns nicht leisten!“, informierten die Inhaberinnen. Mittlerweile ist der Laden ebenfalls abgewickelt.

Original Unverpackt (OU) aus Berlin, ebenfalls Pionier der Branche, versucht nach der Insolvenz im Sommer 2022 einen zweiten Anlauf. Seit 1. September wird der Laden unter neuer Führung und im Rahmen einer neuen Gesellschaft fortgeführt. Die Käuferin und neue Geschäftsführerin Katharina Richter war zuvor in der Geschäftsführung der Eigenmarke OU Zero Waste Products tätig. Eine Crowdfunding-Aktion über Startnext soll den Fortbestand sichern und Planungssicherheit für den Winter geben. Die neue Geschäftsführerin Katharina Richter erklärt in einem Begleit-Video, dass die Umsätze infolge der schrumpfenden Haushaltsbudgets immer weiter sinken. Die größte Herausforderung bestehe darin, herauszufinden, wie viel Original Unverpackt einkaufen müsse und „wie viel noch gekauft wird“. Mittlerweile ist die Kampagne erfolgreich abgeschlossen. 216 Unterstützer und eine Summe von 11.105 Euro kamen zusammen. „Erstmal füllen wir unsere teilweise leeren Regale auf, um deinen Einkauf frustfrei zu gestalten.“ Wärmedämmung, ein neues Lohn- und Gehaltsystem sind zudem in Planung.

Der Unverpackt e.V sieht mit Blick auf die rund 200 geplanten Neueröffnungen noch kein Aus für die Bewegung der Unverpackt-Läden. Aber ohne die richtigen Entscheidungen der Konsumenten gehe nichts. Der Verband setzt daher auf Aufklärung. Außerdem sei unverpacktes Einkaufen ein echtes Einkaufserlebnis, vor allem wenn der Unverpackt-Laden nicht nur der reine Lebensmitteleinzelhandel bleibe, sondern auch als Café und Nachbarschaftstreff fungiere, motiviert der Verband zu neuen Konzepten. Einige Unverpackt-Läden machten es bereits vor.

Gemeinsam mit Pionierin Delapièrre wandte sich der Verband im April an Bundesumweltministerin Steffi Lemke – nicht um Zuschüsse zu erlangen, erklärt Delapièrre. „Unser Ziel war es, den ,Unverpackt- Einkauf‘ zu fördern, sei es durch Kampagnen, durch Anreize für dieses Einkaufs-Modell, durch die Anerkennung der pädagogischen Funktion der Unverpackt-Läden oder durch die Suche nach rechtlichen Mitteln, das Modell gegen Greenwashing zu verteidigen. Diese Vorschläge wurden m.E. leider nicht angenommen“, schreibt sie in einem offenen Brief an ihre Kunden.

Aus für erste Unverpackt-Stationen im Supermarkt

Zu kämpfen haben auch die Unverpackt-Abteilungen in Supermärkten. So musste das Rewe-Center in Bonn-Beuel, Supermarkt des Jahres 2022 in der Kategorie der Filialen über 5.000 Quadratmetern, seine Abfüll-Station für lose Ware wieder aufgeben. Diese war in einem Shop-in-Shop-Konzept zu Bewusster Ernährung platziert, es konnten jedoch keine Abverkäufe generiert werden, bedauert Marktleiter André Becker. Des Weiteren habe es technische Hürden gegeben, welche kurzfristig nicht zu lösen waren. Schiffbruch erlitten hat auch der Edeka-Markt in Hittfeld. Im Sommer 2020 wurde hier eine Unverpackt-Abteilung in Zusammenarbeit mit dem Startup „Plietsch – natürlich unverpackt“ integriert. Als Shop-in-Shop-Konzept im Eingangsbereich, noch vor Obst- und Gemüse, sollte dem Sortiment ein aufmerksamkeitsstarker Platz eingeräumt werden, so der Plan, der leider nicht aufging. Vor rund einem Jahr bereits hat sich die Kaufmanns-Familie von dem Konzept wieder verabschiedet. Als Gründe des Scheiterns vermutet Jonas Meyer aus der Marktleitung ein zurückhaltendes Kaufverhalten während Corona sowie die Lage der Abteilung: „Viele Kunden wollten ihren Einkauf schnellstmöglich erledigen, sich nicht lange in einem Markt aufhalten. Zudem war der Standort wohl doch zu isoliert vom Kundenlauf.“ Der Unverpackt-Einkauf sei mit vielen Schritten verbunden. Kunden hätten Angst, etwas falsch zu machen, meint Meyer. In exponierter Lage vor den Augen anderer Kunden möglicherweise Fehler zu machen, habe einige abgeschreckt. Sehr positives Feedback habe das Marktpersonal erhalten, solange die Abteilung personell besetzt und Käufer betreut wurden. Aber: „Die Personalkosten waren höher als der Umsatz“, sagt der Kaufmann. Insgesamt wird nach Ansicht von Meyer das Thema Unverpackt „mehr gepusht als dies dem realen Einkaufsverhalten entspricht“.

Doch es gibt auch in Supermärkten noch Zuwachs an Unverpackt-Abteilungen. In der Vulkaneifel ist gerade ein Teil des nun geschlossene Unverpackt-Ladens Füll Mal aus Gerolstein in einen Supermarkt gezogen. Ein regionaler Nah & Gut-Dorfladen in Lissendorf hat einen Teil des Angebotes inklusive der Schütten übernommen.

Plietsch-Gründer Henrik Siepelmeyer glaubt weiterhin an das Potenzial und vor allem die positive Wirkung des unverpackten Einkaufs für Umwelt und Klima. „Das Thema ist nicht tot“, sagt er. Er sei jedoch nicht überrascht darüber, dass sich kleine selbstständige Läden „mit den Mini-Margen“ auf Lebensmitteln nicht halten könnten. „Aus gutem Grund haben wir Plietsch als Lösung für den konventionellen Supermarkt gegründet.“ Hier kann eine breitere Zielgruppe angesprochen werden, die höhere Kundenfrequenz bietet Chancen für das Segment. „Es ist aber nicht damit getan, lose Ware in den Markt zu stellen und gut ist“, betont er.

Weiterentwicklung mit wissenschaftlicher Begleitung

Plietsch bedeutet plastikfrei, bio, regional und ein Angebot mit guter Öko-Bilanz. Acht Märkte von Edeka- und Rewe-Kaufleuten arbeiten aktuell mit Plietsch zusammen und profitieren von dem Know-how und Dienstleistungen von Plietsch, aber auch von dem gebündelten Einkauf. Das fünfköpfige Team rund um Siepelmeyer und Mit-Gründerin Lisa Heldt übernimmt die Sortimentsgestaltung, Sourcing, Bestellvorgänge und die Schulung der Marktmitarbeiter. „Unsere Partner stehen hinter dem Konzept“, so Siepelmeyer - trotz Umsatzrückgängen von bis zu 50 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr. Mit der Umsatzentwicklung ist er „natürlich unzufrieden“. Das Sortiment leide aktuell auch unter einem Image-Problem in Bezug auf die Preisgestaltung, meint er. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges wurden die Preise des Plietsch-Sortiments nicht erhöht, der Preisabstand zu konventioneller Ware sei geschrumpft. „Kunden nehmen dies aber zu wenig wahr.“

Gemeinsam mit den bestehenden Partner-Händlern wollen Siepelmeyer und Heldt das Konzept weiterentwickeln zu einer erfolgreichen Blaupause für den Lebensmittelhandel. Dies soll mit Unterstützung der Wissenschaft geschehen. Die Gründer haben sich mit Plietsch mitsamt der Partner-Lieferanten und -Händler um ein dreijähriges Forschungsprojekt beworben, das heute bewilligt wurde. „Wir wollen herausfinden, wo nach wie vor Hürden aus Kundensicht bestehen, wie wir diese ausräumen können und wie der Unverpackt-Kauf für eine breite Verwenderschaft zur Standard-Wahl werden kann“, so Siepelmeyer. Zudem soll in der Praxis weiter erforscht werden, wie sich der Weg von Produkten in den Einzelhandel möglichst verpackungsfrei gestalten lässt.

Die bisherigen Erkenntnisse der letzten Jahre: Die Unverpackt-Abteilung wird besser angenommen, wenn sie in den Markt integriert wird. „In Nischen oder abgegrenzt von der Verkaufsfläche des Marktes hat es das Sortiment schwer“, weiß Siepelmeyer. Wichtig sei die Platzierung direkt in Sichtachse. Zugleich wünschen sich die Unverpackt-Kunden jedoch auch einen Schutz vor neugierigen Blicken. „Die Abteilung sollte so gestaltet sein, dass nicht jeder im Markt sehen kann, ob der Kunde an der Abfüll-Station ein Reiskorn fallen lässt“, so der Plietsch-Geschäftsführer.

 

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