Rotkäppchen „Wir wollen Authentizität und kein weichgespültes Konzept“

Christof Queisser, Vorsitzender der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm, sprach im Interview mit der LP über Innovationen, die Herausforderungen auf dem Sektmarkt sowie seine Sicht auf den deutschen LEH. 

Freitag, 04. September 2015 - Getränke
Tobias Dünnebacke
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„Alle Produkte, die wir seit 2006 eingeführt haben, können Sie heute noch kaufen.“ Christof Queisser, Rotkäppchen-Mumm (Quellen: Mugrauer)

»Sie haben sich lange Zeit gelassen und sind erst 2014 mit Rotkäppchen Fruchtsecco in den innovativen Markt der weinhaltigen Mischgetränke eingestiegen. Lange nach dem Hype um Spritz, Hugo und Co. Befindet sich Rotkäppchen-Mumm am Puls der Zeit? 

Christof Queisser: Ich denke schon. Was ist denn das wirklich Wichtige bei Neuprodukten und Innovationen? Für uns ist es relevant, dass sich die Produkte am Markt durchsetzen und auch noch in zwei Jahren im Regal stehen. Alle Produkte, die wir seit 2006 eingeführt haben, können Sie auch heute noch kaufen. Beim Thema Weinmischgetränke haben wir uns Zeit gelassen, an der richtigen Entwicklung, dem richtigen Geschmack gefeilt. Der Erfolg gibt uns recht: In den ersten 12 Monaten konnten wir mehr als 10 Mio. Flaschen Fruchtsecco absetzten und uns somit an die Spitze in diesem Segment setzen.

Sie zielen mit Fruchtsecco auf eher junge und weibliche Verwender. Ist das die Zielgruppe, von der Sie sich in Zukunft am meisten Wachstum versprechen?

Unser Geschäft orientiert sich zum einen an Zielgruppen, zum anderen aber immer stärker an Anlässen. Es kann sein, dass ein loyaler Rotkäppchenverwender für einen offiziellen Empfang Mumm kauft, weil diese Marke vom Image sehr hochwertig ist. Für Fruchtsecco sehen wir beispielsweise einen unkomplizierten Sommerabend mit Freunden. Das Schöne an dem Produkt ist, dass es für uns kaum Kannibalisierungseffekte gibt. Wir machen uns mit Fruchtsecco keine Konkurrenz, denn zu so einem formlosen Anlass werden sonst in der Regel eher Biermischgetränke oder Wein konsumiert. Für den Geburtstag kann der Verwender dann wieder zum klassischen Sekt greifen. Auch das Thema Grillen ist für uns spannend: Hier werden immer häufiger Weinmischgetränke konsumiert. Den Trend zum Direktverzehr bei solchen Anlässen wollen wir beispielsweise mit unseren neuen Fruchtsecco- und Jules Mumm Plus-Kleinflaschen bedienen.

Die zahlreichen Neuheiten sind aber auch eine Herausforderung für die Händler. Der Platz in den Regalen ist schließlich begrenzt.

Wir hatten viele Jahre bei den Schaumweinen eine eher statische Platzierung. Da war wenig Bewegung drin und wenn, dann wurde die Fläche zu Gunsten von Wein reduziert. Mit dem Erfolg der Weinmischgetränke ist auch eine neue Platzierung notwendig, denn diese Produkte werden von den Verbrauchern als eigene Kategorie wahrgenommen und sollten im Markt auch so präsentiert werden. Sie stehen mehr in Konkurrenz zu den Biermischgetränken als zum klassischen Sekt.

Die starke Nachfrage nach solchen Neuheiten kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der klassische Sektmarkt in Deutschland schwächelt. Woran liegt das?

Das muss man aus einer längeren Perspektive sehen. Es stimmt, dass der Gesamtmarkt im vergangenen Jahr um 5 Prozent zurückgegangen ist. Allerdings gab es die Jahre davor auch ein starkes Wachstum, getrieben durch Mixgetränke wie Spritz oder Hugo, die mit einer Flasche Sekt Zuhause selbst gemixt wurden. Heute greift der Konsument eher zum Premix, was zu einem leichten Rückgang beim Sekt führt. Diese Entwicklung ist aber keine bedrohliche Schwäche des Sektmarktes und auch der Pro-Kopf-Verbrauch zeigt sich mit 3,9 l stabil.


Trotzdem gibt es immer weniger Konsumanlässe für den klassischen Sekt.

Das ist nur teilweise richtig. Der gesellschaftliche Wandel macht das Leben informeller. Die Menschen haben weniger Zeit, und es gibt weniger festliche Anlässe. Nur ein Beispiel: Heute gehen immer weniger junge Menschen in die Kirche und feiern Konfirmation oder Firmung, zwei klassische Sektanlässe für die Familie. Auch die Geburtstagsfeier mit der lange angekündigten Einladung gibt es so heute immer seltener. Es gibt also weniger lang geplante Events als früher, aber viel mehr spontane, kurzfristig festgelegte Anlässe, zu denen man Sekt, aber eben auch Fruchtsecco genießt.

Auch bei uns im Büro knallen kaum noch die Sektkorken. Man muss ja auch noch Autofahren…

Ich bin überzeugt: Das Ritual des Feierns bleibt tief in den Menschen verankert. Wir nutzen verschiedene Produkte, um diese Rituale zu erhalten. Neben Fruchtsecco beispielsweise mit unseren alkoholfreien Sektvarianten. Rotkäppchen ist inzwischen die größte alkoholfreie Sektmarke in Deutschland, und wir investieren auch viel in diesen Bereich. Allerdings wächst das Segment langsam. Wir haben noch nicht eine absolute Größe erreicht wie beispielsweise die Brauereien mit alkoholfreiem Bier, wo die Verbraucherakzeptanz noch größer ist.

Sekt hat traditionsgemäß neben Bier, Kaffee und Waschmittel die Funktion des Frequenzbringers im Handel. Wie bewerten Sie den hohen Aktionsanteil in dieser Kategorie?

Das ist mit der Attraktivität und der hohen Käuferreichweite zu erklären. Am Ende ist der Handel in der Vermarktung natürlich völlig frei, aber auch wir müssen schauen, dass das Preisbild die Attraktivität der Marke hält. Wichtig ist, dass der Handel sich nicht nur auf die Frequenz, sondern auch das Regalgeschäft konzentriert. Sonderformate wie die Magnum-Flasche, rebsortenreine Sekte wie bei unserer Flaschengärung, Kleinflaschen oder regional verankerte Erzeugnisse: Das aktive Regalgeschäft ist wichtig, um dem Verbraucher Orientierung zu geben. Wenn man das Aktions- und Regalgeschäft gut kombiniert, dann stimmt am Ende auch die Marge für den Händler.

Im Spirituosen-Bereich konnten Sie zuletzt gegen den Trend wachsen. Was war hier der Erfolgsfaktor?

Unser Wachstum in diesem Bereich kommt vor allem von unserer Weinbrand-Marke Chantré. Wir haben uns trotz der steigenden Preise für Weindestillate für eine Qualitätsstrategie entschieden und sind, anders als mancher Wettbewerber, dabei geblieben, einen klassischen Weinbrand mit dem für diese Kategorie rechtlich erforderlichen Alkoholgehalt von 36 Volumenprozent anzubieten, ohne die höheren Einstandspreise an den Verbraucher weiterzugeben. Diese konsequente Markenführung kam bei den Kernverwendern von Weinbrand gut an.

Sterben diese Weinbrand-Trinker nicht bald aus?

Wir haben es mit einer älteren Käuferschicht zu tun, und die Bäume wachsen hier nicht in den Himmel. Aber: Es handelt sich um eine riesige Kategorie. Es gibt wenige internationale Marken, die eine vergleichbare Käuferreichweite in Deutschland haben wie Chantré. Ich bin überzeugt: Wenn wir es weiter schaffen, die Kernverwender direkt anzusprechen, dann ist auch in Spirituosen-Kategorien wie Korn und Weinbrand für uns weiter Wachstum möglich.


Seit 2009 gehört Blanchet zu Ihrem Portfolio. Welche Funktion erfüllt eine solche Weinmarke heute?

Wein funktioniert anders als der Sekt- oder Spirituosenmarkt. Die Kategorie ist sehr vielfältig und klassische Marken haben es schwerer. Bei den Verwendern von Markenweinen handelt es sich um sehr spezifische Käufer. Sie suchen vor dem 6 m langen Weinregal Orientierung. Ihr Anspruch ist ein unkomplizierter Wein mit einer ordentlichen Qualität. Region, Rebsorte oder Winzer sind diesem Käufer nicht so wichtig. Wir haben mit der Umstellung von Blanchet auf ausschließlich französische Weine den richtigen Schritt gemacht. Das zeigen die Zahlen: Mit einem Absatz von 10 Mio. Flaschen war 2014 das Jahr mit dem höchsten Absatz. Es hat fünf Jahre gedauert dieses Volumen aufzubauen, aber eine konsequente Markenführung und hohe Investitionen haben sich am Ende ausgezahlt.

Sie sind in der komfortablen Situation, mit Rotkäppchen-Mumm in Deutschland kaum noch wachsen zu können. Wie sieht Ihre Strategie für den Export aus?

Wir nennen es Internationalisierung und nicht Export. Die Zeiten, in denen man ein deutsches Produkt in die Welt verschicken kann, sind vorbei. Wir zielen auf eigenständige Produkte für die internationalen Märkte. Man kann Deutschland beispielsweise nicht mit dem asiatischen Markt vergleichen, auf denen die Funktion des Schaumweines als Frequenzbringer nicht ausgeprägt ist und das Ganze mehr ein Kompetenzthema ist.

Also neue Produkte für neue Märkte. Sollen diese dann auch den im Ausland schwer verständlichen Namen Rotkäppchen tragen?

Ja, denn eine Marke muss Authentizität und eine gewisse Tradition ausstrahlen. Und wenn das eine Marke hat, dann Rotkäppchen. Wir wollen kein weichgespültes Konzept. Marken wie Jägermeister oder Volkswagen sind im Ausland auch, trotz komplizierter Namen, sehr erfolgreich.

Sie konnten in Ihrem Berufsleben, neben vielen Stationen in der Konsumgüterindustrie, auch Erfahrungen bei der Tengelmann Handelswarengesellschaft sammeln. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Zunächst habe ich gelernt, wie komplex das Handelsgeschäft ist. Die Engländer sagen ‚Retail is detail‘ und das stimmt absolut. Die Verfügbarkeit von Bargeld in den Kassen, die MHD-Kontrolle, das Management der Obst und Gemüse-Abteilung oder die Flut an neuen Produkten sind nur einige Dinge, mit denen sich ein Filialleiter auseinandersetzen muss. Das versteht man, wenn man selbst im Handel gearbeitet hat. Auch im Punkt Personalmanagement habe ich einiges gelernt: Egal ob einfache Servicekraft, Kassierer oder Facharbeiter in der Metzgerei – diese anspruchsvolle Menschenführung hilft für den späteren Weg.

Sie haben sicher den Übernahmepoker um Ihren ehemaligen Arbeitgeber Tengelmann durch die Edeka verfolgt. Die Kartellbehörden haben sich gegen eine Übernahme ausgesprochen. Was ist Ihre Meinung?

Es ist richtig: Die Konzentration in Deutschland ist schon weit fortgeschritten. Aber der deutsche Handel bietet den Verbrauchern auch eine große Vielfalt durch die verschiedenen, kreativen Formate. Sei es Discount, Großfläche, Drogerie, Nahversorger oder Getränkemarkt. Im Vergleich zu anderen Ländern hat der deutsche Verbraucher die größere Auswahl.

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Bild öffnen Christof Queisser ist nicht nur seit 2013 Vorsitzender der Geschäftsführung der Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH, sondern
seit Mai 2015 auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Spirituosen-Industrie und Importeure.
Bild öffnen „Alle Produkte, die wir seit 2006 eingeführt haben, können Sie heute noch kaufen.“ Christof Queisser, Rotkäppchen-Mumm (Quellen: Mugrauer)