Konsum Wird auch in Zukunft mehr Wein getrunken?

Supermärkte und Discounter verkaufen wegen der geltenden Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus mehr Wein als zu normalen Zeiten – und dies fast ohne Aktionen. Wie können Händler und Hersteller das Absatzplus in nachhaltigen Umsatz umwandeln?

Mittwoch, 22. April 2020 - Corona Update
Elena Kuss
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Bildquelle: Carsten Hoppen

Die Gfk meldete: Von Ende Februar bis Ende März gingen gut ein Drittel mehr Weinflaschen über die Ladentheken als im gleichen Zeitraum 2019. Die Einkaufsapp Bring verzeichnet von Mitte Februar bis Mitte März (KW 8 bis 12) ein Absatzplus von mehr als 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, Ende März (KW 12 bis 14) aber nur noch ein Plus von 6 Prozent. Nina Gemkow, E-Commerce-Expertin und Director Consumer & Shopper bei Nielsen, erklärt, wie solche Zahlen zustande kommen: „Natürlich sehen wir für alle Getränke, auch alkoholhaltige, einen teils zweistelligen Anstieg im klassischen LEH.“ Dieses Plus kompensiere aber nicht das, was sonst außer Haus oder in der Gastronomie getrunken werden würde. Gemkows Fazit: „Die Deutschen konsumieren in Summe nicht mehr Alkohol.“

Interessant ist jedoch die Verschiebung in der Kategorie: Wein wachse am stärksten im LEH unter allen alkoholischen Getränken. Laut Nielsen-Zahlen gewannen Rotweine mit einem Plus von 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr (KW 9 bis 13) deutlich hinzu. Der Bierabsatz sei deutlich volatiler; der aktuelle Anstieg liegt vermutlich an Ostern, Angrillen und insgesamt dem schönen Wetter den letzten vier Wochen; in Summe sehen wir einen Anstieg im LEH von knapp fünf Prozent. Bei den Spirituosen werden lediglich ausgewählte Warengruppen leicht verstärkt gekauft. Sekt sei ganz klassisch eher ein Getränk für feierliche Anlässe, die es in Corona-Zeiten seltener gibt.

Auch Ulrich Breutner, Vorstandssprecher der Weinheimat Württemberg, kann diese immense Nachfrage, die die GfK aufzeigt, nicht bestätigen: „Wenn, dann eher im einstelligen Bereich.“ Starke Verschiebungen bezüglich Rot- und Weißwein sieht Breutner nicht.

Warum wird gerade mehr Wein getrunken?

Der Sekthersteller Henkell Freixenet antwortet auf diese Frage: „Wenn man zuhause bleiben muss, möchte man die Zeit bestmöglich gestalten.“ Und dazu gehöre auch Genuss und somit Wein, Sekt und Spirituosen. Nielsen-Expertin Nina Gemkows stimmt zu: „Wir sehen, dass Wein etwas besser profitiert im Vergleich zu anderen alkoholischen Getränken.“ Wein könne man zuhause auch eher mal alleine trinken, oder der Konsument wolle sich in der Situation etwas gönnen. Einleuchtend!

Warum Rotwein?

Eigentlich lag Rotwein nicht im Trend. 2019 lag der Absatzanteil laut Nielsen von Rotwein bei 40,7 Prozent, Weißwein bei 40,7 Prozent und Rosé bei 10,9 Prozent. Gegenüber 2018 verzeichnete Rotwein ein Absatzminus von 6,8 Prozent. Warum in der Krise also Rotwein?

Vier Erklärungsversuche:

1. Masseneffekt: Im März meldeten französische Medien, dass in Frankreich Rotwein geradezu gehamstert werde. Das könnte in Deutschland für Nachahmer gesorgt haben. In der Psychologie spricht man von einem Masseneffekt: Einer fängt an, die anderen machen es nach. Das erklärt aber natürlich nicht, warum in Frankreich mehr Rotwein gekauft wurde.

2. Lieferengpässe: Während deutsche Weißweine einen hervorragenden Ruf besitzen, kommen die beliebtesten Rotweine eher aus Italien, Frankreich und Spanien. Länder, die alle im besonderen Maße vom Coronavirus betroffen sind. Leere Weinregale wie im britischen Handel gibt es hierzulande zwar nicht. Trotzdem könnte das Grund genug sein für eine Flasche mehr Rotwein im Einkaufwagen.

3. Rotwein allein, Weißwein zusammen! Der Verband für die Region Bordeaux erklärt: „Vielleicht verbindet der eine oder andere Weingenießer Bordeaux noch mit hochpreisig und traditionell für besondere Anlässe geeignet und weniger für geselliges Beisammensein.“ Das dürfte jetzt ein Vorteil sein!

4. Gesundheit: Antioxidantien, die die Zellalterung verlangsamen, sollen vor allem in der Haut der Trauben enthalten sein – und die wird bei der Produktion von Rotwein mitverwendet. Ob bewusst oder unterbewusst: Solche klinisch nicht bestätigten Weisheiten könnten zum Absatzwachstum beitragen.

Wie können Händler und Hersteller das Absatzplus in nachhaltigen Umsatz umwandeln?

Während Klopapier wirklich als Vorrat gekauft wird und dann in normaler Geschwindigkeit aufgebraucht wird, gibt es bei Wein die Chance auf ein nachhaltiges Wachstum.

  • Wurden Erstverwender gewonnen? Der Verband der Region Bordeaux sieht hier seine Chancen. Viele Konsumenten seien überrascht, wie vielfältig Weine aus der Region sein können. Es werden immer mehr Rotweine produziert, die geschmeidiger, fruchtbetonter und weniger tanninhaltig sind als früher, erklärt der Verband. Auch reinsortige Weine (100% Malbec, 100% Merlot…) seien im Kommen.
  • Verstärkt sich der Trend regionaler Weine? Ulrich Breutner, Vorstandssprecher der Weinheimat Württemberg, glaubt, dass die Pandemie den Käufer nachhaltig verändern wird. „Der Konsument wird bewusster werden“, sagt Breutner. Davon könnten lokale Winzer profitieren, aber auch Mehrwegsysteme für Wein könnten wieder zum Trend werden.
  • Wird Markenwein beliebter? Vielleicht! Denn: Der Verbraucher wünschte sich schon vor dem Ausbruch der Pandemie Orientierung und Sicherheit im (unübersichtlichen) Weinregal sowie eine Art Qualitätsgarantie durch vertraute Marken. So die Ergebnisse der Marktforschung, die Rotkäppchen Mumm zur Einführung des neuen Produktkonzepts Mumm & Co. durchgeführt hatte. In unsicheren Zeiten könnte sich dieses Bedürfnis verstärken.
  • Wird mehr Geld für Wein ausgegeben? Nielsen-Expertin Nina Gemkows erklärt dazu: „Zum einen reden wir jetzt viel über die Menschen, die weniger Geld verdienen. Auf der anderen Seite sehen wir einen Großteil der Haushalte, die noch genauso viel Geld in der Tasche haben wie vorher. Vielleicht sogar etwas mehr.“ Hier gelte es zu differenzieren und beide Käufergruppen bestmöglich zu bedienen.

 

Tipps für eine umsatzstarke Weinabteilung

Relevant sind also weiterhin Beratung, Sortiment und Preis. Drei Tipps für eine erfolgreiche Weinabteilung im LEH von Sommelier Patrick Wilhelm.

  1. Die Beratung: Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie wollten Kunden nicht mehr, dass das Marktpersonal den Wein mit etlichen Adjektiven beschreibt, wie es noch in der Gastronomie und im Fachhandel der Fall ist, sagt Patrick Wilhelm, Leiter der Weinabteilung bei Edeka Jakobi in Bensheim. Die Beratung sollte kompetent sein, aber auch schnell gehen. Niemals überfordern. Leitsysteme direkt am Regal helfen.
  2. Das Sortiment: Schwerpunkt sollten regionale Weine sein, die seien immer am gefragtesten. Aber auch exotische Wünsche, Weinerinnerungen, die aus dem Urlaub mitgebracht werden, müssen im Sortiment vertreten sein. Die Jahrgänge sollten trotz großer Auswahl immer möglichst aktuell sein. „Es gibt nichts Schlimmeres als angestaubte Flaschen in der Weinabteilung“, findet Wilhelm.
  3. Der Preis: „90 Prozent unserer regionalen Weine bieten wir zum Ab-Hof-Preis an“, verrät der Sommelier. Das kommt gut an, da die Öffnungszeiten der oft kleinen Betriebe nicht mit dem Markt mithalten können. Auch Direktimporte sorgen für ein gutes Preis-Leistungsverhältnis.