Flüchtlinge Zusätzliche Kaufkraft

Schon allein das Taschengeld der Flüchtlinge bringt dem Lebensmittel-Einzelandel eine kleine Sonderkonjunktur, argumentiert Jörg Lehnerdt.

Donnerstag, 10. März 2016 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild Zusätzliche Kaufkraft

Deutschlands Bevölkerung wächst als Folge der starken Zuwanderung durch Flüchtlinge – vor allem aus den Kriegs- und Krisengebieten im Nahen Osten. Abgesehen von der humanitären Tragödie und den politischen und logistischen Herausforderungen ist das für den Einzelhandel eine gute Nachricht. Denn auch ein Flüchtling ist letztlich ein Konsument, dessen Ausgaben zu mehr Umsatz in der Branche führen.

Im Jahr 2015 wurden in Deutschland rund 1,1 Mio. Flüchtlinge registriert, knapp 0,5 Mio. haben einen Asylantrag gestellt. Zwar scheinen Anfang 2016 die Zahlen zurückzugehen, jedoch ist ein stabiler Trend noch nicht absehbar. In ihrem Herbstgutachten 2015 erwarten die Wirtschaftsforschungsinstitute für 2015/16 ein Bevölkerungszuwachs von 1,5 Mio. Menschen.

Die Konsequenzen für den Einzelhandel sind jedoch nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Zunächst ist nicht absehbar, wie viele der Flüchtlinge tatsächlich in Deutschland bleiben werden und wo sie dann dauerhaft leben. Ebenso wenig ist bekannt, wie schnell sie Arbeit finden und damit im günstigsten Fall von staatlicher Unterstützung unabhängig werden. Schließlich stellt sich die Frage, wie stark und wo die Nachfrage steigt, wenn Flüchtlinge zu Kunden werden.

Ein Forschungsprojekt des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung hat die Situation von Zuwanderern nach Deutschland umfassend untersucht. Demnach begünstigte die gute Konjunktur im Zeitraum 2010 bis 2015 die Integration von Migranten. Wenn ihnen Bildungschancen und der Zugang zum Arbeitsmarkt offenstehen und bestehende Hürden abgebaut werden, wird dies vermutlich auch mit den zuletzt nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen gelingen.

Zur Person

Jörg Lehnerdt leitet die Niederlassung Köln der BBE Handelsberatung München. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Einzelhandelskonzepte für Kommunen und Auswirkungs- Analysen für Vorhaben mit großflächigem Einzelhandel.

Nach ihrer Registrierung erhalten diese in den Erstaufnahme-Einrichtungen zunächst Unterkunft, Kleidung, Einrichtungsgegenstände und Grundnahrungsmittel als Sachleistungen oder Spenden. Als zusätzliches „Taschengeld“ wird eine Pauschale für den persönlichen Bedarf in Höhe von 143 Euro pro Monat gewährt. Diese ist eigentlich für individuelle Bedürfnisse wie Bustickets, Eintrittskarten oder Handy-Guthaben gedacht, wird aber stattdessen offenbar auch für ergänzende Einkäufe von Lebensmitteln und Drogeriewaren ausgegeben. Aus dem „Taschengeld“ allein ergibt sich bereits ein zusätzliches Kaufkraftpotenzial von rund 2,6 Mrd. Euro im Jahr. Es ist zu erwarten, dass dieses Geld zum überwiegenden Teil in Lebensmittel-Supermärkten und -Discountern ausgegeben wird, die in räumlicher Nähe zu den Unterkünften liegen. Bezogen auf den Gesamtumsatz des Lebensmittel-Einzelhandels in Deutschland von zuletzt 166 Mrd. Euro (Prognose 2015) entspräche dies eine r kleinen Sonderkonjunktur.

Die Nachfrageimpulse für den lokalen Einzelhandel werden vor allem an den Standorten bereits jetzt deutlich, an denen relativ viele Flüchtlinge untergebracht sind. Dort haben insbesondere Supermärkte und Discounter gute Chancen, vom zusätzlichen Kaufkraftpotenzial zu profitieren. Das gilt erst recht für türkische und arabische Märkte, die sich leichter auf die spezifischen Bedürfnissen der Zuwanderer einstellen können und entsprechende Sortimente anbieten – zum Beispiel Halal-Lebensmittel. Besonders attraktiv sind großstädtische Quartiere, in denen bereits größere Bevölkerungsgruppen aus dem eigenen Land oder Kulturkreis leben. In ländlichen Kommunen mit sinkenden Bevölkerungszahlen kann die Zuwanderung Nahversorgungseinrichtungen sichern helfen und einen Beitrag zur angestrebten Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse leisten. Viele Zuwanderer werden die Sprach- und Bildungsbarrieren überwinden und dem Arbeitsmarkt als Fachkräfte zur Verfügung stehen. Manche werden selbst Unternehmer und Arbeitgeber werden.