Fleisch, Wurst & Geflügel Da kommt das Ei her

Als erster Markt in Norddeutschland ist das Rewe-Center Stanislawski & Laas aus Hamburg mit der Initiative „Tierwohl TV“ gestartet. Der Ausgangspunkt dieses besonderen Angebots waren die Märkte von Rewe Richrath in Köln.

Sonntag, 09. August 2020 - Fleisch
Wibke Niemeyer, Jens Hertling
Artikelbild Da kommt das Ei her
Bildquelle: Henrik Matzen

Der Rewe-Markt Stanislawski & Laas in einem alten Straßenbahndepot im Hamburger Stadtteil Winterhude wird seit 2014 vom Ex-St.-Paulianer Holger Stanislawski zusammen mit dem ehemaligen HSV-Spieler Alexander Laas geführt. Mit „Tierwohl TV“ können Kunden sich nun direkt am Eierregal mit Live-Bildern aus dem Stall über die Haltung der Legehennen informieren. Die Tierwohl-Debatte bewegt seit Langem die Gemüter im Lebensmittel-Einzelhandel. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft achten immer mehr Kunden beim Einkauf auf artgerechte Tierhaltung (86 Prozent) und umweltverträgliche Produktion (82 Prozent). Doch unterschiedliche Siegel zu Regionalität, Haltungsbedingungen und Bio-Produkten sorgen für Irritationen. Hier setzt „Tierwohl TV“ an. Per Livestream werden im Markt Bilder aus den Ställen von regionalen und kleinbäuerlichen Betrieben gezeigt. „Als Voraussetzung für die Nutzung der Liveübertragung reicht ein üblicher Flachbildschirm und die Software Prestige-Display Engine. Die Versorgung der Livestreams läuft über die bestehende Internetverbindung in die jeweiligen Märkte“, erklärt Jürgen Berens von Rautenfeld, Geschäftsführer der Online Software AG und Gründer von Tierwohl TV. Das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Weinheim (Baden-Württemberg) unterstützt den Handel seit Jahren mit Softwarelösungen für Filialwerbung. „Das Feedback zu ‚Tierwohl TV‘ auf Seiten der Kunden ist uneingeschränkt positiv. Insbesondere in Verbindung mit regionalen und familienbetriebenen Höfen. Hier wird Tierwohl häufig schon seit Generationen großgeschrieben, und man betrachtet diese Plattform als längst überfällig. Corona, Tönnies und Co. befeuern die Nachfrage zusätzlich“, berichtet Jürgen Berens von Rautenfeld.

Laut Anbieter von Rautenfeld sollten bei jedem der beteiligten Betriebe zwei Kameras stehen. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zählt auch auf jedem Hof. „Wenn der Bauer nicht gefilmt werden will, hat er einen Kippschalter. Dann erscheint auf den Monitoren in den angeschlossenen Märkten automatisch ein kleiner Zettel ‚Wir sind gleich wieder da‘“, berichtet der Unternehmer. Das Besondere daran: Jeder Händler kann den Livestream in sein eigenes Design einbetten. Es fallen folgende Kosten an:

  1. Schlüsselfertig installiert: eine Kamera: 3.500 Euro, für zwei Kameras sind es 5.000 Euro sowie
  2. Streamingkosten von 50 Euro pro Kamera. Die Kosten für Punkt 1. und 2. übernimmt in der Regel der Erzeuger.
  3. Ein Bildschirm in der Filiale kostet den Händler etwa 1.000 Euro.

„Wir haben uns für eine klare und ehrliche Kommunikation der Haltungsbedingungen unserer Legehennen entschieden und möchten mit dieser Transparenz das Vertrauen unserer Kunden in unser regionales Engagement und die angebotenen Produkte stärken“, erklärt Rewe-Kaufmann Holger Stanislawski. Auf dem Bildschirm am Eierregal sind „glücklich lebende“ Hühner vom Geflügelhof Schönecke aus dem niedersächsischen Neu Wulmstorf zu sehen. Im Stall und auf dem Auslaufgelände wurden mehrere Videokameras installiert. Inhaber Henner Schönecke erzählt: „Ich war von der Idee sofort begeistert. So kann ich zeigen, dass uns die Tiere wichtig sind und artgerechte Haltung eine Herzensangelegenheit ist.“ Die Liveaufnahmen bindet der Markt in sein eigenes Design ein und ergänzt diese in der Regel noch mit einer Hintergrundinformation zum Landwirt sowie Produktangeboten.

Rewe Richrath: Ausgangspunkt von „Tierwohl TV“
Szenenwechsel zu Rewe Richrath in die Opernpassage Köln. „Der Lebensmittel-Einzelhandel sucht schon länger einen sinnvollen Umgang mit einem sensiblen Thema, das uns schon lange bewegt: die Tierwohl-Debatte“, sagt Lutz Richrath, Inhaber von 15 Rewe-Märkten in Köln und im Rhein-Erft-Kreis. Wie sein Bruder Peter ist er in den 1980er-Jahren in das Familienunternehmen eingestiegen, heute führen es beide gemeinsam. „Ich habe deshalb reagiert und die Initiative ‚Tierwohl TV‘ gestartet.“ Seit September 2019 werden täglich Live-Bilder von regionalen Bauernhöfen mit Hühnern und Strohschweinen direkt auf Bildschirme in den Markt Köln-Opernpassage gesendet. „Durch die Liveübertragung erhält die vorher anonyme Ware ein Gesicht. Der Kunde ist direkt involviert in das Leben der Tiere. Im Markt sieht der Käufer transparent und authentisch, wo seine Eier herkommen und wie die Schweine aufwachsen“, sagt Inhaber Lutz Richrath über „Tierwohl TV“. So werden Bauer Willi Steffens aus Brüggen-Bracht und seine „glücklich lebenden“ Schweine auf dem zentralen Bildschirm im Eingangsbereich der O+G-Abteilung präsentiert. Die Web-Kameras, die direkt ins Mobilnetz streamen, sollen demonstrieren, wie die Schweine aufwachsen. „Wir wollen damit Authentizität und Ehrlichkeit vermitteln“, sagt Lutz Richrath.

Das Regionalprogramm: 400 Produkte von lokalen Erzeugern
Was war der Ausgangspunkt? „Wir haben bereits seit 2006 das Regional-Programm ‚Wir aus der Region – kurze Wege, langer Genuss!‘ in unseren Märkten etabliert“, berichtet Lutz Richrath. Mittlerweile bietet Richrath in seinen 15 Supermärkten rund 400 regionale Produkte an, die allesamt von Erzeugern stammen, die im Umkreis von 60 Kilometern um die Bergheimer Firmenzentrale ansässig sind. Worauf es Lutz Richrath dabei ankam, zeigt am besten das Beispiel Fleisch. Schweinefleisch bezieht der Rewe-Händler vom Mäster Willi Steffens aus Brüggen am Niederrhein. Willi Steffens entwickelte seit 1992 über die Jahre hinweg eine alternative Haltung für seine Tiere. Heute tummeln sich auf dessen Pötterhof bald 2.500 Schweine in Außenklimaställen, natürlich auf Stroh, mit viel frischer Luft und minimalem Energieaufwand durch natürlichen Tag-/Nacht-Rhythmus. Steffens setzt auf eine tierfreundlichere Schweinemast in Außenklimaställen mit Stroheinstreu und Auslaufmöglichkeiten. Lutz Richrath hat mit Bauer Steffens eine feste Vereinbarung für Haltung und Fütterung der Tiere. So dürfen keine Antibiotika eingesetzt werden, und es muss einen Außenstall geben. Die Gegenleistung ist ein höherer Preis, den der Landwirt pro Kilo bekommt. 150 Schweine ordert er jede Woche bei Steffens. Er zahlt ihm einen Aufschlag von etwa 25 Prozent auf den Marktpreis. „Unsere Kunden sind bereit, etwas höhere Preise für so ein regionales Qualitätsprodukt zu bezahlen“, sagt Lutz Richrath, der das Produkt unter Richrath’s Landmetzgerei vermarktet.

Ein weiteres Stück in der Transparenz der Kette
„Wir wollen unseren Kunden mit ‚Tierwohl TV‘ vermitteln, dass wir uns vor ihnen nicht verstecken: Dies soll ein weiteres Stück in der Transparenz unserer Kette sein.“ Für Richrath ist „Tierwohl TV“ keine Beruhigung seines Gewissens, „da wir schon immer sehr viel für das Tierwohl getan haben und auch künftig tun. Wir sind immer bestrebt, regionale und unter besten Voraussetzungen produzierte Produkte zu vermarkten. Für uns ist das eine Philosophie und keine Beruhigung des Gewissens.“ Es wäre wirklich schön, wenn möglichst viele selbstständige Kaufleute teilnehmen könnten, lautet der Wunsch von Richrath.

Michael Rees, Inhaber von Edeka-Märkten mit sieben Filialen in Karlsruhe und Freiburg, hat sich ebenfalls für den Einsatz von „Tierwohl TV“ entschieden. „Wir sind ein Unternehmen, das sehr stark auf Regionalität setzt. Wir wollen transparente Wege zwischen Erzeuger und uns darstellen. Mit dieser Art können wir das gut abbilden, und der Verbraucher erhält ein besseres Bild von unseren Produzenten“, sagt der Kaufmann. In seinen Filialen zeigt er jetzt Live-Bilder von den Legehennen, von denen die Eier im Regal stammen. Beim Landwirt vor Ort, dem Geflügelhof Zapf, wurden dafür Kameras im Stall der Legehennen installiert. Diese senden das aktuelle Geschehen im Livestream direkt auf einen Bildschirm im Supermarkt. „Wir haben Anfang Mai einen ersten Bildschirm in unserer Karlsruher Filiale installiert und sammeln damit erst einmal erste Erfahrungen, bevor wir im Spätsommer in das Rollout für alle sieben Filialen gehen“, erklärt Michael Rees, Inhaber von Edeka Rees. Ziel sei es, Verbrauchern im Lebensmittelmarkt per Live-TV eine ungeschönte Sicht in Haltungsbedingungen und Lebensverhältnisse der Tiere zu geben, deren Fleisch sie kaufen und deren Eier sie essen wollen. Und für das sie bereit sind, mehr Geld auszugeben, als für das Fleisch eines in anonymer Massentierhaltung gehaltenen Tieres. „Die Maßnahme hat sich positiv für den Produzenten und uns ausgewirkt. Der Produzent kann dadurch seinen Betrieb als Marke entwickeln, gleichzeitig schaffen wir beide Transparenz für unsere Kunden. Wir reden nicht nur darüber, sondern zeigen vor Ort, dass es auch so ist“, berichtet Rees. Wie reagieren die Kunden auf „Tierwohl TV“? „Durchweg positiv. Eine sehr gute Resonanz haben wir auch bei Kindern, die das unheimlich spannend finden“, berichtet Rees. Wird dadurch mehr verkauft? „Der Abverkauf lässt sich durch die erhöhten Corona-Zahlen im Moment schlecht messen. Wir müssen abwarten, wie sich der Umsatz danach entwickelt.“

Frank Runkel, Rewe Kaufmann aus Mettmann, konnte dagegen durch die Zusammenarbeit mit „Tierwohl TV“ und einem regionalen Eierlieferanten den Abverkauf von Eiern um zwölf Prozent steigern: „Die Leute sind begeistert davon, dass wir ihnen zeigen, wie die Hühner wirklich gehalten werden. Und zeitweise verwundert, da sie diesen Hof viel mehr mit Käfighaltung in Verbindung gebracht hatten als erwartet.“