Grünes Wirtschaften Was bewirken die Nachhaltigkeitsgesetze?

Es wurde hart verhandelt über neue Regulierungen, die höhere Umwelt- und Sozialstandards in Lieferketten durchsetzen und vor Greenwashing schützen sollen. 
Was bewirken die Gesetze? 
Ein Stimmungsbild.

Mittwoch, 22. Mai 2024, 20:26 Uhr
Bettina Röttig
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Bildquelle: Getty Images

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt? Viele Nachhaltigkeitsexperten dürften in den vergangenen Monaten ein Wechselbad der Gefühle erlebt haben – zwischen der Hoffnung auf neue EU-Gesetze, die ein faires „Spielfeld“ für deutsche Unternehmen sowie Fortschritte für Menschen und Klimaschutz bringen sollten, und der Ernüchterung angesichts von Bemühungen, die geplanten Regulierungen zu kippen oder zu verwässern – was noch immer droht. Es sind vor allem das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD), die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR), Umsetzungsgesetze zur Nachhaltigkeitsberichtspflicht (CSRD) und Gesetze gegen Greenwashing, die die Unternehmen der Ernährungswirtschaft beschäftigen.

Wie ist der Blick auf die aktuell erreichten Kompromisse? Welche Fortschritte können erzielt werden und wo sehen Unternehmen Herausforderungen, aber auch Hilfen, um die neuen gesetzlichen Anforderungen umsetzen zu können? Die Lebensmittel Praxis hat sich umgehört.

Dr. Katharina Reuter Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft
Katharina Reuter

Die zuletzt verhandelten Nachhaltigkeitsgesetze bergen nach Ansicht von Dr. Katharina Reuter, Geschäftsfüh­re­rin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, echte Chancen: „Der allergrößte Fortschritt ist, dass durch Taxonomie-Verordnung, Berichtspflicht und Lieferkettengesetz klar wird: Die Verantwortung endet nicht am Werkstor, sondern man muss in die ganze Lieferkette schauen. Hoffentlich ist dies nun auch dem letzten Unternehmen klar geworden.“ Lesen Sie, welche Rückmeldungen Sie zu den oft als Bürokratiemonster bezeichneten Regulierungen aus der Wirtschaft erhält und welche Deregulierungen ihr Sorgen machen.

ZUM INTERVIEW

„Zuerst hatte man den Eindruck, aus dieser großen Überschrift Green Deal werden konkrete Projekte, die das nachhaltige Wirtschaften voranbringen. Diese Euphorie und Hoffnungen haben auf jeden Fall einen Dämpfer bekommen“, sagt Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW). Dennoch sei sie froh, dass die Regulierungen, allen voran das EU-Lieferkettengesetz, überhaupt verabschiedet wurden.

Reine Bürokratiemonster?
Die Erleichterung teilen viele Nachhaltigkeitsmanager der Ernährungswirtschaft. So auch die Rügenwalder Mühle: „Aus unserer Sicht sind die verabschiedeten Gesetze notwendig, um eine wettbewerbsfähige Zukunft zu schaffen“, sagt Claudia Hauschild, Head of Corporate Communica­tions & Sustainability Management. Aber man sehe mit Sorge, dass viele der Gesetze gleichzeitig oder ohne großen Zeitabstand auf Unternehmen „einprasseln“, oft in Kraft träten, bevor Details final ausgestaltet seien. „Das macht es natürlich unfassbar schwer, sich hierauf einzustellen. Vor allem der Mittelstand ist hier stark von der steigenden Bürokratie betroffen“, so Hauschild.

„Die Gesetzgebungen gehen in die richtige Richtung. Weil Nachhaltigkeitsmanagement nun businessrelevant wird, werden mehr Budgets dafür freigeschaufelt“, meint Dr. Axel Kölle, Leiter des ZNU, Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (Universität Witten/Herdecke). Bei der Umsetzung der Gesetze in nationales Recht müsse jedoch darauf geachtet werden, dass Unternehmern nicht die Lust genommen werde, Unternehmer zu sein. „Die Frage ist: Was können wir Unternehmen zumuten und wie können wir ihnen zugleich ihre Freiheiten für nachhaltige Innovationen lassen?“, so Kölle.

Mit dem Argument überbordender Bürokratie wurde zum EU-Lieferkettengesetz im letzten Moment ein neuer Kompromiss verhandelt, und erneut wird gefordert, den Start der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten zu verschieben (s. S. 11). Dabei sei angesichts der immer näher rückenden Klimakrise jetzt der schlechtestmögliche Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben, warnt BNW-Geschäftsführerin Katharina Reuter. Sie beobachte, dass das Plädoyer, die Kleinen und den Mittelstand nicht zu überfordern, durchaus gehört und Unterstützung geleistet werde.

Auch als Nachhaltigkeitspionier kämpfe man mit den neuen Herausforderungen, sagt Philip Luthardt, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Bohlsener Mühle. „Dennoch müssen und wollen wir den Weg gehen, weil er Transparenz und Vergleichbarkeit schafft und ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft ist“, betont er und zieht grundsätzlich ein positives Zwischenfazit: „Die neue Regulatorik wirkt. Auch konventionelle Unternehmen verändern bereits ihr Geschäft.“ Sie müssten auf bessere Verpackungen und ihren ökologischen Fußabdruck achten. Im Moment unterhalte er sich mit anderen Unternehmen jedoch mehr darüber, wie Daten gemanagt werden können, um der Nachhaltigkeitsberichts­pflicht Genüge zu tun, als über tatsächliche Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen. „Eigentlich brauchen wir eine schnellere Transformation. Dennoch ist die Regulatorik ein sehr großer Hebel und schafft ein anderes Wirtschaften“, meint Luthardt.

Wie werden sich Lieferketten verändern?
Fritz Konz, Leiter Qualität und Nachhaltigkeit bei Tegut, sieht in den neuen Regulierungen große Chancen für die Transformation. „Gesetze wie die CSDDD und Entwaldungsverordnung werden tatsächlich die Lieferketten verändern. Auch die aktuellen Fassungen“, ist er sich sicher. Die Wirtschaft komme aus der Stufen- zu einer Komplettverantwortung für die Lieferketten, eine solche Transformation verursache auch Transformationsschmerzen. „Aber ich bin der Meinung: lieber mit Schmerzen zu einem besseren System kommen als dieses Hin und Her und Bremsen wie zuletzt.“

Der Manager gibt Beispiele, was die Entwaldungsverordnung für die Branche und für Tegut bedeuten wird: „Soja und Palmöl beispielsweise handeln wir nicht durch. Der Markt für Palmöl funktioniert bisher über verschiedene Lieferkettenmodelle, man kann entweder am Spotmarkt kaufen oder man setzt auf RSPO-zertifiziertes Palmöl über Book and Claim, Massenbilanzierung oder segregierte Ströme. Jetzt wird im Grunde durchgängig segregiertes nachhaltiges Palmöl für den europäischen Markt erforderlich sein.“ Ähnlich werde man bei Kakao zu segregierten Rohwarenströmen kommen müssen. Bei Rindfleisch konnte es bisher interessant sein, am Spotmarkt günstige Chargenware zu beziehen. „Entweder ich muss künftig mit viel Mühe die richtigen Begleitpapiere besorgen, oder ich verzichte auf das Geschäft und setze auf Lieferketten, die ich kenne. Damit werden Unternehmen von offenen auf geschlossene Lieferketten bis zum Ursprung umstellen“, gibt er ein weiteres Beispiel. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, dem drohen Strafen in Höhe von 4 Prozent des Jahresumsatzes – ein großes wirtschaftliches Risiko. „Es wird also nicht mehr in der Breite möglich sein, einfach auf die günstigste anonyme Ware zu setzen“, sagt Konz.

Im Interview: 
Fritz Konz, Tegut

Welche Herausforderungen bringen die neuen EU-Regulierungen zu Lieferkettensorgfaltspflichten, gegen Entwaldung und Greenwashing? Wie geht das Handelsunternehmen Tegut mit diesen um? Und welche Transformationsschmerzen müssen Unternehmen durchmachen, um ihre Wertschöpfungsketten gemäß den neuen EU-Nachhaltigkeitsgesetzen zu­kunftsfähig aufzustellen? Darüber sprach die Lebensmittel Praxis mit Fritz Konz, Leiter Qualität und Nachhaltigkeit bei Tegut.

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Welche Risiken drohen bei Nichterfüllung?
Auch laut europäischem Lieferkettengesetz CSDDD können Unternehmen, die gegen die Sorgfaltspflichten verstoßen, behördlich mit erheblichen Geldstrafen sanktioniert werden, die bis zu 5 Prozent des globalen Nettoumsatzes betragen, betont Rechtsanwalt Philipp Kärcher (Watson Farley & Williams LLP). „Darüber hinaus müssen die Mitgliedsstaaten aber auch zivilrechtliche Schadensersatzklagen von Einzelpersonen oder Organisationen zulassen. Dieser Punkt muss nun auch in das deutsche Lieferkettengesetz aufgenommen werden, das eine zivile Haftung bisher explizit ausschließt“, erklärt der Experte.

Noch im Mai werden die förmliche Annahme des Textes durch die EU-Botschafter und die Zustimmung der EU-Minister erwartet. Ende Mai wäre die Regulierung bereit für die Veröffentlichung im EU-Amtsblatt. Die EU-Staaten haben ab diesem Zeitpunkt zwei Jahre Zeit, die Direktive in nationales Recht umzusetzen. Zu beachten sei: „Der Unternehmenschef ist letztlich dafür verantwortlich, dass es zu keinen Pflichtverletzungen kommt“, betont Kärcher. Er sieht zudem die Gefahr von Sammelklagen. Potenzielle Kläger könnten einen Teil ihrer künftigen Ansprüche an einen Prozessfinanzierer abtreten, der viele ähnliche Vorwürfe in einer Sammelklage bündele, oder man vereinbare, dass der Finanzierer einen Teil der erstrittenen Summe erhalte.

Axel Kölle vom ZNU glaubt dagegen: „Ich muss als Unternehmen keine rechtlichen Konsequenzen fürchten, weil ich durch die Lieferkettengesetze ein proaktives Risikomanagement aufsetze.“ Das sieht BNW-Chefin Reuter ähnlich. „Wir sehen ja, wie Firmen heute auch ökonomisch darunter leiden, wenn durch Recherchen aufgedeckt wird, dass beispielsweise in Schokolade doch Kinderarbeit drinsteckt.“ Der Beschwerdemechanismus zum Beispiel sei „ein Schatz“, weil Unternehmen darüber Hinweise erhielten, wo Missstände bearbeitet werden müssen.

Welche Unterstützung gibt es für Unternehmen?
Der Austausch mit anderen Unternehmen helfe bei der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen, sagt Philip Luthardt. Zum Beispiel zeigten Gespräche mit Unternehmen, die bereits mit Wirtschaftsprüfern an CSRD-konformen Berichten gearbeitet hätten, dass eine ganz andere Prüflogik angewendet werde, als man dies aus dem Nachhaltigkeitsmanagement bisher kenne. Der Manager konkretisiert: „Wir haben uns auf die Standards der Global Reporting Initiative fokussiert und müssen nun einen anderen Blick darauf werfen.“ Dass KI und Software-Lösungen die Arbeit abnehmen, sieht er noch nicht. Alle sondierten noch, welche der zahlreichen Software-Anbieter möglichst alles abdecken, um CSRD-konforme Berichte zu erstellen. „Bisher kann dies kein Anbieter leisten.“

„Hilfreich ist, dass der Referentenentwurf zur nationalen Umsetzung der CSRD klar sagt, dass Unternehmen nicht doppelt berichtspflichtig sind. Diese Regelung ermöglicht es Unternehmen, ihren CSRD-Bericht mit dem Reporting nach dem Lieferkettengesetz zu kombinieren, was eine effiziente Nutzung von Ressourcen darstellt und eine Dopplung der Berichte vermeidet“, ergänzt BNW-Chefin Katharina Reuter. Beim Thema Menschenrechte werde ein Helpdesk durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) organisiert, und auch über den Deutschen Nachhaltigkeitskodex be­ziehungsweise Rat für Nachhaltige Entwicklung werde es Unterstützung geben.
Reichen die Kompromisse aus?

Fragt sich, ob die Wirtschaft auf den richtigen Pfad kommt. Nicht, wenn es um den Klimaschutz geht, meint Kölle: „Wir brauchen unbedingt stärkere Anstrengungen, um die fortschreitende Klimaerwärmung einzudämmen.“ Ein CSRD-Bericht sei eine Status-quo-Darstellung zum Zeitpunkt x. Es fehle in der Regulierung die Verpflichtung zur kontinuierlichen Verbesserung auf Basis konkreter Maßnahmen. Er fordert mehr monetäre Anreize für Unternehmen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, etwa durch Steuererleichterungen bei Klimaschutzmaßnahmen. Für Katharina Reuter wäre es ein „Gamechanger“, wenn wahre Preise stärker abgebildet würden und die Mechanismen des Kapitalismus besser greifen könnten: „Dafür müssten wir beispielsweise CO2 seinen echten Preis geben.“

ZNU-Gründer Kölle pocht zudem auf mehr Geschwindigkeit in der Transformation: „Wir als Industrienationen müs­sen unsere Lösungsansätze schneller mit Schwellen- und Entwicklungsländern teilen. Wir haben nicht die Zeit, dass diese die gleichen Entwicklungsphasen durchlaufen.“

Seit 2021 nur noch 
entwaldungsfrei

Produkte wie Kaffee, Holz, Soja, Kakao, Rindfleisch und Palmöl sollen künftig nur noch in der EU verkauft werden dürfen, wenn dafür nach 2020 keine Wälder gerodet wurden. Die entsprechende EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten (EUDR – EU Defo­restation Regulation) trat Ende Juni 2023 in Kraft und muss bis spätestens Dezember 2024 umgesetzt werden. Konkret müssen Unternehmen künftig eine Sorgfaltserklärung abgeben, wonach für ihr Produkt nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde. Wer sich nicht an die Vorschriften hält, muss mit hohen Strafen von mindestens 4 Prozent des Jahresumsatzes in der EU rechnen. Laut Deutscher Um­welthilfe gehen mehr als 16 Prozent der Entwaldung in den Tropen auf den Konsum in der EU zurück.

Die EUDR steht weiter unter Beschuss: Der Deutsche Kaffeeverband etwa warnte vor Versorgungsengpässen und höheren Preisen infolge der Regulierung. Die EU-Kommission widersprach dem auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Ende April 2024 wurde die EU-Kommission auf eine deutsche Initiative hin von mehreren Mitgliedsstaaten aufgefordert, den Geltungsbeginn der EU-Verordnung zu verschieben, falls sie ihre Verpflichtungen zur Verabschiedung eines Durchführungsrechtsaktes zum Länder-Benchmarking nicht rechtzeitig erfüllen könne. Ohne dieses würde das Entwaldungsrisiko für alle Produktionsländer gleich eingestuft.

 

LkSG und CSDDD 
im Vergleich

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichten­gesetz (LkSG) betrifft alle Unternehmen, die mindestens 1.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen. Der erzielte Kompromiss des europäischen Pendants, der CSDDD, soll stufenweise ab 2027 gelten und letztlich (2029) alle EU-Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten und mehr sowie einem weltweiten Nettojahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro betreffen – ebenso Unternehmen aus Drittstaaten mit einem Nettojahresumsatz in dieser Höhe innerhalb der EU. Damit könnten nach Einschätzung der Unternehmensberatung KPMG in Deutschland mehr Unternehmen von der europäischen Direkti­ve betroffen sein. Zugleich schreibt diese vor, dass das bisherige nationale Schutzniveau nicht verringert werden darf. Bisher nach dem LkSG verpflichtete Unternehmen können demnach nicht befreit werden, weil ihr Umsatz unterhalb des Schwellenwerts liegt. Die Sorgfaltspflichten nach der CSDDD be­treffen alle vorgelagerten Tier-1- und Tier-n-Lieferanten im Zusammenhang mit der Produktion von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen. Die CSDDD sieht auch ein Beschwerdeverfahren vor. Im Vergleich umfasst sie mehr Risiken zu Menschenrechten und Umweltrisiken. Unternehmen sollen einen Klimaplan mit einer Strategie erstellen, wie das Unternehmen zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels beiträgt. Wichtig: Der Entwurf der EU-Richtlinien sieht umsatzbezogene Geldbußen vor.