Roundtable Spirituosen Zwischen Preisdruck und anspruchsvollen Kunden

Eine Spirituosen-Abteilung stellt für den Händler nicht nur Chance, sondern auch Herausforderung dar. Auf Einladung der LP diskutierten in Neuwied Experten über die anspruchsvolle Warengruppe.

Freitag, 16. Januar 2015 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Zwischen Preisdruck und anspruchsvollen Kunden
Bildquelle: Hoppen

Welche Trends gibt es derzeit im Markt?
Glück: Es fällt mir schwer, eine Spirituose besonders heraus zu heben. Natürlich gibt es Trends wie Gin. Das sollten wir als Lebensmittel-Einzelhändler unbedingt rechtzeitig begleiten, die Kompetenz erweitern und mehr als das Übliche anbieten. Das gilt besonders für komplexe Themen wie Whisky. Man muss schon erklären können, was man da anbietet. Wenn das Fachwissen fehlt, kann man auch Kunden wieder verlieren.

Fischer: Ich möchte im Markt schon gehobene Spirituosen führen. Beim Gin ist das der Bombay Sapphire. Allerdings müssen wir natürlich auch die Kunden berücksichtigen. Bei uns im Odenthal gibt es ebenso die klassischen Käufer, die Korn oder Wodka für 4,99 Euro wollen. Ich versuche die Verbraucher aber mit meinem Hintergrundwissen als Barkeeper zu ermuntern, mehr zu probieren. Aus dem höherpreisigen Vodka Absolute Pepper kann man bspw. eine fantastische Bloody Mary mischen.

Kirner: Aus unserer Erfahrung zahlt sich die intensive Beschäftigung mit der Materie aus. Ein Kunde, der sich für guten Whisky interessiert, kauft in der Regel auch andere hochwertige Lebensmittel.

Welche Bedeutung hat die Werbung noch für die Kategorie?
Glück: Mir fällt auf, dass TV-Werbung im Spirituosen-Bereich eine deutliche Auswirkung auf den Absatz hat. Im Moment profitiert z. B. die Marke Ramazzotti Rosato davon.

Nicolay: Wir sind die einzig Werbetreibenden in unserem Bereich und setzen neben TV und Radio zusätzlich auch verstärkt auf neue Medien. In den Jahresgesprächen mit dem Handel höre ich oft Lob, dass wir es richtig machen und noch im TV präsent sind. Allerdings frage ich mich oft, wie einige unserer Wettbewerber bei Flaschenpreisen von 5,99 Euro sich Werbung überhaupt leisten können?

Fischer: Gerade weil kein Geld für Werbung da ist, plädiere ich für ein stärkeres Nutzen der neuen Medien, für Guerilla-Marketing. Wir sind die Generation von Foodies, die ihr eigenes Essen fotografieren und die Bilder dazu auf Instagram online stellen und teilen. Das erzeugt Traffic und kostet kaum etwas. Es gehört heute zu jenen Menschen, die sich Online dafür interessieren. Ein Hashtag zum Thema Korn beispielsweise, könnte der Kategorie wieder zu neuem Leben verhelfen.

Nicolay: Wir haben mit den neuen Medien lange gewartet, aber steigen da jetzt ein. So wird es neben einer Facebook-Präsenz eine 24-teilige Doku-Soap auf Youtube geben, die mit unserer Marke verknüpft sein wird. Fernsehen ist nach wie vor ein reichweitenstarkes Medium, aber die jungen Konsumenten können wir nicht ausschließlich über TV neu gewinnen.

Glück: Man sollte aber nie vergessen, dass ein Engagement im Social Network, bei Fehlverhalten, auch genauso schnell nach hinten losgehen kann.

Warum bewegen deutsche Marken das Segment nicht im größeren Stil?
Glück: Die deutsche Mentalität ist meist, produzieren und schnell Geld verdienen. Uns fehlt die Geduld der jahrelangen Lagerung. Beim Whisky gibt es Sammler, die suchen das Besondere, da fällt mir der Islay-Whisky Big Peat Winter Edition ein. Der schmeckt wie Torf im Aschenbecher, nichts für jedermann, aber genial gemacht und Kult.

Nicolay: Manche Marke hat es verpasst, bei der Werbung eine neue Linie zu finden. Irgendwann wurde überhaupt keine Werbung mehr gemacht und es gab keine Jugendansprache. Wir machen das anders. Verpoorten ist eine deutsche Spirituose, aber der Name ist nicht deutsch. Die Marke hat einen Premium-Anspruch und ist preislich eher an internationalen Marken orientiert und nicht an anderen deutschen Spirituosen. Trotzdem muss ich sagen: Es gibt hervorragende Erzeugnisse aus Deutschland.

Kirner: Obstbrände und Kräuterlikör zählen nach wie vor zu den Premium-Spezialitäten. Der Obstbrand ist als Digestif ein großes Thema und absolut nicht tot. Im Gegenteil: Die Kunden suchen die Regionalität. Allerdings gibt es geografische Unterschiede. In Schleswig-Holstein spielt Obstbrand zum Beispiel kaum eine Rolle.

Glück: Richtig, viele dieser deutschen Spirituosen spielen vor allem regional eine Rolle. Wer von uns kann sich erinnern, wann er den letzten Korn getrunken hat? Im Münsterland hingegen wird viel Korn getrunken. Insgesamt aber sind Nischenprodukte auch aus Deutschland wichtig. Wobei man auch da differenzieren muss. Zu mir kommen beispielsweise Kunden und wollen deutschen Whisky. Da sage ich denen: „Ja könnt ihr haben, aber der schmeckt anders.“ Bei deutschem Whisky handelt es sich meist um Spirituosen die an Obstbrände erinnern ohne die typischen Rauch, Torf und Sherrynoten, die man bei Whisky erwartet.


Welche Auswirkung wird die Listung diverser Marken-Spirituosen bei Aldi haben?
Glück: Jede Mücke sticht, also kostet jede bei Aldi verkaufte Flasche Umsatz. Wir haben aber einen fachlichen Vorteil und kennen die Geschichten hinter den Produkten. Ein Riesenvorsprung, den Aldi & Co. nicht leisten können. Wenn allerdings Markenspirituosen im Discount auftauchen, wird das ein Fall für den zentralen Einkauf der großen Handelshäuser. Und dann schauen wir mal...

Fischer: Der klassische Lebensmittel-Einzelhändler hat trotz knapper Zeit noch immer den Vorteil, zwei bis drei Sätze zu den Produkten sagen zu können. Das finden die Kunden bei Aldi nicht.

Nicolay: Wir verhandeln mit Aldi wie mit jedem anderen Händler auch. Rein theoretisch kann Verpoorten auch bei Aldi verkauft werden. Allerdings wäre uns wichtig, dass dies keinen Einfluss auf das Aktionsgeschäft hat. Wir wollen maximal viermal im Jahr in der Aktion sein. Unser Fokus liegt eher auf den Verbundplatzierungen, beispielsweise mit Kaffee, Erdbeeren oder Eis. Dort wo die Ware am emotionalsten inszeniert wird, kommen die Kunden wie die Motte zum Licht.

Welche Rolle spielen das Aktionsgeschäft und Verbundplatzierungen?
Glück: Ich wundere mich immer wieder, warum wir dann, wenn wir verkaufen können, Preissenkungen machen. Im Sommer ist es das Wasser und zu Weihnachten der Champagner. Das war schon immer so, aber genau hier sollten wir umdenken. Das Aktionsgeschäft, sprich Handzettel, ist bis auf wenige Ausnahmen immer zentralseitig eingestellt.

Nicolay: Unsere Erfahrung zeigt: Impuls schlägt jeden Preis.

Glück: Das kann ich für Eierlikör bestätigen. Ich habe ein regionales Produkt, das lief in der Spirituosenabteilung überhaupt nicht. Mit einer Platzierung bei den Eiern, muss ich einmal die Woche nachfüllen. Ein anderes Beispiel ist ein Williams-Brand, den man mit zwei Kisten Birnen in der Obstabteilung präsentieren kann. Man muss eine Geschichte erzählen. Ich experimentiere gerne auch mal und durchbreche Gewohnheiten im Einkaufsablauf der Kunden. Ich möchte dort auf Dinge aufmerksam machen, wo er nicht damit rechnet. Je extremer, desto besser bleibt es im Kopf. Ich hänge schon mal einen Weihnachtsbaum verkehrt herum an die Decke, platziere ein Display Bacardi bei Persil oder verkaufe Wein neben der Tiernahrung. Ein Kollege sagte schon mal „du spinnst“, aber es funktioniert: Überraschungsmarketing.

Kirner: Unsere Aufgabe ist, eine Geschichte zu erzählen. Der Außendienst muss Stories, Ideen und Impulse liefern. Das ist beim selbstständigen Einzelhändler natürlich einfacher, denn hier fällt die Entscheidung für einen Aufbau leichter. Tendenziell lässt sich sagen, dass die Händler schon Interesse haben und Ideen annehmen. Man muss Vertrauen aufbauen und sich beweisen. Wenn man eine Idee hat, die Ware aber nach zwei Wochen noch immer steht, hat man als Außendienstler beim nächsten Mal schlechtere Chancen. Wichtig ist, dass wir aber auch dann eine partnerschaftliche Lösung finden.

Fischer: Häufig können Verbundplatzierungen aber schlicht aus Platzgründen nicht realisiert werden. Es ist nicht immer einfach den richtigen Weg zu gehen. Die Aufgabe des Händlers ist es auch, Aktionen attraktiv darzustellen. Wir müssen uns immer neu erfinden und den Kunden überraschen. Ich gebe mir diese Mühe auch für mich selbst: Da, wo ich arbeite, muss es mir gefallen. Von dem, was uns von der Industrie angeboten wird, bin ich oft enttäuscht. Ich wünsche mir mehr Kreativität und Spielraum. Häufig wird mir als Zweitplatzierung einfach eine bedruckte Pappe angeboten. Das ist langweilig. Wenn ich eine Marke hätte, würde ich das anders angehen. Ich kann aber auch nicht für jeden Vertreter mitdenken. Ein anderes Problem: Viele Außendienstmitarbeiter stellen sich mir gar nicht richtig vor.

Kirner: Entscheidend ist, was der Kunde will. Er muss sich wohl fühlen und die Ware finden.

Nicolay: Das ist ein Ansatz, den wir schon seit Jahren verfolgen. Sowohl beim Eis als auch bei Backzutaten, Desserts oder Kaffee. Wir gehen dorthin, wo der Verbraucher unsere Marke als Impulsartikel positiv aufnimmt.

Ist Diebstahl bei Spirituosen noch ein Thema?
Glück: Ein Riesenthema. Marken wie Jack Daniel’s oder Champagner stehen da weit oben. Oft ist es Beschaffungskriminalität, aber was dramatisch zunimmt, ist Bandendiebstahl. Wenn dann was fehlt, ist es direkt viel, und das wird meist sehr teuer. Dagegen kann man sich nur wehren, indem man teuere Spirituosen in einer Glasvitrine wegschließt.

Über Hochprozentiges sprachen (v. l.): Peter Nicolay (Vertriebsleiter Verpoorten), Tobias Dünnebacke (LP-Redakteur), Reiner Mihr (LP-Chefredakteur), Tobias Fischer (Abteilungsverantwortlicher Events bei Getränkemarkt Rewe Tönnies ) und der Rewe-Händler Michael Glück.