Verbraucherverhalten Welche Rolle spielt Tierwohl beim Einkauf?

Vor einem Jahr haben die deutschen Lebensmittelketten die Stufen-Kennzeichnung für Fleisch eingeführt. Eine Zwischenbilanz.

Dienstag, 14. April 2020 - Handel
Lebensmittel Praxis
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Bildquelle: Brand Me

Die Packungsaufdrucke mit der Aufschrift „Haltungsform“, mit denen Edeka, Rewe, Aldi und Lidl im April 2019 in die Offensive gingen, sind vielen Kunden inzwischen bekannt. Größere Bewegung ins Kühlregal gebracht haben sie aber wohl nicht. Auch nach einem Jahr stammen 90 Prozent des gekennzeichneten Rindfleischs und rund 80 Prozent des Schweinefleischs aus Betrieben, die die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen – denn dafür steht „Stallhaltung“, die erste von insgesamt vier Stufen.

Besser ist die Situation bei Geflügel. Hier kommen rund 85 Prozent der Hähnchen und 98 Prozent der Puten aus Stufe 2 „Stallhaltung Plus“, die mindestens zehn Prozent mehr Platz und zusätzliches Beschäftigungsmaterial verspricht. Das geht aus Zahlen der Initiative Tierwohl als Trägerin hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Stufe 3 namens „Außenklima“ garantiert Tieren noch mehr Platz und Frischluft-Kontakt. Bei Stufe 4 („Premium“) haben sie zudem Auslauf im Freien. Auch Biofleisch wird in diese Stufe eingeordnet.

Sind die Verbraucher in Deutschland bereit, beim Fleischkauf für mehr Tierschutz etwas tiefer in die Tasche zu greifen? Für Tierwohl-Geschäftsführer Alexander Hinrichs ist klar, dass die Sortimentsgestaltung maßgeblich vom Kaufverhalten der Kunden geprägt wird. „Kein Händler legt sich die Ware ins Regal, wenn er nicht davon ausgehen kann, dass er sie auch verkaufen kann.“ Das Problem: Je höher die Stufe der Haltungsform, desto höher in aller Regel auch der Preis. Und eine größere Zahlungsbereitschaft der Verbraucher scheint begrenzt.

Bei Rewe heißt es: „Für eine Etablierung höherer Standards ist eine entsprechende Nachfrage bei den Kunden essenziell.“ Wesentliche Änderungen im Kaufverhalten habe man aber nicht feststellen können. „Die Preissensibilität ist nach wie vor hoch.“ Auch Lidl bilanziert eher durchwachsen: „Wir merken, dass Kunden mehr auf die Haltungskennzeichnung achten sowie verstärkt Fleisch aus einer höheren Stufe einfordern. Dass Verbraucher durch ihr Einkaufsverhalten Fleisch aus einer tierwohlgerechteren Haltung fördern, stellen wir aber nur bedingt fest“, sagte eine Sprecherin. Bei Aldi heißt es mit Blick auf das Übergewicht der Stufen 1 und 2, das Angebot spiegele „das Nachfrageverhalten unserer Kunden wider“.

Verbraucherschützern reicht das nicht. Nach dem ersten Schritt des Handels müsse jetzt zwingend der zweite erfolgen und das breiter angelegte staatliche Label an den Start gehen, sagte der ehemalige Grünen-Politiker und heutige Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, der dpa. Dieses habe auch Kriterien zu Aufzucht, Transport und Schlachtung, die das System des Handels nicht kenne.

Das staatliche Kennzeichen plant Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) in drei Stufen mit steigenden Anforderungen – sie beginnen über dem gesetzlichen Standard. Bauern sollen das Logo freiwillig nutzen können, müssen sich dann aber an Kriterien halten. In der ersten Stufe sollen Schweine zum Beispiel 20 Prozent mehr Platz im Stall haben. Das Kabinett brachte im Herbst einen Gesetzentwurf auf den Weg. Doch es gibt Ärger, vor allem wegen der Freiwilligkeit.

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte der dpa, es sei klar, dass der Entwurf so keine Mehrheit bekomme. „Ohne eine Nutztierstrategie und eine Verpflichtung wird es kein Label geben.“ Die Strategie müsse zuerst festlegen, welche Vorgaben artgerechte Nutztierhaltung zu erfüllen habe. Daran müsse sich dann die Kennzeichnung orientieren. Wenn das Ministerium hier nicht endlich liefere, werde die Einführung des Tierwohllabels „in dieser Legislaturperiode immer schwieriger“.

Klöckners Ressort setzt auf eine „zeitnahe“ Beratung im Bundestag. Und betont, eine verpflichtende nationale Kennzeichnung sei wegen Diskriminierung von EU-Ausländern de facto nicht möglich – siehe die gescheiterte Pkw-Maut. Verbraucherschützer Müller fordert loszulegen, auch wenn es nur freiwillig möglich ist. „Aber das kann eine Dynamik auslösen.“ Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr gebe es „eine großartige Chance, aus diesem freiwilligen deutschen Label ein verbindliches europäisches Label zu machen“.