Round Table: Ausbildung So bilden wir besser aus!

Die geplante Neuordnung der Berufe stößt auf große Zustimmung im Lebensmittelhandel. Bei einem Round-Table-Gespräch der Lebensmittel Praxis wurde allerdings auch deutlich, wo derzeit Schwachpunkte in der Ausbildung liegen.

Freitag, 06. November 2015 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild So bilden wir besser aus!
„Es wäre wünschenswert, wenn die Auszubildenden Waren- und Verkaufskenntnisse besser verknüpfen könnten.“

Dr. Silvia Annen, BiBB
Bildquelle: Eilers

Wir müssen die Waren- und Verkaufskunde weiter stärken!“, lautete die zentrale Forderung aus der Runde der Personalentwickler, die sich im Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) zusammengefunden hatte, um über die geplante Neuordnung der Berufsbilder im Einzelhandel zu diskutieren. Olaf Stieper, Edeka Bildungswesen, machte deutlich:„Mir ist es viel lieber, dass Azubis am Ende ihrer Ausbildung den Kohlrabi vom Radieschen unterscheiden können, als dass sie mir die Funktion der Lohnsteuerklasse 6 erläutern können! “Aktuell wird Warenkunde fast nur in den Ausbildungsbetrieben vermittelt. Der Lebensmittelhandel würde es begrüßen, wenn das Fach wieder zusätzlich in den Berufsschulen unterrichtet würde. Wilfried Malcher vom Handelsverband Deutschland (HDE) unterstützt diesen Vorschlag jedoch nicht. Er ist der Meinung, dass „die normale Berufsschule das nicht leisten kann“, und ergänzt: „Wohl aber müssen wir darauf achten, dass die Anforderungen an die Betriebe und für die Prüfungen klarer und stringenter formuliert werden sollten.“

Dr. Silvia Annen, die beim BiBB die Evaluation durchgeführt und ausgewertet hat, formuliert eine weitere Forderung: Es wäre wünschenswert, wenn die Auszubildenden Waren- und Verkaufskenntnisse besser verknüpfen könnten. Schließlich geht es in der Praxis nicht um reines Faktenwissen, sondern um Verkaufsgespräche. Die Runde war sich einig: Im Tagesgeschäft ist es entscheidend, dass man die Kompetenz erwirbt, sich Wissen anzueignen. Wie schnell sich die Sortimente ändern können, zeigt der Trend zur Ernährung mit weniger Fleisch: Wer hat vor zehn Jahren schon an vegane Produkte gedacht? Heute füllen sie auf größeren Verkaufsflächen ein komplettes Regal. Der Azubi muss also wissen, wie und wo er sich über neue Produkte wie vegane Lebensmittel informieren kann.

Auf Zuspruch stieß die geplante Änderung, die bisherigen Lernziele neu zu formulieren. In der Neuordnung werden Kompetenzen beschrieben, die sich die Azubis bis zur Prüfung aneignen sollen – in klarer, aktiver Sprache. Dann kann man die Rahmenpläne praxisorientierter beschreiben, was den Ausbildern vor Ort die Arbeit erleichtern sollte.

Corinna Trier aus der Rewe Personalentwicklung sprach den Wahlbaustein „Grundlagen der unternehmerischen Selbstständigkeit“ an. Dieser Baustein darf nach dem Willen der Rewe-Kaufleute keinesfalls unter den Tisch fallen. Kollege Stieper von der Edeka pflichtete ihr bei. Auch wenn das Fach nur für eine relativ kleine Gruppe von Auszubildenden relevant ist, sei es für die Betroffenen extrem wichtig und müsse gestärkt werden. Naturgemäß kommt der Baustein nur bei den Unternehmen zum Einsatz, bei denen der Schritt in die Selbstständigkeit möglich ist.

Hannelie Bohnes, Real SB-Warenhaus GmbH, begrüßte, dass in der Verordnung neue Verbundformen wie Omni- und Multichannel-Kanäle berücksichtigt werden: „E-Commerce ist ein wichtiger Punkt, auch fürs Image des Handels.“ Sie wies darauf hin, dass die Verordnung eine große Bandbreite abdecken muss: von der Großfläche wie Real bis hin zum Tankstellenbetreiber, der ebenfalls Kaufleute im Einzelhandel ausbilden kann. Beide, der Real- und der Tankstellen-Azubi, besuchen gemeinsam eine Berufsschulklasse und werden vom selben Prüfer bewertet.

Womit die Diskussionsrunde bei den unerfreulichen Punkten angekommen war. Da ist zum einen die Qualität der Berufsschule zu nennen, die nicht immer den Anforderungen des Handels genügt. Wobei schlechter Unterricht zum Teil auch an der heterogenen Zusammensetzung der Klassen liegt: zu große Klassenstärken (mit 30 Schülern oder mehr), unterschiedliche Berufe, extrem unterschiedliche Leistungsstände der Schüler. Als Konsequenz schicken immer mehr Betriebe ihre Schützlinge auf private Berufsschulen, wo sie die Lerninhalte besser beeinflussen können.

Zweiter Kritikpunkt: die Abschlussprüfungen. Grundsätzlich sind die Prüfungsausschüsse autark und autonom, sie entscheiden über Bestehen und Nicht-Bestehen und damit über Karrieren. Aber sind wirklich alle Prüfungsausschüsse samt Prüfern geeignet, eine so wichtige Prüfung abzunehmen und fair zu beurteilen? Da hatten einige der Diskutanten doch arge Bedenken. „Teilweise kommen noch Karteikärtchen zum Einsatz, mit Fragen von Anno dazumal“, so eine Anmerkung. Oder: „Manche IHK-Prüfer machen, was sie wollen.“

Wie soll das mit den Prüfungen weitergehen, wenn sich nun auch noch die Anforderungen ändern? Die Personalentwickler befürchten, dass sich während der Umstellungsphase „so mancher Prüfling eine blutige Nase holt“. Deshalb schlagen sie vor, dass in der Neuordnung die Prüfungsabschnitte ausführlicher beschrieben werden, mit konkreteren Formulierungen als bisher. Und sie fordern unisono: „Die Prüfer müssen selbst besser geschult werden!“


Auf einen Blick: Die geplante Neuordnung
Über zehn Jahre ist sie alt, die Verordnung, nach der die meisten Auszubildenden im Lebensmittelhandel ausgebildet werden. Wer als Berufsziel Verkäufer bzw. Verkäuferin oder Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel (KiE) hat, muss bestimmte Lerninhalte meistern und sich vorgeschriebenen Prüfungen stellen. Was gefordert wird, steht in der Ausbildungs-Verordnung. Genauer gesagt, handelte es sich zumindest in zwei Punkten bislang um eine Erprobungs-Verordnung, sie war also in der Testphase. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, in der sich neue Trends entwickelt haben, man denke nur an den Online-Handel oder neue Sortimente wie vegane Produkte. Deshalb gehört die Verordnung auf den Prüfstand, damit man sie den aktuellen Entwicklungen anpassen kann. Genau das passiert gerade.

An einer solchen Änderung sind mehrere Interessengruppen beteiligt, angefangen vom Bundeswirtschaftsministerium über den Handelsverband bis zu den Gewerkschaften. Zunächst hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) eine Untersuchung durchgeführt und nachgefragt, wo der Schuh drückt. Dabei kamen Betriebe, Lehrer der Berufsschule, Industrie- und Handelskammern und nicht zuletzt Prüflinge zu Wort. Das Resultat, auf einen Nenner gebracht: Die Verordnung funktioniert gut, aber einige Punkte sollten verbessert werden.

Diese Verbesserungsideen werden in verschiedenen Gremien bearbeitet, federführend ist dabei der Handelsverband Deutschland (HDE). Wilfried Malcher, der im HDE die Neuordnung koordiniert und vorantreibt, hofft, dass alle Beratungen bis Mitte 2016 abgeschlossen sein werden. Dann kann die neue Verordnung zum 1. August 2017 in Kraft treten.

Was sind die wichtigsten geplanten Änderungen?
Die gestreckte Abschlussprüfung (GAP) wird nach ihrer Erprobung fest in die Verordnung des dreijährigen Berufsbilds Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel geschrieben. Konkret: Bei der gestreckten Abschlussprüfung für die Kaufleute gibt es keine klassische Zwischenprüfung mehr; die Ergebnisse von Teil 1 der schriftlichen Prüfung fließen unmittelbar in die Abschlussnote und das Prüfungszeugnis ein. Die schriftlichen Prüfungsbereiche von Teil 1 sind identisch mit jenen aus der Verkäuferprüfung.

Das hat Konsequenzen: KiE-Auszubildende, die im ersten Teil unter der geforderten 50-Prozent-Marke bleiben, können die Prüfung trotzdem bestehen, wenn sie im zweiten Teil die Noten ausgleichen. Und Prüflinge, die nach dem Verkäufer noch den Kaufmann machen wollen, legen keine Prüfung mehr doppelt ab.

Die Ausbildungsinhalte im zweijährigen Verkäuferberuf sind identisch mit den Inhalten der ersten beiden Ausbildungsjahre der Kaufleuteausbildung. Das macht es möglich, dass Verkäufer-Azubis mit guten Leistungen und ausreichender Motivation ein drittes Ausbildungsjahr absolvieren und dann die Kaufleute-Prüfung meistern. In diesem Fall, der häufig vorkommt, spricht man vom „Durchstieg“.

Geregelt wird auch der umgekehrte Fall, der „Rückstieg“. Er betrifft Auszubildende mit einem KiE-Vertrag, die aber wegen privater Gründe nur die Verkäuferprüfung absolvieren. Das betrifft nach Schätzungen 3 bis 4 Prozent aller Prüflinge.

Zu den Inhalten, die während der Ausbildung vermittelt werden: Die Untersuchung des BiBB hat ergeben, dass die Wahlqualifikationen grundsätzlich gut angenommen werden und den Bedarf decken. Eine Ausnahme macht die Qualifikation: „Grundlagen unternehmerischer Selbstständigkeit“, die von einem Großteil der befragten Betriebe nicht genutzt wird. Allerdings ist sie für die Azubis, die eventuell eine Selbstständigkeit anstreben, wichtig und unverzichtbar, daher bleibt es bei der Wahlqualifikation.

Anpassungen wird es bei der Wahlqualifikation „IT-Anwendungen“ geben. Sie wird geändert in das Wahlhandlungsfeld „E-Commerce anwenden“. Bei den Inhalten geht es insbesondere um das Online-Geschäft und Fragen der Digitalisierung. Sie soll unter anderem Azubis ansprechen, die auf der Fläche arbeiten, aber zudem auch Online-Bestellungen bearbeiten. Darüber hinaus arbeiten die Gremien an einem komplett neuen Berufsbild, dem Aus- und Fortbildungsberuf E-Commerce.

Die Formulierungen in den Ausbildungsrahmenplänen werden sich ändern. Bislang enthalten sie Lernziele. In der neuen Verordnung geht es um Kompetenzen, welche die Azubis im Lauf ihrer Ausbildung erwerben sollen. Dadurch kann man die Inhalte stärker an der Praxis orientieren.

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