Corona Berufskrankheit oder nicht?

Verkaufskräfte im Lebensmitteleinzelhandel sind der Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus besonders ausgesetzt. Als Berufskrankheit gilt die Erkrankung daran aber nicht. Nun gibt es erste Forderungen, das zu ändern.

Mittwoch, 08. Juli 2020 - Corona Update
Lebensmittel Praxis
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Die Erkrankung am Coronavirus während der Arbeit wird nur dann als Berufskrankheit anerkannt, wenn der oder die Erkrankte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium arbeitet, da das Infektionsrisiko hier typischerweise höher ist.

Das wird sich vorerst nicht ändern, so Rolf Schmachtenberg, Staatsekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) von der SPD. Die Arbeitssenatorin von Berlin, Elke Breitenbach (Linke), hatte einige Wochen zuvor an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) appelliert, das durch Sars-Cov-2 ausgelöste Lungenleiden in Branchen mit viel Publikumsverkehr als Berufskrankheit registrieren zu lassen – unter anderem für Supermärkte.

Die Verkaufskräfte im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) sind ohne Zweifel – verglichen mit anderen Berufen – der Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus verstärkt ausgesetzt. Doch was passiert, wenn sie daran erkranken? Besteht eine Infektionsgefahr „in ähnlichem Maße“, so die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), können auch andere Tätigkeiten unter die Risikogruppe fallen. Laut dem BMAS muss sich das durch entsprechend höhere Erkrankungszahlen äußern. Solche liegen aber bisher nicht vor. Auch nicht über Berufsgruppen an Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr, wie dem Einzelhandel.

Die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) ergänzt dazu, dass Verkaufskräfte – im Gegensatz zu beispielsweise Pflegern – nicht gezwungenermaßen mit dem Kunden in direkten Kontakt treten müssen. Dadurch könnten höchstens Einzelfälle als Arbeitsunfall gewertet werden, zum Beispiel wenn eine Verkaufskraft im Markt Erste Hilfe leisten muss und sich dabei mit dem Coronavirus infiziert. Doch auch dann müsste man individuell an den Fall herangehen. Denn „es handelt sich im Regelfall um keinen Arbeitsunfall, weil es sich um eine Gefahr handelt, von der Versicherte zur gleichen Zeit und mit gleicher Schwere auch außerhalb der Arbeit betroffen gewesen wäre,“ so die BGHW.

„Es kann nicht sein, dass wir alle Regeln lockern, die Menschen wieder zu ihrer Arbeit schicken und sie dort dann im Stich lassen“, empörte sich Senatorin Breitenbach über die Entscheidung der Regierung. Sie werde sich nun dafür einsetzen, dass Berlin eine entsprechende Bundesratsinitiative starte.

Und wenn doch mal was passiert?

Um einer Erkrankung vorzubeugen, geht man gegen eine Infektion durch das Coronavirus vor allem mit erhöhtem Gesundheits- und Hygieneschutz vor. Solange die Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen ausreicht, ist eine grundsätzliche Klassifizierung als Berufskrankheit in Bereichen wie dem LEH nicht notwendig. Aber wie geht es weiter, wenn man an COVID-19 erkrankt und dadurch ein besonders hohes Infektionsrisiko am Arbeitsplatz vermutet?

Laut Sozialgesetzbuch sollte in diesem Fall der behandelnde Arzt oder (gemäß der Berufskrankheiten-Verordnung) der Arbeitgeber informiert werden, damit gegebenenfalls eine Anzeige bei der Berufsgenossenschaft gemacht werden kann. Diese prüft anschließend, ob eine Berufskrankheit vorliegen kann. Jeder könne auch selbst einen Verdacht auf eine Berufskrankheit melden, erklärt die BGHW. Formvorgaben gebe es hierfür nicht.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) empfiehlt denjenigen, die eine Infektion vermuten, sich an das zuständige Gesundheitsamt zu wenden, das dann die weitere Koordination übernimmt. Über die Voraussetzungen, wer versichert ist und welche Leistungen gezahlt werden, informieren die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in einer gemeinsamen Information für Betriebe und Beschäftigte.

Wird die Erkrankung individuell als Berufskrankheit anerkannt, werden die Kosten der anstehenden Heilbehandlung sowie der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation von der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen. Bei einer bleibenden Minderung der Erwerbsfähigkeit kann sie auch eine Rente zahlen. Im Todesfall können Hinterbliebene eine Hinterbliebenenrente erhalten.

Welcher Versicherungsträger zuständig ist, hängt vom Arbeitgeber ab. Für Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft ist das die regional zuständige Unfallkasse beziehungsweise der regional zuständige Gemeinde-Unfallversicherungsverband. Für Einrichtungen in privater oder kirchlicher Trägerschaft ist es die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).

Was sagt die Statistik?

Die Daten der jüngsten Statistik des BKK Dachverband zum monatlichen Krankenstand (Mai 2020) ermöglichen einen Vergleich der Gruppen „Medizinische Gesundheitsberufe“ , „Verkaufsberufe“. Dabei sticht vor allem der starke Anstieg im März hervor: Im Verkauf stieg der Krankenstand um 1,4 auf 7,55 Prozent und in der Medizin um 1,72 auf 7,00 Prozent an. Damit liegen die beiden Gruppen über dem Gesamtdurchschnitt von 6,74 Prozent. In den darauffolgenden Monaten ist der Krankenstand rückläufig. Doch während der Krankenstand der medizinischen Gesundheitsberufe im April 2020 noch deutlich höher ist als im Vorjahres- und Vorvorjahresmonat, liegt er im Mai bereits unter den Werten von 2018 und 2019. Die Werte der Verkaufsberufe liegen im April nur geringfügig über denen der Vergleichsmonate. Im Mai liegen sie darunter.

Der Krankenstand liegt im Gesamtdurchschnitt aktuell bei 3,75 Prozent. Die beiden Berufsgruppen, auf denen hier das Hauptaugenmerk liegt, befinden sich also nach wie vor darüber. Dennoch wird klar, dass sich der rückläufige Trend beim Krankenstand in allen Berufsfeldern fortsetzt.

Die richtige Entscheidung?

Über die Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt wird, entscheidet die Bundesregierung. Die geltende Berufskrankheitenliste wird dabei von der BAuA geführt. Das Coronavirus fällt hier unter die Ziffer 3101 (Infektionskrankheiten), die sich allerdings grundsätzlich auf den Gesundheitsdienst, die Wohlfahrtspflege und die Arbeit in Laboratorien beschränkt.

Doch wie empfinden andere Behörden die Regelung mit Corona als Berufskrankheit? Wir haben Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin Handelsverband Baden-Württemberg, gefragt. Sie hält es für unverständlich, dass Verkaufskräfte im Supermarkt einerseits systemrelevant sein sollen, bei der Arbeit wegen des Risikos Mundschutz tragen müssen und dennoch eine Corona-Erkrankung nicht als Berufskrankheit anerkannt wird.

Nicht vernachlässigen

Prävention und Versicherung in Bezug auf das Coronavirus werden widersprüchlich gehandhabt. Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin Handelsverband Baden-Württemberg, sorgt sich um das Wohlergehen der LEH-Mitarbeiter.

Was hält der Handelsverband Baden-Württemberg von der Regelung zu Corona als Berufskrankheit?

Die Mitarbeiter des LEH waren und sind – vor allem in dieser Corona-Krise – echte Helden des Alltags. Sie waren und sind immer für die Grundversorgung der Menschen da. Die Mitarbeiter sind in diesen schwierigen Zeiten eine wichtige Stütze der Gesellschaft. Nicht umsonst gelten sie als systemrelevant. Laut neuester Corona-Verordnung sind sie dazu verpflichtet, während des Kontakts mit Kunden Gesichtsmasken zu tragen. Vor diesem Hintergrund ist es umso unverständlicher, dass eine Corona-Erkrankung nicht als Berufskrankheit angesehen wird. Der Handel stellt in dieser schwierigen Zeit jederzeit sicher, dass die Verbraucher geschützt sind, dass alle Hygienemaßnahmen eingehalten werden.

Sollte man auf höhere Erkrankungszahlen im (Verkaufs-)Bereich des Handels warten, bevor man das Infektionsrisiko dort als Berufsrisiko anerkennt?

Wir als Verband haben mit den verantwortlichen Behörden immer daran gearbeitet, dass die Infektionszahlen so niedrig wie möglich bleiben. Der Gesundheitsschutz unserer Kunden steht immer an erster Stelle. Insofern wäre es unverantwortlich, die Infektionszahlen wissentlich ansteigen zu lassen, um eine Anerkennung des Berufsrisikos zu erreichen. Dieses sollte schon vor dem möglichen Anstieg der Infektionszahlen möglich sein.

Dann sollte man Ihrer Meinung nach präventive Maßnahmen treffen und eine Erkrankung an Corona auch für Arbeitsplätze mit Publikumsverkehr als Berufskrankheit einstufen?

Die Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen und damit präventive Maßnahmen haben im Handel immer oberste Priorität. Die Frage, ob eine Erkrankung an Corona als Berufskrankheit eingestuft werden sollte, wird sich erst stellen, wenn es zu Erkrankungen an Corona von Mitarbeitern im Handel tatsächlich kommt. Dem ist bisher allerdings nicht so. Uns ist kein einziger Fall bekannt, bei dem sich ein Mitarbeiter oder gar ein Kunde mit dem Coronavirus angesteckt haben. Was die Mitarbeiter im Handel jedoch krank macht, ist die noch immer bestehende Maskenpflicht, die für immense gesundheitliche Beeinträchtigungen sorgt. Hier kommt es zu Schwindel, Übelkeit, Ausschlägen oder Kreislaufkollaps auf Seiten der Mitarbeiter. Das bereitet uns sehr große Sorgen.

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