Interview mit Karl- Erivan Haub Multi Branchen Händler

Das Kapitel Lebensmittel-Discount ist für ihn beendet. Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub orientiert sich neu und setzt auf die Bereiche
Lebensmittel, Kleidung und Wohnen. Ziel: mindestens Top 3 im Wettbewerb.

Dienstag, 24. August 2010 - Management
Markus Oess
Artikelbild Multi Branchen Händler
Bildquelle: Mugrauer

Der letzte Waggon ist mit dem Verkauf von Plus Österreich abgehängt. Mit etwas Wehmut blickt Firmen-Chef Karl-Erivan Haub auf die jüngste Vergangenheit. Warum Plus nicht überleben konnte und worauf sich die Tengelmann-Gruppe jetzt fokussieren will, erklärt Haub im LP-Interview.

Herr Haub, Zielpunkt ist als letzte Plus-Tochter verkauft, schmerzt der Abschied?
Karl-Erivan Haub:
Jeder Waggon, der abgehängt wird, schmerzt. Besonders dann, wenn er lange dabei war. Der größte Schmerz war aber vor gut zweieinhalb Jahren, als wir erkennen mussten, dass wir mit Plus aller Bemühungen zum Trotz auf Dauer keine Position erreichen konnten, die unseren Vorgaben entspricht, nämlich zu den Top Drei am Markt zu gehören. Also haben wir die strategische Entscheidung getroffen, Plus abzugeben.

Wenn Sie jetzt zurückschauen, was führte letztlich dazu, dass Plus am Markt verschwinden wird, sieht man vom Online-Shop ab?
In manchen Fällen war Plus zu klein, in anderen zu wenig erfolgreich. Plus war insbesondere in Deutschland nicht in der Lage, aus eigener Kraft die Lücke zum Wettbewerb zu schließen. Und somit war auch für die Auslandsgesellschaften der Weg vorgezeichnet. Discount ist ein Volumengeschäft.

Ist für Sie das Thema Lebensmittel-Discount als eigenständiges Geschäftsfeld endgültig abgehakt?
Im Moment ja. Aber wir schließen einen Neustart auch nicht gänzlich aus. Unser Know-how ist ja nicht verschwunden und wir sind Gesellschafter eines großen Discounters.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Edeka hinsichtlich Netto?
Leider hat uns das Kartellamt aus für uns unerfindlichen Gründen unsere Gesellschafterrolle auf die eines Finanzinvestors reduziert. Daran halten wir uns strikt, die Rollen sind klar verteilt.

Was würden Sie heute beim Plus-Netto-Deal anders machen?
Ich glaube nicht, dass wir wesentliche Fehler gemacht haben. Wir haben die Alternative mit Penny sehr genau geprüft. Edeka hatte mit Netto das für uns überzeugendere Konzept. Das soll nicht heißen, dass wir nicht gern mit der Rewe kooperieren, wie Sie an dem Verkauf von Plus Tschechien sehen. Wir haben im Vorfeld sämtliche Themen sauber abgearbeitet und konnten nach unserem Ermessen nur davon ausgehen, dass unsere Pläne im Großen und Ganzen durchgingen. Mir ist nach wie vor schleierhaft, was zu dem überraschenden Kurswechsel des Kartellamtes geführt hat. Wer weiß, vielleicht gab es einen gewissen Bedarf Zeichen zu setzen.

Das heißt?
Das heißt, dass Menschen die Entscheidungen treffen…

Sie kooperieren bei Ihren Supermärkten mit Bünting und werden mit den Friesen auch aus der BBB& R aussteigen. Wie fällt Ihre Bilanz bei Kaiser’s Tengelmannn aus?
Sehr positiv. Nachdem klar war, das Kartellamt untersagt uns die Zusammenarbeit mit Edeka im Supermarktgeschäft, mussten wir uns einen neuen Partner suchen. Da lag es nahe, sich bei der Markant umzusehen. Mit Bünting haben wir einen perfekten Partner gefunden, der viele Gemeinsamkeiten mit bringt: eine Inhaberfamilie und ein erfolgreiches Management: Wir haben jetzt das erste volle Jahr hinter uns gebracht, mit großem Erfolg. Wir prüfen derzeit auch die Zusammenarbeit in anderen Bereichen, z. B. bei den Eigenmarken oder beim Obst und Gemüse. Vor allem aber kommen wir uns vertrieblich nicht in die Quere.

Wird nach dem Rhein-Main-Gebiet eine weitere Region abgegeben?
Nein. Jetzt konzentrieren wir uns auf die verbliebenen Kernregionen.

Warum war die Region nicht mehr zu halten?
Rhein-Main war schon seit langem unser Sorgenkind. Wie auch bei Plus, haben wir mit unseren Supermärkten keine vertretbare Marktposition erreichen können. Das ist ganz klar Rewe-Land. Uns geht es nicht um Größe, wir wollen auf einer soliden Basis rentabel arbeiten. Das war hier nicht der Fall, also haben wir es abgegeben. Mit der Aufteilung auf Rewe und Tegut haben wir auch eine ganz passable Lösung gefunden.

Wie geht es mit den Supermärkten weiter?
Für uns gibt es nur eine Richtung: nach vorn! Wir haben die Zentrale aus Viersen zu uns nach Mülheim geholt. Wir müssen effizienter werden, auch mit Blick auf die Kosten. In München behaupten wir uns mit Tengelmann sehr gut. In Berlin ist Kaiser’s die unumstrittene Nummer eins. Dort besteht kein akuter Handlungsbedarf. In unserer Stammregion hier ist das anders. Hier haben wir in Sachen Verdichtung Nachholbedarf. Das korrigieren wir bereits. Die Generallinie für alle Regionen ist klar. Unser neues Konzept wird hervorragend angenommen. Bislang haben wir 200 Filialen umgestellt. Nun müssen wir in einem Kraftakt die Umstellung aller Märkte abarbeiten.

Wie viele neue Märkte wird es geben?
Wir sprechen nicht von zwei, drei Märkten für die nächsten beiden Jahre. Diese Zahl erreichen wir allein schon durch Ersatzstandorte.

Und was macht A & P in den USA?
Das Geschäft gestaltet sich sehr schwierig und steht unter sehr intensiver Beobachtung.

Was sind die Gründe?
Es sind mehrere Faktoren zusammengekommen. Wir haben vor sechs Monaten die Führung ausgetauscht. Die Integration von Pathmark war wie so oft weit schwieriger zu bewältigen als anfangs gedacht. Schließlich wurde das Absatzgebiet von A & P, das doch stark von der Finanzbranche geprägt ist, durch die Krise überproportional getroffen. Wir arbeiten intensiv an einer Lösung.

Wäre ein Verkauf derzeit denkbar, er gilt ja als eine mögliche Option?
Sicher ist ein Verkauf eine Option. Denkbar ist aber auch, im nächsten Schritt einen weiteren Zusammenschluss anzustreben und auf diesem Weg nennenswerte Größe zu erreichen. Die USA sind ein riesiger Markt. Mehr als 314 Mio. Menschen leben hier und die Bevölkerung wächst weiterhin.

Der Lebensmittelhandel verliert in der Tengelmann-Gruppe an Bedeutung, warum ist das so?
Bereits mein Vater hatte in den 80er-Jahren begonnen, das Unternehmen auf mehrere Säulen zu stellen. An diesem Grundsatz der Diversifikation halten wir auch heute noch fest, wir verstehen uns als Multi-Branchen-Händler. Wir konzentrieren uns auf den täglichen Bedarf der Menschen: Lebensmittel, Kleidung und Wohnen – die „wichtigsten Dinge des Lebens“. Unter diesem Kernsatz lassen sich alle Aktivitäten unserer Gruppe zusammenfassen, auch die E-Commerce-Geschäfte. Abgesehen davon kann es gut sein, dass wir in dem Markt wieder für Bewegung sorgen.

Wollen Sie nicht konkreter werden?
Dafür ist es noch zu früh.

Was haben Sie mit Woolworth vor, werden allen Filialen von H.H. Holding übernommen?
Nachdem wir die Freigabe durch das Kartellamt bekommen haben, können wir uns an die Arbeit machen. Wir haben ein ehemaliges Sparlager in Unna angemietet und verlegen die Zentrale von Frankfurt dorthin, wir brauchen in der Gruppe im wahrsten Wortsinn kurze Wege. Nicht jeder wollte mit, aber wir haben allen einen neuen Arbeitsvertrag angeboten. Nun können wir das Geschäft gezielt aufbauen.

Wie geht es jetzt weiter?
Ziel ist, ein Netz von Innenstadt-Kaufhäusern aufzubauen, mit zunächst 160 Filialen. Mittelfristig sind 250, später auch 500 Standorte denkbar.

Woolworth war insolvent, Karstadt auch und Kaufhof kann sich kaum mit ausländischen Konkurrenten messen. Woher der Optimismus, dass das Geschäftsmodell in Deutschland funktioniert?
Wir setzen auf die innerstädtische Grundversorgung mit Nonfood. Wo bekommen Sie heute noch Spiel- und Schreibwaren oder Haushaltsgeräte? Der Fehler, den Karstadt und andere begangen haben, war, sich durch das ständige Trading-up preislich in Regionen zu begeben, in die nun mal nicht jeder Kunde mitgeht, nicht mitgehen kann. Bei Woolworth verfügen wir über ganz andere Flächen und Lagen. In 16 Jahren haben wir 3.000 KiK-Filialen aufgebaut, für 1.000 Tedi-Filialen haben wir sechs Jahre gebraucht. Ich bin fest überzeugt, Woolworth wird eine Erfolgsgeschichte. Wir können das mit unseren händlerischen Fähigkeiten stemmen.

Sie haben sich an verschiedenen Online-Firmen beteiligt, würden Sie das als einen grundlegenden Strategie-Wechsel bezeichnen?
Nun, wir hatten Anfang des Jahrtausends das Glück, dass wir uns aufgrund anderer Probleme nicht im E-Commerce engagiert und daher auch kein Geld verloren haben, als die Internetblase platzte. Heute ist der Zeitpunkt günstiger. Der Markt ist weiter und wir haben wieder Geld für Investitionen. Wir tasten uns über Beteiligungen heran. Nachdem wir uns Anfang des Jahres an brands4friends und Zalando beteiligt haben, folgte nun der Einstieg bei baby-markt.de und wir sind diesmal mit einem Anteil von 49,9 Prozent in die Mit-Verantwortung gegangen.

Wie laufen die Geschäfte aktuell?
Zurzeit sind wir überhaupt nicht unzufrieden. Was 2009 betrifft, kann ich sagen, dass wir sehr gut durchs Jahr gekommen sind. Wir haben zwar konservativ geplant, haben aber deutlich über Plan abgeschlossen. Besonders in Deutschland liefen die Geschäfte sehr stabil.

Wo sehen Sie noch Wachstumspotenzial für Tengelmann?
Unser Fokus richtet sich auf die Verdichtung in den bestehenden Ländern.

Sind Sie von der bisherigen Arbeit der Bundesregierung arg enttäuscht?
Ich würde sagen, das ist ein tragischer Fall. Auf dem Papier haben wir aus Sicht der Wirtschaft die besten Bedingungen. Aber hier treffen Regierungserfahrung aus der großen Koalition zusammen mit der politischen Euphorie, endlich wieder Regierungsverantwortung zu tragen. Schnelle Fehler wie etwa die Absenkung der Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe, unkluge Äußerungen aus den Reihen der FDP wie auch die andauernden Koalitionsscharmützel haben das Klima vergiftet. Nun hat die Koalition noch drei Jahre Zeit, das zu korrigieren. Das Experiment in NRW mit der rot-grünen Minderheitsregierung kann die Stimmung wieder in Richtung Schwarz-Gelb drehen.

Wie würden Sie das Unternehmen Bundesrepublik sanieren?
Ich habe auch kein Patentrezept. Aber stellen Sie sich allein den psychologischen Effekt vor, wenn wir zwei, drei Jahre hintereinander sagen können, wir haben weniger Schulden als noch vor einem Jahr. Wir müssen uns wieder eine Perspektive erarbeiten mit klassischen konservativen Werten: Ehrlichkeit, Fleiß, Disziplin. Ich würde der Sanierung des Staatshaushaltes auch einen Namen geben, um für Identifikation bei den Menschen zu sorgen, um sie leichter von der Notwendigkeit zu überzeugen. „Raus aus dem Tal“, wäre nicht schlecht.