Besserer Schutz So organisieren Händler Öffnungszeiten für Risikogruppen

Supermärkte in Ländern wie England und Australien haben wegen der Corona-Krise zu bestimmten Uhrzeiten nur noch für ältere Menschen geöffnet. In Deutschland fehlt eine Regelung – einzelne Märkte gehen mit Beispiel voran.

Mittwoch, 01. April 2020 - Corona Update
Jens Hertling
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Bildquelle: Daniela Gille

Food-Filialisten im Ausland machten es vor, jetzt ziehen vereinzelt deutsche Supermarktbetreiber nach und bieten spezielle Einkaufszeiten für Corona-Risikogruppen an. Denn ältere Mitbürger, oder Menschen mit Vorerkrankungen sind besonders gefährdet, wenn sie sich mit dem Virus anstecken. Dem trägt der Einzelhändler Markus Hetzenegger aus Bergisch-Gladbach mit seinen drei Edeka-Märkten in Sand, Moitzfeld und Herkenrath Rechnung. Die Geschäfte öffnen während der Coronapandemie von 8 Uhr bis 9.30 Uhr ausschließlich für Bürger ab 65 Jahren, Menschen mit Vorerkrankungen sowie Personen, die in Schlüsselpositionen wie Polizei und Krankenhaus arbeiten. „Vor zwei Wochen habe ich die Öffnungszeiten auf Anregung zweier Ärzte verändert“, sagt Hetzenegger. Das Echo auf seine Aktion ist groß. „Gestern haben 200 Kunden vor dem Markt gewartet“. Freiwillige helfen bei der Organisation des Zugangs und informieren vor dem Eingang über die Ungewöhnlichen aber notwendigen Maßnahmen. Es werden nur Kunden mit einem Wagen in den Markt gelassen. Der Einkaufswagen wird nach der Benutzung sofort wieder desinfiziert. Von den fünf Kassen sind während dieser Zeit nur drei in Betrieb, so dass genügend Sicherheitsabstand vorhanden ist. Die übrige Kundschaft kann anschließend ab 9.30 Uhr bis zum Ladenschluss einkaufen. Der Händler hat auf seine Aktion ein großes Echo erhalten. „Viele Bürger, unter anderen auch der Bürgermeister haben sich für die Aktion bedankt“, berichtet er. „Es wäre gut, wenn auch andere Geschäfte dieses System übernehmen würden. Ich gebe auch gerne Tipps zur Umsetzung“, so der Händler.

Das E-Center Streubel in Bremerhaven öffnet am Sonntag exklusiv für Senioren - die Meldung kam zuerst bei Facebook. Jetzt wird die Aktion auf jeden Dienstag verschoben. Der ursprüngliche Plan sah so aus, dass Inhaber Daniel Streubel gemeinsam mit seinem Kollegen Jens Knauer, Geschäftsführer des Edeka-Marktes Roter Sand, an der Kasse sitzt und die Senioren bedient. Allein und ohne zusätzliches Personal. Doch die Resonanz auf den sozialen Medien war so groß, dass Inhaber Streubel einen riesigen Ansturm befürchtet. Der Edeka-Markt hat nun eine Lösung gefunden: Senioren ab 65 dürfen exklusiv an den kommenden Dienstagen jeweils von 7 Uhr bis 9 Uhr einkaufen. Dann ist das reguläre Personal vor Ort. Zusätzlich bietet der Supermarkt auf Wunsch für hilfsbedürftige Kunden und Senioren einen kostenlosen Bringdienst nach dem Einkauf vor Ort an. Unterstützung bekommt der Supermarkt dabei vom Deutschen Roten Kreuz und dem Partyservice „Rehbein“. Der Bringdienst ist nur in der genannten Zeit möglich. „Das Angebot wurde am ersten Dienstag überdurchschnittlich gut angenommen“, berichtet Inhaber Daniel Streubel. Es gab einige Kunden, die sich trotz aller Infos verirrt haben, jedoch gab es bis auf ein bis zwei Ausnahmen Verständnis und positives Feedback von den Kunden.

Folgende Dinge hat Inhaber Daniel Streubel organisiert:

- jeder Einkaufswagen wurde mit einem Trockendampfgerät desinfiziert (vor und nach der Benutzung)

- jeder Mitarbeiter hatte Handschuhe an

- drei Securities für Abstände und Alterskontrolle

- DRK vor Ort mit Rettungstransportwagen (RTW) und insgesamt sechs Sanitätern

- Polizei, um den Verkehr und Sicherheit auf dem Parkplatz zu regeln

- Desinfektionsstation für die Hände (nur auf Wunsch)

- zehn Helfer für die kostenlose Lieferung der Waren

Resümee des Händler Daniel Streuwel: „Eine sehr gute Aktion – jedoch steckt auch ein wahnsinniger Aufwand dahinter.“

Bei Edeka Fleck im Stuttgarter Stadtteil Fasanenhof können zwischen 7 Uhr und 8 Uhr nur Rentner, Rollstuhlfahrer und anderen „Personen mit Handicap“ einkaufen, wie ein Schild am Eingang erklärt. Ab 8 Uhr steht der Supermarkt allen anderen Kunden zur Verfügung. „Die Aktion wird von den Kunden gut angenommen“, sagte Marktleiter Julian Fleck. Proteste habe es nur wenige gegeben, da die Öffnungszeiten von 7 bis 8 Uhr zusätzlich seien. Julian Fleck hat mehrere Helfer organisiert, die den Kunden beim Einkaufen behilflich sind. Die bis zu fünf Ehrenamtlichen kommen von Vereinen wie „Meine Heimat Fasanenhof“, dem Christlichen Verein junger Menschen und von den Paritätischen Sozialdiensten (Pasodi). Die ehrenamtlichen Helfer leisten Hilfestellung, indem sie die Einlasskontrolle regeln und die Einkaufswagen desinfizieren, so Fleck. „Meine Mitarbeiter arbeiten eine Stunde länger. Durch die Arbeit der Freiwilligen hält sich unser Aufwand in Grenzen.“

Die einzige sinnvolle Lösung

„Wir haben Verantwortung“, sagt Kaufmann David Ermel, Inhaber von Edeka Ermel im hessischen Rodgau. Mit seinen Sonderöffnungszeit jeden Morgen zwischen 7 Uhr und 8 Uhr für Risikogruppen und Senioren ab 65 Jahren greift er einen Wunsch aus seiner Kundschaft auf. Auf einer Hinweistafel vor dem Eingang bittet das Team die nicht betroffenen Kunden um Rücksicht. Zwei Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma sorgen dafür, dass die Stunde zwischen 7 Uhr und 8 Uhr für diejenigen reserviert bleibt, für die sie gemacht wurde. David Ermel weiß, dass die frühe Stunde auch Kritik auf sich zieht. Es sei aber die einzige sinnvolle Lösung. Solange die aktuellen Einschränkungen bestehen, werde es auch die Sonderöffnungszeit für Menschen aus Risikogruppen geben.

Der Edeka-Markt Heitmann in Hamburg-Altona wollte am Sonntag für zwei Stunden öffnen, um Menschen ab 60 Jahren einen Einkauf abseits von Hamsterkäufen zu ermöglichen. Doch aus der Idee wird nun doch nichts, wie Händler Heitmann in einer Pressemitteilung schreibt. „Es ist uns leider nicht möglich, die für Sonntag geplante Aktion für Senioren umzusetzen. Die Zentrale der Edeka Nord hat sich zum Schutz der Mitarbeiter dazu entschlossen, die Öffnungszeiten aller Märkte für Sonntag nicht zu erweitern, da jetzt schon viele Kollegen an den Grenzen ihrer Belastbarkeit angekommen sind. Auf Grundlage des genossenschaftlichen Gedankens tragen wir daher auch diese Entscheidung mit und werden leider auch unseren Markt am Sonntag nicht öffnen. In der Zwischenzeit erarbeiten wir aber einen neuen Weg für die Nachbarschaftshilfe, den wir im Rahmen unserer regulären Öffnungszeiten realisieren können.“

Sonderöffnungszeiten abgesagt

Ein Supermarkt in Mühlheim an der Ruhr wollte das Ansteckungsrisiko beim Einkauf so gering wie möglich halten und bot deshalb Sonderöffnungszeiten für Angehörige der Risikogruppen an. Doch nach Protesten anderer Kunden musste die Aktion abgebrochen werden. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ berichtet, dass es zu Beschwerden der Kunden und sogar Drohungen gegen den Filialleiter gekommen sei. Offenbar reichte das, um nach nur einem Tag wieder zu den normalen Öffnungszeiten zurückzukehren. Ursprünglich war geplant gewesen, den Laden von sechs bis neun Uhr nur für Menschen über 60 zu öffnen. Allerdings weist der Supermarkt auch darauf hin, dass es nur eine sehr kleine Minderheit sei, die protestiert habe.

Um ihre Risikogruppen zu schützen, gehen andere Länder längst einen anderen Weg: In Australien, Großbritannien, Irland, Belgien, Norwegen und Bulgarien haben Supermärkte zu bestimmten Zeiten nur noch für die älteren Mitbürger geöffnet, meist in den frühen Morgenstunden.

Doch die Serviceidee ist in Deutschland im Moment nur für selbstständige Lebensmittelhändler ein Thema: Die großen Filialisten beobachten die aktuelle Lage. „Für unsere Märkte in Deutschland gilt: Wir stehen hinsichtlich sämtlicher Maßnahmen im engen Austausch mit den Behörden. In Anbetracht der stabilen Versorgungslage und der unverändert kundenfreundlichen Öffnungszeiten sehen wir derzeit keine Notwendigkeit für Sonderzugangsregelungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen“, sagte die Pressestelle von Rewe auf Nachfrage von LP. Die Pressestelle von Tegut teilte mit, dass die Lage beobachtet wird, aber „konkrete und kommunizierbare Ansätze es hierzu derzeit noch nicht gibt.“

Die Pressestellen Aldi Nord teilte auf Anfrage mit, dass „nach wie vor die normalen Öffnungszeiten unserer Filialen gelten, so dass unsere Kunden selbst entscheiden können, wann sie einkaufen möchten.“

Neben rechtlichen Erwägungen dürfte ein wesentliches Gegenargument der großen deutschen Filialisten der erhebliche Mehraufwand in den Filialen sein.

Lesen Sie hier, welche Lieferdienst-Angebote Kaufleute bereits für Risikogruppen auf die Beine gestellt haben und welches Pilotprojekt der Post startete.