Interview mit Alain Caparros - Rewe „Emotionalität und Erlebnis werden noch wichtiger"

Wie der Supermarkt der Zukunft genau aussehen wird, weiß niemand. Aber Rewe-Chef Alain Caparros hat eine Vision.

Donnerstag, 18. April 2013 - Management
Reiner Mihr und Sonja Plachetta
Artikelbild „Emotionalität und Erlebnis werden noch wichtiger"
„Wir leben in einer verru?ckten Welt – der Handel ist die Hauptstadt.
Bildquelle: Mugrauer

Wie muss sich der klassische Supermarkt wandeln, um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben?
Alain Caparros: Wir müssen dabei mehrere Faktoren berücksichtigen. Zum Beispiel war es eine gute Entscheidung, dass wir den Nonfood-Anteil frühzeitig zurückgefahren haben, auch wenn diese Kategorie lange Zeit gute Umsätze gebracht hat. Nachdenklich stimmen müssen uns die Online-Händler, die sich auf Teile unseres Stammsortiments spezialisiert haben, zum Beispiel Wein. Wer hätte vor sechs Jahren gedacht, dass wir mit unserem eigenen „Kölner Weinkeller" 60 Prozent des Umsatzes online machen würden? Wir haben also auch in Segmenten, in denen wir uns als Supermarkt profilieren können, zusätzliche Wettbewerber bekommen. Was die Standorte angeht, müssen wir uns die Frage stellen, welche Flächen in welcher Größe für uns noch attraktiv sind. Klar ist schon, dass die Grüne Wiese an Attraktivität verloren hat. Doch auch bei den Innenstädten müssen wir nach Lösungen suchen, um sie attraktiv zu halten. Hinzu kommt die demografische Entwicklung. Laut Statistik leben derzeit in 75 Prozent der deutschen Haushalte nur eine oder zwei Personen. Tendenz weiter steigend

Sind Märkte mit kleinerer Verkaufsfläche die Antwort?
Es wäre arrogant von mir zu sagen, dass ich die Lösung kenne. Aber ich gehe davon aus, dass es im Supermarkt der Zukunft noch mehr auf Erlebnis, auf Emotionalität ankommt. Es wird ein Ort sein, wo man Leute trifft. Vielleicht lernt man dort etwas, z. B. in Kochkursen. Gastroangebote müssen vorhanden sein. Es wird eine gesunde Mischung aus Kultur, Gastro und Handel sein. Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt und testen neue Modelle, aber wie genau die richtige Gewichtung aussieht, wissen wir noch nicht

Ist die Formatvielfalt ein Weg, um unterschiedliche Kundenbedürfnisse zu befriedigen?
Wenn man nicht genau weiß, wo das Ziel ist, muss man verschiedene Richtungen einschlagen. Wir müssen uns auf jeden Fall beim Thema Convenience weiterentwickeln, denn die Menschen haben weniger Zeit und kochen seltener selbst. In kaufkraftstarken Gebieten beobachten wir, dass die Leute verstärkt Bio-Produkte kaufen wollen. Sicher wird sich auch der Trend zu nachhaltigeren und Fair-Trade-Produkten verstärken, weil die Menschen verantwortungsbewusst konsumieren wollen. Irgendwo dazwischen ist unserer Meinung nach die Lösung – in welcher Kombination auch immer

Die Selbstständigen in der Rewe waren im vergangenen Jahr sehr erfolgreich. Können die Ihre Vision umsetzen?
Unbedingt. Wenn wir europaweit schauen, haben derzeit große Konzerne wie Metro oder Carrefour Probleme. Dagegen gewinnen die Genossenschaften Marktanteile. Die Rewe-Händler haben einen noch intensiveren Bezug als die Marktleiter, denn es handelt sich um ihr Unternehmen, ihre Kunden und letztlich auch ihr Geld. Die Rewe-Kaufleute können diese Vision sehr gut umsetzen, denn ich glaube, in Zukunft werden wir keine Kunden mehr haben, sondern Gäste. Die Rewe-Kaufleute sind in ihrem Ort verwurzelt, in ihren Märkten herrscht eine familiäre Atmosphäre, ihnen wird es besonders leicht gelingen, den Gästen noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, z. B. durch personalisierte Ansprache

Und die Filialen?
Wir können uns im Filialbetrieb noch verbessern. Wenn der Marktleiter jeden Kunden mit Namen begrüßt, ist der Kunde nicht mehr nur an einem Ort, wo er seinen Bedarf abdeckt, sondern er ist an einem Ort der Begegnung. Und das wird wichtiger in einer zunehmend anonymisierten Welt, in der viele Leute einsam sind. Da können wir als Rewe eine soziale Rolle spielen, der Supermarkt kann zum Marktplatz werden.


Ist dieser Anspruch, eine soziale Rolle spielen zu wollen, ein Grund dafür, dass die Gastronomie-Angebote ausgebaut werden?
Ja, wir müssen umdenken. Es wird mehr Köche in Supermärkten geben, und auch die Unterstützung für eine gesunde Ernährung, etwa durch Ernährungsberater, wird ausgebaut werden. Die entscheidende Aufgabe für uns als Rewe ist es, die Mitarbeiter mitzunehmen – damit sie den Kunden wie einen Gast in einem Restaurant behandeln. Wie schon gesagt, wir müssen weg vom Massenbetrieb hin zur Personalisierung, aber das ist noch ein weiter Weg.

Brauchen Sie dafür mehr Mitarbeiter?
Natürlich hat diese Vision ihren Preis. Im Supermarkt sollen die Mitarbeiter die Kunden zum Regal begleiten. In der Zeit können sie nichts anderes tun. Dadurch steigt der Personalkostendruck, denn wir wollen fair bezahlen. Es wird eine der großen Herausforderungen sein, gutes Personal zu bekommen. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche Qualifikationen. Wir brauchen Leute, die kontaktfreudig sind und die Lust haben, auch an sechs Tagen die Woche bis spät zu arbeiten.

Werden Sie das Privatisierungsprogramm der Rewe forcieren?
Absolut. Ich bin für eine starke Privatisierung. Und das ist kein Widerspruch zu den Filialen. Denn wir möchten den exzellent ausgebildeten, jungen Leuten auch eine Perspektive bieten. Marktleiter können möglicherweise Verkaufsleiter werden und irgendwann vielleicht in den Vorstand aufsteigen, aber es ist utopisch, dass dieser Weg jedem gelingen wird. Eine viel bessere Motivation für einen Marktleiter ist die Perspektive, dass er sich selbstständig machen und mehr Geld verdienen kann. Das ist finanziell sehr attraktiv. Außerdem besteht die Möglichkeit, weitere Märkte zu eröffnen und zu wachsen.

Welche Rolle spielt hier ein zentrales Management?
Ich bin ein Bewunderer von Cross-over-Modellen. Bei Genossenschaften wie Leclerc funktioniert das sehr gut. Dort stehen einige Kaufleute z.B. zwei Tage pro Woche für kollektive Aufgaben zur Verfügung. Dadurch rückt das Management extrem nahe ran an die Probleme der Basis. Im Gegenzug hätte ich auch den Anspruch, dass die Manager im Handel in der Lage sind, einen Markt zu führen. Das kann meiner Meinung nach eine zukünftige Form des Managements sein, die einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringt.

Um die Konkurrenz in Schach zu halten, haben auch Sie für dieses Jahr wieder Flächenexpansion angekündigt. Gibt es in Deutschland nicht schon genug Verkaufsfläche?
Wir befinden uns in einem Verdrängungswettbewerb. Der Erste, der nicht mehr expandiert, hat verloren. Nichtsdestotrotz muss die Expansion gesund sein. Wir haben festgestellt, dass die Ausschöpfungskapazität bei Rewe noch nicht erreicht ist. Aber es ist eine Tatsache, dass die Bevölkerung schrumpft, während die Verkaufsfläche steigt.


Was planen Sie bei der Sortimentsoptimierung?
Weg vom Mainstream, Wir müssen uns besonders um die Profilierungssortimente kümmern, ohne die Preiseinstiegsartikel zu vernachlässigen. Punkten könnten wir mit unserer Frische-Kompetenz im Online-Bereich. Ware aus einer Fleisch- oder Fischtheke wird bisher kaum online bestellt. Eine Chance könnte sein, stationär und online komplementär zu spielen. Wir können nicht jeden Wein im Laden vorrätig haben, aber der Mitarbeiter kann darauf hinweisen, dass dieser Wein bei uns online erhältlich ist. Da kommen noch viele Herausforderungen auf uns zu. Und Visionen zu entwickeln, die sich auch auszahlen, macht mir persönlich sehr viel Spaß.

Angesichts vermehrter Lebensmittelskandale scheint es einen schleichenden Vertrauensverlust bei den Verbrauchern zu geben. Reichen Ihre Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit aus, um dem entgegenzuwirken?
Die Verbraucher hinterfragen bewusster, was sie genau essen. Das Produkt soll hochwertig, bio und am besten noch nachhaltig sein, aber auch preiswert. Das ist die Quadratur des Kreises. Wenn der Preis alles diktiert, verleitet das Menschen mit krimineller Energie zum Betrug, wie beim als Rindfleisch deklarierten Pferdefleisch gesehen. Dagegen können wir nichts tun. Der Handel ist hier stets der Dumme. Wir haften juristisch für unsere Produkte, aber wir können nicht in mehr als 15.000 Märkten jedes Produkt prüfen. Fakt ist, dass die Glaubwürdigkeit des Handels nachlässt. Rewe und Penny sind die Einzigen, die für Eigenmarken nur noch deutsches Rindfleisch verwenden werden. Niemand folgt uns in dieser Aussage – wegen des höheren Preises.

Wenn der Preis alles diktiert, was kann der Handel tun, um Glaubwürdigkeit wieder zu steigern?
Wir haben keine andere Möglichkeit, als vermehrt auf lokale und regionale Lebensmittel zu setzen. Qualität wird sich irgendwann auch im Preis niederschlagen, aber das ist ein langwieriger Prozess. Wir müssen bedenken, dass 53 Prozent der Kaufentscheidungen allein über den Preis getroffen werden. Und dabei gibt es keine klare Logik, denn der Kunde ist ein lebender Widerspruch. Derselbe Mensch, der wegen 5 Cent Preisunterschied für die Butter den Laden wechselt, gibt 3,50 Euro für einen Cappuccino beim Italiener aus. Das heißt: Wir leben in einer verrückten Welt – der Handel ist die Hauptstadt.

Machen Sie sich angreifbar, wenn Sie über ein eigenes Label wie Pro Planet versuchen, Ihre Glaubwürdigkeit zu steigern?
Wir machen Nachhaltigkeit aus Überzeugung, deshalb nehmen wir in Kauf, auch zur Zielscheibe zu werden. Dafür brauchen wir starke Nerven. Dass wir das Thema Nachhaltigkeit wirklich leben, prägt auch unsere Mitarbeiter. Wir prüfen z. B. die Lebensläufe unserer zukünftigen Führungskräfte auch auf den Nachhaltigkeitsaspekt hin. Man spürt sofort, ob jemand sich mit dem Thema identifiziert, auch wenn er sich zuvor noch nicht dafür engagiert hat. Das ist ein Kraftakt im Unternehmen, aber wenn uns das gelingt, schwappt es auch auf die Kunden über. Und darauf arbeiten wir hin.

Lohnt sich das?
Im Moment haben wir mit diesem Thema nicht nur eine Vorreiterrolle, sondern hin und wieder auch Nachteile: Wir haben höhere Kosten, und wir sind angreifbar. Aber wir bleiben dabei. Das ist eine Investition in die Zukunft. Und ich bin verhalten optimistisch, dass das Thema Nachhaltigkeit beim Verbraucher irgendwann in seine Kaufentscheidung einfließen wird. Im Moment haben wir diese Kultur allerdings noch nicht erreicht.

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Bild öffnen Eine gesunde Mischung aus Kultur, Gastro und Handel – so stellt sich Rewe-Chef Alain Caparros den Supermarkt der Zukunft vor. (Bildquelle: Mugrauer)
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