Verpackung Höflichkeit statt Kräftemessen

Gundolf Meyer-Hentschel hat eine Mission: die höfliche Verpackung. Sie schützt das Produkt, fordert Konsumenten nicht zum Ringkampf auf. Für die steigende Zahl älterer Konsumenten ist dies ein Kaufargument. Derzeit machen Eigenmarken vor, wie höflich es zugehen kann.

Montag, 06. Oktober 2014 - Management
Susanne Klopsch
Artikelbild Höflichkeit statt Kräftemessen

Ihre wirtschaftliche Kraft ist nicht von schlechten Eltern: Die Generation 60 plus hat nach Schätzungen von Marktforschern eine Kaufkraft von mehr als 300 Mrd. Euro im Jahr. Und sie ist beim Einkauf von Lebensmitteln anspruchsvoll sowie markentreu: Drei Viertel der Über-60-Jährigen achten nach der SGS-Verbraucherstudie 2014 beim Einkauf ihrer Lebensmittel auf Qualität. Anders als führere Generationen dieses Alters sind sie Neuem gegenüber meist noch sehr aufgeschlossen und mobil. In Deutschland sind Seniorenhaushalte (älter als 60 Jahre) mit einem Anteil von 35,3 Prozent inzwischen die stärkste Gruppe, gefolgt von den 40- bis 49-Jährigen mit 20,2 Prozent Anteil und den 50- bis 59-Jährigen mit 18,2 Prozent (GfK Bevölkerungsstrukturdaten 2013). Eine mächtige Konsumentengruppe also – die Erfüllung ihrer Bedürfnisse sollte bei Herstellern und Handel eigentlich eine wichtige Rolle spielen.

Eigentlich. Denn die Realität sieht oft anders aus: Die vakuumierten 500-g-Kaffeequader lassen sich nur mit viel Mühe und mithilfe von Schere oder Messer öffnen. Selten gelingt es, dabei kein Kaffeemehl in der Küche zu verteilen; Schraubverschlüsse von Milchpackungen sind viel zu flach, schwer zu greifen, sodass die Kraft fehlt, die zum Aufdrehen und damit Zerschneiden der drunterliegenden Siegelschicht notwendig ist; MHD oder Inhaltsstoffe sind in derart kleiner Schrift auf die Verpackung gedruckt, dass nur bei optimalem Licht die Information zu erkennen ist. Wer einmal einem älteren Menschen mit Rheuma zugeschaut hat, wie er sich mit dem Öffnen einer Milchverpackung abmüht, der wird sich fragen, warum das eigentlich so sein muss. Sind Hersteller hierzulande nicht auf diese wachsende Bevölkerungsgruppe vorbereitet? „Einige schon“, sagt Dr. Gundolf Meyer-Hentschel, Inhaber des Saarbrücker Meyer-Hentschel-Instituts. „Viele Hersteller agieren aber imme r noch so, als würden Verbraucher gerne ihre Geschicklichkeit und ihre Kräfte an Verpackungen unter Beweis stellen. Hauptargument sind die Kosten für funktionale Änderungen.“ Meyer-Hentschel beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit den Wünschen älterer Kunden und gilt als Erfinder des Seniorenmarketings. Mit seiner Erfahrung im Rücken stellt er den Markenherstellern derzeit kein gutes Zeugnis aus: „Bewegung in den Markt bringen vor allem die Eigenmarken der Handelsunternehmen, die ihre Chance in der besseren Befriedigung der Kundenbedürfnisse sehen.“ Aus seinen Untersuchungen weiß der Saarbrücker, dass rund 30 Prozent der älteren Kunden ein Produkt, mit dessen Verpackung sie Probleme haben, nicht wieder kaufen.

Dabei geht es Meyer-Hentschel ganz und gar nicht um die Entwicklung sogenannter Seniorenprodukte („dies wollen ältere Menschen auf gar keinen Fall“). Sein Ziel ist die höfliche Verpackung: Eine Verpackung, die leicht zu öffnen und wiederverschließbar ist, bei der das Etikett gut zu lesen ist und das Produkt sich leicht entnehmen lässt. Und diese Verpackung ist dann auch höflich zu jüngeren Menschen, denn auch sie profitieren von diesem Convenience-Aspekt. Meyer-Hentschel spricht in diesem Zusammenhang von einem Lupeneffekt: Bei der Fokussierung auf eine anspruchsvolle und sensible Kundengruppe werden Bedürfnisse sichtbar, die latent auch bei anderen Konsumenten existieren. „Die Beschäftigung mit älteren Zielgruppen kann somit Innovationen auch für andere Altersgruppen nach sich ziehen und damit interessante Wachstumsimpulse setzen.“

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