Schweinezucht Reizthema Kastration

Der 1. Januar 2019 ist ein entscheidendes Datum. Ab dann dürfen Landwirte Ferkel nicht mehr betäubungslos kastrieren. Das wirft in der Praxis Probleme auf: bei Landwirten, Schlachtunternehmen und dem Einzelhandel. Wir erklären den Hintergrund.

Donnerstag, 09. August 2018 - Fleisch
Michaela Hennecke
Artikelbild Reizthema Kastration
Bildquelle: Michaela Hennecke, Vion

Ein Schwein ist ein Schwein und bleibt ein Schwein. So einfach, wie es klingt, ist es nicht. Erst einmal gibt es männliche und weibliche Schweine. Dann gibt es männliche Schweine, die es bleiben dürfen und zu Ebern heranwachsen, und solche, die zu Kastraten werden. Kastraten werden sie, indem Landwirte ihnen einige Tage nach der Geburt die Hoden entfernen, damit sie mit zunehmendem Alter nicht zu Stinkern werden (siehe Text S. 61 unten). Nach deutschem Tierschutzgesetz ist die Kastration bislang noch ohne den Einsatz von Betäubungsmitteln erlaubt. Verschiedene Tierschutz-Organisationen haben in der Vergangenheit gegen dieses Vorgehen protestiert. Mit Erfolg: Die Kastration ohne Betäubung ist ab Januar des nächsten Jahres verboten.

Als Alternativen stehen zurzeit die Ebermast, die Immunokastration und die Kastration unter Vollnarkose zur Verfügung (siehe Tabelle, S. 102). In den vergangenen Monaten wurde auch immer wieder die Kastration unter lokaler Betäubung diskutiert – der sogenannte „vierte Weg“. Diese Alternative ist jedoch unter dem Deutschen Tierschutzgesetz nicht erlaubt.

Das Fleisch unserer Schweine kommt zurzeit hauptsächlich von weiblichen Schweinen und Kastraten. Werden in Zukunft die Möglichkeiten der Vollnarkose oder örtlichen Betäubung (wenn zugelassen) eingesetzt, wird sich an der bisherigen Fleischqualität nichts ändern. Denn dann entfernt man männlichen Schweinen, wie bisher auch, die Hoden – nur eben jetzt unter Betäubung. Finden jedoch die Ebermast und die Immunokastration Einzug in den Stall, wird es unterschiedliche Fleischqualitäten geben.

Ein Verfahren, dass unter anderem von Aldi und den Real SB-Warenhäusern unterstützt wird, ist die Ebermast. Hier mästet der Landwirt intakte Eber. Diese verfügen im Gegensatz zu Kastraten über einen höheren Anteil an Bauchfleisch. Schulter und Schinken hingegen fallen leichter aus. Eberfleisch hat jedoch auch höhere Anteile mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Da dieses Fett schneller ranzig wird, hat dies zur Folge, dass das Fleisch nicht für die Herstellung von Rohwürsten und Schinken geeignet ist. Das weichere Fettgewebe des Eberfleisches bewirkt, dass es sich leichter von anderen Geweben trennt und die Qualität mancher Schnitte abnimmt. Grundsätzlich ist Eberfleisch weniger fett.

Unter Tierwohl-Aspekten ist die Eber-Mast problematisch. Grund ist das ausgeprägte Sexualverhalten der Tiere, das sich in unterschiedlichsten Verletzungen äußern kann. Hier muss nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes durch Beobachtung der Tiere sichergestellt werden, dass es nicht zu Verletzungen kommt. Generell hält der Deutsche Tierschutzbund die Haltung von Ebern für realisierbar. „Ebern muss ausreichend Platz angeboten werden, damit sie einander bei Rangordnungskämpfen ausweichen können. Eine angepasste Fütterung, die zu einer dauerhaften Sättigung führt, und artgerechte Beschäftigung sind ebenfalls Voraussetzung für eine problemlose Haltung“, heißt es.

Weitere Tierschutzorganisationen, wie „Vier Pfoten“ und „Pro Vieh“, befürworten Haltungsformen, bei denen die Hoden der Tiere intakt bleiben. Angela Dinter, Fachreferentin für Schlachtung und Tiertransporte bei Pro Vieh, sagt: „Wir sprechen uns für die Ebermast und die Immunokastration aus, da die männlichen Ferkel unversehrt bleiben und keinem chirurgischen Eingriff unterzogen werden müssen.“

Die Immunokastration ist eine Impfung, die zurzeit nur von dem Pharmaunternehmen Zoetis unter dem Namen Improvac angeboten wird. Sie bewirkt, dass sich die Hoden ab der zweiten Impfung nicht weiter entwickeln. Das männliche Schwein produziert und scheidet keine Sexualstoffe mehr aus. Eine Zeitspanne von vier Wochen nach der Impfung bis zum Schlachttermin gewährleistet, dass alle Geruchsstoffe aus dem Fettgewebe abgebaut sind, bevor das Tier zum Schlachthof gelangt.

Geimpfte Tiere verfügen je nach Impfzeitpunkt über einen höheren Magerfleischanteil. Außerdem ist der intramuskuläre Fettanteil höher als bei intakten Ebern. Ein höherer intramuskulärer Fettgehalt erhöht den Geschmack des Fleisches, da Aromastoffe fettlöslich sind. Außerdem wird das Fleisch zarter, die Koch- und Bratverluste geringer. Geimpfte Eber haben kein Problem mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Sie unterscheiden sich in Bezug auf Fleisch-Farbe, pH-Wert und Tropfsaftverluste nicht von weiblichen Tieren oder intakten Ebern.

Stinkende Eber

Männliche Schweine bilden, wenn sie sich als intakte Eber entwickeln, mit der Geschlechtsreife Sexualhormone, die beim Erhitzen des Fleisches unangenehm riechen können. Etwa drei bis elf Prozent der Eber sind davon betroffen. Der Geruch wird individuell wahrgenommen. Frauen riechen ihn intensiver als Männer, Asiaten eher als Nicht- Asiaten. Aber auch die individuelle Geruchsempfindlichkeit und die Art der Zubereitung des Fleisches spielen eine wichtige Rolle. Verantwortlich für den Geruch sind die beiden Stoffe Androstenon (urinartiger Geruch) und Skatol (fäkalartiger Geruch). Skatol wird sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Schweinen gebildet. Androstenon ist ein geschlechtsspezifisches Hormon, das in den Hoden gebildet wird. Es verstärkt die Wirkung von Skatol. Beide Stoffe werden im Fettgewebe eingelagert und verbreiten bei Erwärmung den unangenehmen Geruch.


Auch wenn die Immunokastration von einigen Handelspartner akzeptiert wird, hat sie ein entscheidendes Problem: Viele Schlachtunternehmen nehmen keine geimpften Tiere ab. Warum das so ist, darüber geben diese Unternehmen ungern Auskunft. Auf Anfrage antworteten lediglich Vion und Westfleisch. „Vion nimmt keine immunokastrierten Eber ab. Wir haben keine Kunden für das Fleisch dieser Tiere. Auch wenn ein Kunde Improvac akzeptieren sollte, nimmt er nur bestimmte Teilstücke, keine halben Schweine. Was machen wir mit dem Rest des Schweins, wenn andere Kunden keine Teilstücke von immunokastrierten Schweinen beziehen wollen?“, erklärt Vion. Westfleisch stellt klar: „Westfleisch nimmt keine geimpften Tiere ab oder verarbeitet sie, da diese von den Kunden nicht akzeptiert werden.“

Eine Diskussion, die andere Länder schon hinter sich haben. Australien beispielsweise hat sich in den späten 1970er Jahren von der chirurgischen Kastration abgewandt. Das Land schlachtet zurzeit etwa 5,3 Millionen Schweine im Jahr. 18 Prozent des Fleisches wird von Sunpork Solutions produziert. Darryl D´Souza, CEO von Sunpork Solutions, sagt über die Marktentwicklung in Australien: „Einzelhändler haben unterschiedliche Produktionsstandards. Einige haben explizit herausgestellt, dass sie immunokastriertes Fleisch haben möchten. Andere Einzelhändler fordern es nicht direkt, aber sie akzeptieren es. In Australien haben wir auch einen Einzelhändler, der die Impfung nicht erlaubt hat. Aufgrund von Verbesserungen beim Tierwohl erlaubt auch dieser Händler nun die Immunokastration“. Zum Thema Immunokastration lesen Sie bitte auch das Interview auf S. 103.

Während Australien zumeist die Immunokastration nutzt, ist in Deutschland noch eine weitere Alternative zugelassen: die Kastration unter Vollnarkose. Aber auch hier gibt es Unterschiede. So gibt es die Möglichkeit, Tiere mit Hilfe einer Injektion zu betäuben. Dabei muss zusätzlich frühzeitig ein Schmerzmittel gegeben werden, um den Tieren den Schmerz nach der Kastration zu ersparen. Problematisch bei dieser Art der Kastration sind die Arbeitsabläufe. Tiere müssen zwei Mal angefasst werden – einmal zur Gabe des Schmerzmittels und einmal zur Gabe des Narkosemittels. Diese Art der Kastration darf zurzeit nur ein Tierarzt anwenden. Dies wiederum führt zu höheren Kosten in der Ferkelproduktion.

Technisch möglich ist auch die Vollnarkose mit Isofluran. Dieses Narkosegas ist jedoch zurzeit nicht für die Tierart Schwein zugelassen. Nur, wenn ein „Therapienotstand“ herrscht, ist es erlaubt. Also dann, wenn keine andere Möglichkeit mehr anwendbar ist.

Auch der „vierte Weg“, der eine lokale Betäubung beinhaltet, ist nach dem Deutschen Tierschutzgesetz nicht zulässig. Im Ausland allerdings wird er teilweise angewendet.

Es gibt also mehrere Wege mit Vor- und Nachteilen. Doch was sagt der Handel zu diesen Kastrationsmethoden?

Das Handelsunternehmen Real akzeptiert generell Eberfleisch, jedoch nur, wenn die Lieferanten garantieren können, dass sie sensorisch einwandfreie Schlachtkörper liefern. Aber wie kann man das garantieren?

Die Schlachtunternehmen führen hierzu sensorische Tests am Schlachtband durch. Das Fleisch wird, noch als Schlachthälfte, punktuell erhitzt. Ein geschulter Mitarbeiter riecht an diesem erwärmten Stück Fleisch und stellt so fest, ob es sich bei diesem Tier um einen „Stinker“ handelt oder nicht. Fleisch, dass positiv auf den Ebergeruch getestet wurde, ist laut Deutschem Lebensmittelbuch nicht verkehrsüblich. Auf Anfrage stellt Real klar: „Unsere Lieferanten von Schweinefleisch haben in den letzten Jahren ein wissenschaftlich validiertes Kontrollsystem entwickelt. Dieses System bringt die berechtigten gesellschaftlichen Anforderungen zum Verzicht auf die Ferkelkastration mit den Anforderungen an eine hohe sensorische Qualität in Einklang. Das System schließt praktisch aus, dass Fleisch beziehungsweise Fleischprodukte mit sensorisch abweichendem Geruch an den Endverbraucher gelangen.“


Edeka Südwest erlaubt seit Juli 2018 in seinem Gutfleisch-Programm alle gesetzlich zugelassenen Alternativen. Landwirtschaftliche Betriebe, die bereits ab diesem Datum die betäubungslose Kastration anwenden, erhalten von Edeka Südwest-Fleisch bis zum 31. Dezember 2018 eine Kostenerstattung für immunokastrierte Tiere in Höhe von vier Euro pro Mastschwein und 3,13 Euro für Ferkel, die unter Vollnarkose kastriert wurden.

Sowohl Aldi Nord als auch Aldi Süd nehmen, laut ihrer Tierwohleinkaufspolitik, seit dem 1. Januar 2017 kein Frischfleisch von kastrierten Schweinen mehr ab. Eine Ausnahme bildet Biofleisch. „Die Entscheidung wurde maßgeblich von unserem Anspruch beeinflusst, in der Breite für mehr Tierwohl zu sorgen und im Markt den Weg dafür zu ebnen“, heißt es von Aldi Süd. Die beiden Unternehmen akzeptieren Fleisch aus Ebermast oder von immunokastrierten Tieren. „Den Einsatz von Narkose oder von schmerzlindernden Mitteln akzeptieren wir aktuell nicht, da dies mit zum Teil starken Nebenwirkungen für die Tiere verbunden ist“, heißt es von Aldi Nord. Da der Einsatz von Improvac in der deutschen Schweinehaltung eher selten ist, setzen sowohl Aldi Süd als auch Aldi Nord nach eigenen Angaben den Fokus auf weibliche Tiere und Eber. Hier streben sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen weiblichen Tieren sowie nicht kastrierten, männlichen an. Aldi Süd befürwortet ausdrücklich eine Aufklärung über die immunologische Kastration, da der Verzicht auf die Kastration zu deutlich weniger Stress bei den männlichen Ferkeln führt.

Viele Möglichkeiten. Viele Fragen. Fest steht, dass es nicht „die eine Lösung“ gibt. Alle Partner der Wertschöpfungskette werden sich auf Veränderungen einstellen müssen. Wie sich der Markt entwickelt, bleibt jedoch abzuwarten.


Interview mit Martin Kreutzmann - „Die Fleischqualität steigt“

Die Immunokastration hat in Deutschland den Markt noch nicht durchdrungen. Martin Kreutzmann, Marketing und Technical Manager Business Unit Swine bei Zoetis Deutschland, spricht über die Impfung.

Welche Vorteile hat die Improvac-Impfung gegenüber der Ebermast oder der Kastration mit Betäubung?
Martin Kreutzmann: Gegenüber der Ebermast sehe ich den Hauptvorteil in einer besseren Verarbeitungsqualität des Fleischs geimpfter Tiere. Zudem wird geruchsbelastetes Fleisch genauso effektiv verhindert wie bei der chirurgischen Kastration. Gegenüber einer Kastration mit Vollnarkose ist die Impfung für den Landwirt deutlich wirtschaftlicher.

Welche Nachteile hat die Improvac-Impfung?
Nachteile gegenüber der Kastration mit Betäubung sehe ich keine.

Viele Schlachtbetriebe nehmen kein Fleisch von immunokastrierten Tieren ab. Warum ist das so?
Aufgrund unserer jahrzehntelangen positiven Erfahrungen fällt eine Erklärung nicht leicht. Ich denke, dass vor einigen Jahren keine ausreichende Akzeptanz im deutschen Markt gegeben war.

Wie können diese Unternehmen doch überzeugt werden?
Die Stimmung hat sich grundlegend gewandelt. Führende Lebensmitteleinzelhändler akzeptieren die Impfung. Ich glaube, dass am Ende die gute Fleischqualität in Verbindung mit dem Fortschritt im Tierschutz den Ausschlag geben wird. Die Impfung wird auch als eine gute Alternative von führenden Tierschutzorganisationen befürwortet.

Außerdem geht es ja auch um den Export. Hier verweise ich zum Beispiel auf Brasilien, einen der Hauptexporteure von Schweinefleisch. Brasilien liefert Fleisch von geimpften Tieren seit Jahren in die, auch für Deutschland, wichtigen Märkte.

Wer darf die Improvac- Impfung anwenden?
Die Impfung darf nach einer Schulung von jedem angewendet werden, also auch von Landwirten.

Weiß der Verbraucher überhaupt, dass es eine solche Impfung gibt?
Der Endverbraucher weiß in der Regel weder, dass es die Impfung gegen Ebergeruch gibt, noch dass Schweine ohne Betäubung kastriert werden.

Haben Sie Angst vor Verbraucherreaktionen?
Nein. Die Impfung wird bereits seit mehr als 20 Jahren weltweit eingesetzt. In keinem Land hat es je negative Reaktionen gegeben. Zudem glauben wir, dass für die Akzeptanz beim Verbraucher die Meinung wichtiger NGOs, zum Beispiel Tier- und Verbraucherschutzorganisationen, entscheidend sein wird. Diese sehen, wie schon gesagt, die Impfung als gute Alternative zur betäubungslosen Kastration an.

Verteuern die Impfkosten die Aufzucht des Schweins signifikant?
Nein. Die Tiere verwerten zum Beispiel das Futter besser. Die Vorteile gleichen die Impfkosten aus – in vielen Fällen entsteht sogar ein zusätzlicher Gewinn für den Landwirt. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die verbesserte Futterverwertung automatisch zu einer geringeren Güllemenge und zu weniger CO2 Emissionen führt.