Social Business in der Getränkebranche Mal kurz die Welt retten

Trinken für eine bessere Welt. Junge Unternehmen wollen diesen Slogan mit neuem Leben füllen. Das nennt sich „Social Business“ und interessiert sogar den Hard-Disount. Übliche Marktregeln gelten dabei nicht.

Donnerstag, 26. April 2018 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Mal kurz die Welt retten
Benjamin Adrion hat den Verein 2005 mit der Welthungerhilfe gegründet.
Bildquelle: Viva con Agua, Paul Ripke, Lemonaid, Jonas Hasselmann.

Hamburg ist das Silicon Valley der deutschen Getränke-Industrie. Egal ob Fritz Kola, Die Hoppe, 1337 Mate oder Morleschorle: Viele interessante Produktkonzepte stammen aus der Hansestadt. Nicht alle schaffen den Sprung von den Szenebars auf der Sternschanze in die nationale Listung großer Lebensmittel-Einzelhändler. Aber als Trendbarometer für die Einkäufer in den Handelszentralen ist Hamburg unverzichtbar. Seit einiger Zeit sorgen verstärkt Hamburger Start-ups für Aufmerksamkeit, die mit den Erlösen ihrer Produkte konkrete gemeinnützige Projekte unterstützen. In Sri Lanka, Kuba, Nepal, auf dem afrikanischen Kontinent, überall dort wo mit Spendengeldern etwas bewegt werden kann. Beispielsweise bei der wirtschaftlichen Situation von Tee-Bauern oder der Qualität sanitärer Einrichtungen. „Social Business“ nennt sich die Spende, die mit dem Genuss verbunden wird. „Sozialer Mehrwert ist nach Bio der nächste Schritt, den der Konsument von einer Marke erwartet“, sagt Paul Bethke, Geschäftsführer der Lemonaid Beverages GmbH. Und immer neue Listungserfolge zeigen: Das Konzept scheint bei Verbrauchern und somit auch beim Handel auf Interesse zu stoßen. Getränke, die die Welt verbessern, sind attraktiv.

Eine soziale Wasser-Marke

Die Viva-con-Agua-Organisationen verfolgen alle dasselbe Ziel: ein menschenwürdiger Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung für alle Menschen. Aktuell gibt es noch etwa 645 Millionen Menschen, die keinen menschenwürdigen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und circa 1,4 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Sanitärversorgung. Die lizenzierten Konsumprodukte (etwa Mineralwasser) verfolgen das Ziel, Öffentlichkeitsarbeit und Einnahmen für die gemeinnützigen Organisationen zu generieren. Gegründet wurde der Verein von dem ehemaligen Fußballprofi Benjamin Adrion (FC St. Pauli).

Wir produzieren kein Wasser!
Ein wichtiger Name im gemeinnützigen Business ist Viva con Agua, ein Verein, der von dem ehemaligen FC-St.-Pauli-Profi Benjamin Adrion gegründet wurde. Das Ziel: Wasserprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern zu fördern. Dabei kommt das Geld nicht nur aus klassischen Spenden, sondern auch über den Verkauf von Konsumgütern, wie einem Mineralwasser. André Lau, Geschäftsführer der 2010 gegründeten VcA Wasser GmbH, ist es aber wichtig zu betonen, dass das Unternehmen kein Getränke-Hersteller ist. „Als die Idee mit einem gebrandeten Flaschenwasser aufkam, war für Stiftung und Verein klar, dass das nur über eine reine Namenslizenz funktionieren kann. Wir wollten weder Brunnen in Deutschland bohren oder kaufen, noch hatten wir das Geld, um Investitionen in Gebinde vorzunehmen.“ In Deutschland füllen also der Husumer Mineralbrunnen und die Privatbrauerei & Mineralbrunnenbetrieb H. Egerer das Wasser ab, dessen Etikett als eine Art Flyer für die Vereinsidee fungiert. Von jeder verkauften Flasche gehen, je nach Gebinde, 5 bis 11 Cent Lizenzgebühr an den Verein, der, nachdem er seine Mitarbeiter bezahlt hat, den Gewinn gemeinnützig bei Projekten in Äthiopien oder Uganda verwenden kann.

LEH, C&C und Discount sind offen
Die Idee, so schön sie für jeden PR-Manager klingt, ist für den hart kalkulierenden Händler zunächst nicht sonderlich attraktiv, denn: Für das Spenden-Wasser werden die üblichen Marktregeln ausgehebelt. Keine Werbekostenzuschüsse, keine Listungsgebühren und in der Regel keine Freiware, da dies die Kosten von Viva con Agua in die Höhe treiben und somit der Vereinsidee widersprechen würde. „Bei der Kalkulation der Preisstruktur stand bei uns der Wunsch nach einem kompetitiven Preis mit im Vordergrund“, erklärt Lau. Da auf jedem Gebinde zusätzlich zu den Kosten und Investitionen der Mineralbrunnen eine Lizenzgebühr für Viva con Agua liegt, sind, unter Berücksichtigung eines marktfähigen Preises, keine Spielräume für Listungsgebühren, WKZ oder teure Werbemittel einkalkuliert. Preislich liegt das Wasser dank dieser Strategie aber trotz des gemeinnützigen Hintergrunds auf dem Niveau anderer nationaler Markenwasser. Dies zu erklären, stößt nicht bei jedem Einkäufer auf Verständnis: „Es war bisher in der Gastronomie leichter zu erklären, dass das Wasser in erster Linie Fundraising für einen Verein ist“, erklärt Lau. Mittlerweile würde das Produkt aber schon bei 500 Getränkehändlern verkauft und somit würde auch der Lebensmittel-Einzelhandel interessanter. Und das Interesse besteht gegenseitig: So haben bereits Metro, Aldi und Netto an die Tür von Lau geklopft. Und gegen Wachstum hat der nichts auszusetzen. „Der Verkauf kann von uns aus gern noch weiter wachsen. Schließlich trägt jede verkaufte Flasche dazu bei, dass mehr Menschen Viva con Agua kennen lernen“, so Lau. 2017 hätten die Lizenznehmer bereits 22 Millionen VcA Mineralwasser verkauft.


Um maximale Transparenz bemüht

Soziale Vereine und Unternehmen sind nicht immer leicht zu durchblicken. Wo kommt meine Spende wirklich an? Welche Projekte werden wo gefördert? Das Start-up Share bemüht sich um Transparenz. Das fängt bei dem einfachen 1+1 Prinzip an: Mit dem Kauf der Handseife versorgt man einen Menschen mit einem Stück Seife. Mit dem Kauf des Mineralwassers versorgt man einen Menschen einen Tag mit Wasser. Ein QR-Code ermöglicht es zudem, zu sehen, wo in der Welt die Hilfe konkret ankommt. Diese Ideen haben den Rewe Chef- Lionel Souque so sehr überzeugt, dass es zu einer nationalen Listung kam.

Share ist Anfang 2018 im LEH voll durchgestartet
Einer der Hauptwettbewerber von Viva con Agua, auch wenn man im sozialen Business diesen Begriff nicht gerne verwendet, ist Share aus Berlin. Das Start-up kooperiert seit März mit der Rewe und DM und bietet seine Produkte somit bereits in über 5.000 Märkten und im Rewe-Lieferservice an. Damit ist dem Berliner Start-up der deutschlandweit größte Launch einer sozialen Marke gelungen. Bisher ist das Sortiment noch überschaubar: Neben einem Bio-Nussriegel und veganer Seife gehört dazu auch ein natürliches Mineralwasser. Mit Unterstützung der Hilfsorganisation „Aktion gegen den Hunger“ garantiert das Start-up: Mit jeder verkauften Flasche wird einem Menschen in Not ein Tag Trinkwasser ermöglicht. Mehr als 600 Millionen Menschen hätten noch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, heißt es aus dem Unternehmen. In Deutschland hingegen habe das Angebot im Getränkeregal keine Grenzen – es reicht von Wasser aus einem grünen französischen Vulkan bis zu Kokosnusswasser aus Hawaii. Aus Protest habe man gleich noch ein weiteres Wasser auf den Markt gebracht.

Einer der Gründer von Share ist Sebastian Sticker, der in der Branche schon mit seiner App Sharethemeal Aufmerksamkeit erlangte. Mit der Produktrange soll der soziale Konsum jetzt noch einfacher gehen und auch Menschen ansprechen, die kein Smartphone besitzen. Die Idee: Beim Kauf von nur einem Lebensmittel soll ein gleichwertiges gespendet werden. Das ist die Quintessenz der Marke. Share schreibt sich auf die Fahne, bei allem sozialen Engagement, auch die Produktqualität nicht aus den Augen zu verlieren. So wurde für das Wasser ein großes Quellen-Casting mit strengen Auswahlkriterien abgehalten. Der einstimmig gewählte Siegerbrunnen ist ein kleiner Familienbetrieb aus dem Allgäu, dessen artesische Quelle (Quelle mit natürlichem Austritt) aus dem unberührten Naturpark Nagelfluhkette stammt. Das ausgewogen mineralisierte Mineralwasser sei für Babynahrung geeignet und dabei besonders natriumarm.

Das Konzept kam in der Kölner Rewe-Zentrale so gut an, dass seit Anfang 2018 die nationale Listung vorangetrieben wird. „Wir freuen uns und sind sehr stolz, dieses Start-up unterstützen zu können. Die Leidenschaft, das Engagement und die Begeisterung des Gründers Sebastian Stricker haben mich sofort überzeugt, die Idee einer sozialen Marke in unseren Rewe-Märkten umzusetzen“, erklärt Lionel Souque, Vorstandsvorsitzender der Rewe Group. Der Ansatz mit dem „1+1-Prinzip“ sei unkompliziert und nachvollziehbar für den Verbraucher. Mit jedem Kauf könne einem Menschen in Not geholfen werden.

Sozialen Wandel gestalten

„Trinkend die Welt verändern“ lautet das Motto von Lemonaid. Limette, Maracuja und Blutorange sind die drei Sorten der Limo-Marke. 100 Prozent biologisch angebaut und aus fairem Handel bezogen. Der Tee Charitea ist in vier Sorten erhältlich: schwarzer Tee mit Zitrone, roter Tee mit Passionsfrucht, grüner Tee mit Ingwer und Honig sowie Mate-Tee mit Zitrone, Orange und viel Koffein. Mit jeder verkauften Flasche wird der Lemonaid & Charitea e. V. gefördert, der weltweit viele soziale Projekte unterstützt und unter anderem die sexuelle Ausbeutung von Kindern in Sri Lanka bekämpft.

Interesse an Wachstum, aber nicht um jeden Preis
Ähnlich ambitioniert wie Share oder Viva con Agua ist auch Paul Bethke von Lemonaid Beverages, ein Unternehmen, das mit dem Verkauf von Limonaden und Tee den gemeinnützigen Lemonaid & Charitea e. V. fördert. Das Unternehmen zeigt sich nicht nur auf der Produktseite mit immer neuen Varianten kreativ. Auch vertrieblich ist der Verein äußerst erfolgreich und konnte neben der Impulsplatzierung bei Ikea auch schon viele Lebensmittel-Einzelhändler überzeugen. Dabei macht Bethke keinen Hehl aus seinen Zielen: „Wir wollen stark wachsen. Um mehr Unterstützung für die Bauern und die Projekte in den Anbauregionen zu realisieren“, sagt der Gründer des Hamburger Start-ups. Gleichzeitig dürften die Werte an anderer Stelle aber nicht auf der Strecke bleiben. So arbeite das Unternehmen nur mit Bio- und Fairtrade-Anbietern mit höchsten Qualitätsansprüchen zusammen. Sirup oder Instant Tee sind nicht im Sortiment. Und frische Bio-Maracuja wachse auch nicht immer und überall. Insofern sei das Wachstum schon limitiert.

Lemonaid gibt es bereits seit neun Jahren und ist damit ein alter Hase im Social Business. Mit seiner Erfahrung prophezeit Bethke diesem aufstrebenden Branchen-Zweig eine blühende Zukunft: „Ich bin sicher, dass es mehr als nur ein Trend ist. Es ist ein Bedürfnis, auch wissen zu wollen, wie es den Menschen geht, die das Produkt herstellen – und nicht nur zu fragen, ob auch keine Pestizide eingesetzt wurden“, so Bethke.

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Bild öffnen Sauberes Trinkwasser und eine hygienische Sanitärversorgung stehen bei den sozialen Unternehmen aus der Getränkebranche ganz oben auf der Agenda. Die Startups Share und Viva con Agua fördern solche Projekte
Bild öffnen Benjamin Adrion hat den Verein 2005 mit der Welthungerhilfe gegründet.
Bild öffnen Wo kommt das Geld an? Share ermöglicht Transparenz unter anderem mit einem QR-Code.
Bild öffnen Der schwarze und grüne Tee für Charitea stammt aus Sri Lanka. Vor Ort werden soziale Projekte gefördert.