Interview mit Sarah Dhem Stolz auf die eigene Arbeit

„Als Branche müssen wir noch sichtbarer werden“, fordert Sarah Dhem, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie im Interview. Jens Hertling

Mittwoch, 27. Mai 2020 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Stolz auf die eigene Arbeit
Bildquelle: Claudia Schiffner

Was sind die größten Probleme durch Corona für die Fleischbranche?
Sarah Dhem: Die Auswirkungen der Corona-Krise für die Fleischwarenindustrie sind zwiespältig: Zum einen ist die Nachfrage seitens der privaten Haushalte in kurzer Zeit rapide angestiegen, zum anderen ist der Bedarf der Gastronomie stark eingebrochen. Unsere Mitgliedsbetriebe sind lieferfähig und die Lieferketten stabil. Die Versorgung der Bevölkerung mit Wurst- und Fleischwaren war in den zurückliegenden Wochen jederzeit sichergestellt, weil wir Produzenten zahlreiche Maßnahmen zum Erhalt der Lieferfähigkeit getroffen haben.

Wird sich die Fleischbranche durch Corona verändern?
Zur Sicherung der Produktion gehört etwa die Clusterbildung von Mitarbeitern, die in unterschiedlichen Schichten arbeiten, um direkten Kontakt miteinander zu vermeiden. Es wurden auch Krisenteams gebildet, die sich regelmäßig treffen und die Maßnahmen koordinieren. Zudem wurden die ohnehin strengen Hygieneregeln deutlich verschärft. Wir haben in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Fleischwirtschaft und des Fleischerhandwerks unter dem Motto #ICannotStayAtHome eine gemeinsame Initiative der drei Verbände auf Facebook gestartet, um allen Mitarbeitern der Branche Solidarität und Gemeinschaft aufzuzeigen. Wurstherstellung funktioniert wie jedes andere Handwerk nun mal nicht aus dem Homeoffice heraus.

Wie denken Sie als Unternehmerin über Corona?
Die wirtschaftlichen Folgen machen mir große Sorgen. Das ganze Ausmaß ist bei weitem nicht absehbar und noch nicht greifbar. In unserem Unternehmen wollten wir im nächsten Jahr anbauen. Wir haben das jetzt erstmal nicht weiterverfolgt, weil wir nicht wissen, was passiert.

Sie sind jetzt ein Jahr Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V. (BVDF). Können Sie bitte ein Resümee ziehen?
Es macht mir viel Spaß, etwas zu bewegen und der Branche eine Stimme zu geben zu dürfen. Wir müssen noch sichtbarer werden. Wer sich in den Vorstand wählen lässt, so ist mein Verständnis, muss auch als Sprachrohr der Branche auftreten.

Was sind Ihre größten Anliegen?
Ich möchte vor allem das Image der Branche verbessern. Das gelingt nur, wenn wir öffentlich mehr wahrgenommen werden. Wir machen einen verdammt guten Job, wir dürfen und müssen unseren Stolz wieder nach außen tragen.

Erleichtert es die Aufgabe, dass eine Frau Verbandschefin ist….
Ja, ich habe das Gefühl, dass es ein Vorteil ist, dass ich eine Frau bin. Für viele ist es überraschend und interessanter, als wenn wieder ein Mann mit Anzug in den besten Jahren den Verband vertreten würde. Wir haben den Vorstand insgesamt im zurückliegenden Jahr deutlich verjüngt und somit den Generationswechsel eingeläutet.

Warum gibt es so wenige Frauen in der Fleischbranche?
Als ich in die Firma einstieg, hatte ich das Gefühl, dass ich die einzige Frau bin. Inzwischen hat sich viel verändert: In einigen Unternehmen der Fleischwarenindustrie gibt es heute eine Chefin. Das hier so viele Männer tätig sind bringt die Historie mit sich – wursten und schlachten war früher doch mehr männlich geprägt. Ich habe mich durchgesetzt, heute ist es zum Glück nichts Außergewöhnliches mehr.

Wie schwer ist es als Frau sich hier durchzusetzen?
Es ist gar nicht so schwer. Als Frau hat man es manchmal sogar im ersten Schritt ein wenig leichter, weil die Männer mir gegenüber viel höflicher sind. Als Frau bekommen Sie nicht so schnell ein Nein, wie es vielleicht unter Männern in der Branche so üblich ist. Wenn ich dabei bin, ist der Ton tatsächlich ein anderer. Das habe ich schon gemerkt, als ich mit meinem Vater zu den ersten Jahresgesprächen gefahren bin. Als Frau muss ich dann aber zeigen, dass ich tatsächlich Ahnung von dem habe, was ich da rede. Das ist auch ein Grund, warum ich einfach froh bin, dass ich sowohl meinen Meister erworben habe, als auch das anfangs abgebrochene Studium zu Ende gebracht habe. Am Ende des Tages zählt die Leistung, egal ob man Mann oder Frau ist.

Warum sind Sie Fleischerin geworden?
Fleischer erzeugen mit sehr viel Respekt vor dem Leben und dem Tier hochwertigste Lebensmittel. Und vor allem extrem leckere, das wollte ich auch lernen. Deshalb bin ich Fleischerin geworden.

Welchen Verbraucherwunsch muss die Branche besonders ernst nehmen?
Als Branche müssen wir generell immer schauen, was die Kunden möchten und was sie wirklich konsumieren wollen. Das beste Beispiel ist der zeitweise Hype um vegetarische und vegane Produkte: Ich glaube nicht, dass die Mehrzahl der Deutschen auf ihre Wurst verzichten will. Unser Verband hat die Aufgabe, diese Menschen zu bestärken, dass es in jeder Hinsicht in Ordnung ist, Wurst und Fleisch zu essen.

Dann sind Vegetarisch und Vegan keine Themen?
Die vegetarische und vegane Ernährung nehmen wir Wurstproduzenten sehr ernst, sind aber auch sicher, dass die Zahl der sich so ernährenden Menschen überschaubar bleibt. Betriebe, für die diese Nische passt, haben das bereits für sich entdeckt und das ist eine tolle Chance für diese Unternehmen. Aber wir sind die Wurstbranche, da sollten wir uns Gedanken um das machen, was wir können. Und das sind Fleisch- und Wurstwaren.

Haben Sie Verständnis für Leute, die der Umwelt oder den Tieren zuliebe auf Fleisch verzichten?
Ich kann das durchaus auch nachvollziehen. Aber die Nährwerte vieler „Ersatzprodukte“ halte ich für mehr als zweifelhaft. Es wird sich bewusst an die Bezeichnungen der Fleischerzeugnisse angelehnt, aber die ernährungsphysiologische Zusammensetzung der Produkte ist doch völlig anders. Wer Tierhaltung wirklich verändern will, der muss anders und bewusster essen und vor allem Fleisch und Wurst aus alternativen Haltungen auch kaufen. Auch wenn der Preis deutlich höher liegt als im Discount – weniger ist hier oft mehr.

Wie denken Sie über „In Vitro“?
Beim Fleischkongress der Lebensmittel Praxis im Februar kam der Vorwurf auf, dass sich unsere Branche nicht mit In Vitro beschäftigt. Die Ansicht kann ich nicht teilen. Ich bin Fleischermeisterin und ich beschäftige mich, mit dem, wo ich mich auskenne. Da dreht es sich natürlich generell um Fleisch- und Wurstprodukte. Ich muss mich nicht zwangsläufig mit Biotechnologie beschäftigen, aber ich muss sie durchaus wahrnehmen, weil sie zukünftig möglicherweise auch ihre Berechtigung am Markt haben wird. Ich sehe die Zukunft der Fleischwirtschaft weiterhin sehr positiv, weil wir sehr gut aufgestellt sind. Wir reden über Ernährung, wir reden über Genuss - das sehe ich bei vielen Produkten nicht, die im Moment gehypt werden.

Was macht Sie nachdenklich?
Ich habe mal behauptet, dass unser Fleischerberuf nicht ersetzbar ist. Ein Schwein muss man mit der Hand zerlegen. Inzwischen werden immer mehr Maschinen eingesetzt. Das finde ich bedenklich und ich konnte mir das auch nie vorstellen. Ich verstehe, warum diese Entwicklung leider so sein muss. Für mich geht dadurch die Wertschätzung des Lebensmittels und vor allem des Tieres verloren. Diese Entwicklung bringt uns von unserem Lebensmittel weit weg. Das müssen wir uns alle sehr bewusst machen, denn das finde ich gefährlich.

Was macht für Sie die Fleisch-Branche aus?
Die Menschen! Unsere Branche ist geprägt von mittelständischen Familienunternehmen, wir reagieren seit Generationen flexibel auf alle Veränderungen und passen uns erfolgreich immer neuen Marktgegebenheiten an. Der Zusammenhalt und das Verständnis untereinander in der Branche, die Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern und den Regionen, in denen wir jeweils beheimatet sind, stehen für unsere Verbandsbetriebe ganz oben auf der Prioritätenliste.

Die Lebensmittenbranche konsolidiert – wie können die Unternehmen der Fleischbranche bestehen?
Indem wir genau das machen, was wir unheimlich gut können: Der Mittelstand hat in der Vergangenheit immer bewiesen, dass er schnell auf neue Anforderungen reagieren kann. Jedes Unternehmen muss jetzt schauen, was zu ihm passt und welche Ausrichtung wird es in zehn Jahren haben. Am besten besteht ein Unternehmen am Markt, wenn es Gewinn abwirft. Und da liegt unsere wichtigste Aufgabe: Geld verdienen, damit in Mitarbeiter und Zukunft investiert werden kann.

Eine bessere Tierhaltung durch eine Fleischsteuer - was meinen Sie dazu?
Ich bin dagegen. Eine Steuer ist sicherlich keine passende Antwort auf die Fragen rund um ein Mehr an Tierwohl. Im Gegenteil: Eine Steuer würde diejenigen bestrafen, die jetzt schon eine andere Tierhaltung als gesetzlich vorgeschrieben anbieten.

Wie denken Sie über die Zukunft?
Die Zukunft hält wie immer viele spannende Aufgaben und Chance bereit. Die Fleischwirtschaft steht nicht nur in Deutschland vor neuen Herausforderungen. Neben strukturellen Verschiebungen müssen Antworten auf die veränderte Nachfrage der Verbraucher und die aktuellen gesellschaftlichen Forderungen an die landwirtschaftliche Erzeugung gefunden werden.

Was ist Ihnen wichtig?
Wir legen Wert auf unsere eigene starke Verankerung in der Mitte der Gesellschaft. Daran arbeiten wir in unseren Unternehmen und bei unseren Produkten. Wir sind auf dem Weg: Die Ernährung der Zukunft, zu der Wurst- und Fleischwaren wesentlich gehören, liegt uns am Herzen. Darum freuen wir uns über alles, was die Diskussion vorantreibt. Unser Beitrag als Fleischwarenindustrie: Wir verändern uns, machen unsere Produkte noch besser - auch damit die Erzeuger für ihre Arbeit einen fairen Erlös bekommen.

Sind denn die deutschen Verbraucher bereit beim Fleischkauf für mehr Tierschutz mehr in die Tasche zu greifen?
Das muss man differenziert sehen. Es ist nicht die Mehrheit der Verbraucher, die konkret mehr Tierwohl kauft. Auch wenn das in Umfragen häufig den Anschein erweckt. Trotzdem ist die Nachfrage auf Seiten der Kunden da und die Kunden sehen auch, dass Tierwohl nicht zum Nulltarif zu machen ist. Dem Handel fehlt allerdings noch zu häufig der Mut dies auszuprobieren.

Mit der Marke „Glücksatt“ fahren Sie einen eigenes Tierwohlprogramm. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
Wir vermarkten seit fünf Jahren Fleisch und Wurst von Schweinen aus Aktivställen. Entwickelt hat das Programm, das zwischen konventionell und Bio liegt, die Landwirtin Gabriele Mörixmann (siehe Kasten). Wir vermarkten das Fleisch unter anderem erfolgreich in unserem Online-Shop „Kalieber“, in den WEZ-Märkten und in den Märkten von Edeka Cramer. Wir werden aber nicht alle Käufer von dem Konzept begeistern. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir aber jetzt anfangen, ein Angebot zu schaffen.

Wie meinen Sie das?
Die Kunden wollen ehrliche und nachvollziehbare Programme. Dann sind sie auch bereit, einen Aufschlag zu zahlen.

Welche Punkte sind auf Ihrer Agenda ganz vorn?
Corona zeigt uns grade, dass wir im Punkt Versorgungssicherheit perfekt aufgestellt sind. Qualität und Lebensmittelsicherheit sind zwei zentrale Themen, die nicht nur beim Verbraucher, sondern auch im Verband eine zentrale Rolle spielen. Auch Nachhaltigkeit hat einen hohen Stellenwert: Immer mehr Fleisch- und Wurstwarenhersteller leisten ihren Beitrag und kümmern sich um Ressourcenschonung, Energieeffizienz, die Senkung des Wasser- und Stromverbrauchs sowie die Verringerung des CO2-Ausstoßes.

Thema Lebensmittelsicherheit: Wie denken Sie rückblickend über den Fall Wilke?

Wilke ist auf keinen Fall ein Spiegel unserer Branche. Das Versagen der Behörde ist für unsere Branche eine Vollkatastrophe. Ein solches Versagen in der ganzen Kette, von der Reinigungsfirma über die Mitarbeiter bis zum Abnehmer und des gesamten Kontrollsystems, darf es nie wiedergeben.

Sie haben in einem Interview mal über den New Deal gesprochen. Was bedeutet das?
Fleisch- und Wurstwaren sind ein wichtiger Wirtschaftsmotor für Deutschland. Für einen New Deal müssen sich alle an einen Tisch setzen. Neben dem Handel und den Landwirten sind vor allem Politik, Verbraucher und Nahrungsmittelhersteller als Zwischenstufe aufgefordert, sich in die Diskussion miteinzubringen, um den geforderten und notwendigen positiven Wandel zu ermöglichen.

Vor der Corona-Krise mussten die Verarbeitungsbetriebe mit extremen Rohstoffkosten wirtschaften. Welche Rolle spielt hier der Handel?
An diesem Punkt bin ich mir nicht sicher, was der Handel will. Unsere Aufgabe als Unternehmer muss es sein, die notwendigen Preiserhöhungen konsequenter durchzusetzen. Wir wollen die Vielfalt unserer Branche und unserer Produkte erhalten.

Sollten Rabattschlachten oder Expansionspläne des Handels in Zukunft außen vor bleiben….
Für die Mitglieder unseres Verbands kann ich aktuell sagen, dass wir mit den in unserer Branche notwendigen - und häufig vom Handel initiierten - Investitionen ausgelastet sind und nicht noch zusätzlich die Expansion unserer Kunden übernehmen können. Wir stehen für unsere eigenen Kosten und für unsere eigenen Investitionen ein. Wir liefern gute Produkte und einen guten Service. Dafür brauchen wir auch einen Preis, mit dem wir das bereit stellen können. Wir sind keine Bittsteller, sondern wir sind Lieferanten.

Viele Ihrer Mitgliederfirmen haben Schwierigkeiten ihre Stellen mit geeigneten Fachkräften zu besetzen. Wie bekommen Sie das in Griff?
Sehr schwer. Wir müssen zeigen, was man als Fleischer heutzutage alles erreichen kann, gerade auch hier in der Gegend und mit dem aktuellen Trend zu mehr hochwertigen Fleischprodukten. Wir müssen aber auch zusehen, dass der Beruf gut bezahlt wird. Wir müssen die Leute wieder für die Lebensmittelherstellung begeistern. Wir haben mit unserer Branche in den letzten Jahren sehr viel falsch gemacht. Da kann die Arbeit am Image viel Positives bewirken und dafür ist eine ehrliche Öffentlichkeitsarbeit zwingende Voraussetzung.

Hat die „Fridays for Future“-Bewegung in der Fleisch-Branche etwas geändert?
Leider überlagert Corona im Moment alles: Die „Fridays for Future“-Bewegung hat auf jeden Fall ein neues Bewusstsein geschaffen. Ich finde es wichtig, dass wir uns alle mit dem Thema noch mehr beschäftigen, da man auf Dauer betriebsblind wird. Ich habe selbst die Bahn als neues Transportmittel entdeckt. Es gibt in unserer Branche viele gute Beispiele, wo technologische Erneuerungen auch Einsparpotenziale offenlegen. Beim Thema Nachhaltigkeit ist noch Luft nach oben und es wird noch viel passieren.

Ist Ihnen um die Zukunft Ihrer Mitgliedsbetriebe bang?
Nein, ich bin da eher entspannt. Viele Firmen haben die Zeichen der Zeit erkannt und beschäftigen sich mit der Frage, wie sie ihr Unternehmen in den nächsten zehn bis 15 Jahre aufstellen.

Wie denken Sie über die „Initiative Tierwohl“ und über das zukünftige staatliche Tierwohl-Label?
Ich würde mir wünschen, dass in Bezug auf das staatliche Label mit Praktikern geredet wird. Wir haben so viele Kollegen, die genau solche Konzepte von nicht unrelevanter Größe auf die Beine gestellt haben. Unsere Branche könnte in der Thematik viel beisteuern. Zudem gibt es mit der Initiative Tierwohl bereits ein organisiertes und finanziertes Label, hier muss eine Zusammenarbeit erfolgen. Zwei Label bringen nicht mehr Veränderung.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Branche?
Wir müssen wieder stolz auf unsere Arbeit sein. Wir stellen hervorragende Lebensmittel her, natürlich in unterschiedlichen Qualitätsstufen, aber immer sicher. Als Branche schaffen wir es, alle Menschen zu ernähren – und für jeden Geldbeutel ein schmackhaftes Angebot zu machen.