Mindestlohn Was darf der Staat?

Die Debatte über Lohndumping und Ausbeutung des Verkaufspersonals hat für Schlagzeilen gesorgt und Forderungen nach Mindestlöhnen neue Nahrung gegeben. Klar ist: Tariflöhne sind das Ergebnis von Verhandlungen zwischen zwei Partnern auf Augenhöhe. Einen staatlichen Eingriff wollen aber im Grunde weder Gewerkschaft noch Arbeitgeber. Es muss sich nur jeder an Tarifverträge halten.

Freitag, 27. August 2010 - Management
Bettina Röttig und Markus Oess

Die Rewe tut es. Edeka tut es. Die Metro Group und Lidl auch. Auf Anfrage der LEBENSMITTEL PRAXIS erklären alle vier Händler, ihr Verkaufspersonal mindestens nach Tarif zu bezahlen. Häufig auch darüber. Heute gibt es im Einzelhandel laut HDE tarifliche Mindestlöhne, die je nach Bundesland zwischen 7 und 8,50 Euro liegen. Mehr als zwei Drittel aller Einzelhandelsmitarbeiter, sowohl Vollzeit- als auch Teilzeitbeschäftigte, werden nach Tarifvertrag bezahlt. Einzig der Zusatz „gesetzlich“ könnte für einiges Magengrummeln sorgen, widerspricht er doch den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft. Aber wenn sich die Tarifparteien eh einigen, ist doch alles klar?

Erich Harsch, Chef der Drogeriemarktkette dm, erklärt im LP-Interview (S. 15): „Zunächst müssen Menschen vernünftig von ihrem Lohn leben können. Das bedeutet, dass das Einkommen, das erwirtschaftet wird, für die Abdeckung der persönlichen Bedürfnisse hinreichend sein muss. Was das für den Einzelnen bedeutet, ist natürlich individuell. Das ist jedoch keine Frage eines Mindestlohns.“ Dem widerspricht Lidl-Aufsichtsratschef Klaus Gehrig. Der hatte im vergangenen Februar geäußert, „dass im Einzelhandel unbedingt Mindestlöhne eingeführt werden müssen“. Damit würde Lohndumping, das auch vereinzelt im Handel zu sehen sei, unterbunden. Gehrig reagierte auf eine ARD-Sendung, in der Prof. Rudolf Hickel (Universität Bremen) den Discountern vorgeworfen hatte, den enormen Kostendruck auf die Löhne abzuwälzen und deshalb schlechter zu bezahlen. Eine Lidl-Sprecherin erklärt, dass der Discounter u.a. seit März 2008 allen tariflich Angestellten eine freiwillige, nicht verrechenbare Zulage und auch geringfügig Beschäftigten mindestens 10 Euro die Stunde zahlt.

Immerhin ist der eine oder andere Händler in der jüngeren Vergangenheit in die Kritik geraten. So wurde z. B. Kik oder Schlecker vorgeworfen, die Mitarbeiter im Verkauf über lange Arbeitszeiten oder über durch Firmenverschachtelungen getarnte Abhängigkeiten regelrecht auszubeuten. So gesehen ist Gehrigs Vorstoß nachvollziehbar, stünde das Unternehmen nicht ebenso im Dauerclinch mit der Gewerkschaft Verdi. Während sich Lidl für den tariflichen Mindestlohn stark macht, blasen Metro, Edeka oder Rewe ins gleiche Horn. Ein Metro Sprecher: „Tarifliche Entgeltregelungen einschließlich der tariflichen Basisentgelte sind nicht nur von der verfassungsrechtlichen Tarifautonomie gefordert, sondern auch die sachnähere Lösung. Ein verhandelter Kompromiss zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat eine höhere Glaubwürdigkeit als Festlegungen der Politik.“ Die Konkurrenz in Köln sieht es nicht viel anders. Im Gegenteil, wie ein Rewe-Sprecher betont: „Staatliche Interventionen sind nicht erforderlich. Sie wären sogar schädlich, denn sie schwächen im Ergebnis nur die Tarifpartner und setzen das Thema ohne Not allgemeinpolitischen Strömungen und im schlimmsten Fall populistischen Tendenzen aus.“