Brot- und Backwaren Visitenkarte des Marktes wird aufpoliert

Backstationen der Discounter machen nicht nur den Handswerksbäckern zu schaffen. Auch der LEH muss für seine Backstationen und Bäcker in der Vorkassenzone die Konzepte überarbeiten und modernisieren.

Donnerstag, 18. Oktober 2012 - Sortimente
Susanne Klopsch
Artikelbild Visitenkarte des Marktes wird aufpoliert
Geschnitten macht das Rennen (Quelle: The Nielsen Company)
Bildquelle: Klages-Saxler

Sind die Backstationen im Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) die Totengräber der Handwerksbäcker? Das ist wohl doch etwas zu hoch gegriffen. Nicht zu verkennen ist allerdings der Zusammenhang von schließenden Handwerksbäckereien und der immer weiter zunehmenden Anzahl von Backstationen im LEH. Gut 15.000 gibt es nach Schätzungen des Verbands Deutscher Großbäckereien (VDG) derzeit bereits. Und sie erhöhen den Druck auf die kleineren backenden Betriebe weiter, wie Helmut Klemme, VDG-Präsident, bei der Jahrespressekonferenz Ende September sagte: „50 Prozent aller Verbraucherausgaben für Brot und Backwaren sowie 60 Prozent aller Einkäufe erfolgen inzwischen im Lebensmittel-Einzelhandel.“ Bisher stünden erst in rund einem Drittel der Discounter Backstationen, „das heißt, es gibt ein ,Umstellungspotenzial ’ von rund 10.000 Geschäften“.

Ein Blick auf die Handelslandschaft belegt Klemmes Prognose: Aldi Süd hat alle Märkte mit Backstationen ausgerüstet, Lidl ungefähr zwei Drittel und hat gerade erst sein Sortiment ausgebaut, Penny hat nachgebessert, Aldi Nord rüstet auf, Netto Marken-Discount ist derzeit dabei, schrittweise seine Filialen zu bestücken. Edeka-Tochter Netto will künftig in seinen Filialen „ein 15 bis 20 Artikel umfassenden Sortiment an hochwertigen Brot- und Backwaren anbieten“, wie es in einer Mitteilung heißt. Welches Betriebssystem zum Einsatz kommen soll, ist offiziell noch nicht entschieden: „Wir testen aktuell verschiedene Betriebssysteme und Modelle unterschiedlicher Anbieter.“ Lag der Marktanteil der Backstationen im LEH 2008 noch bei 8 Prozent, sind es im ersten Halbjahr bereits 11,0 Prozent (Umsatz; The Nielsen Company).

Bessere Kontrolle der Hygiene
Der International Food Standard (IFS) und der Verband Deutscher Großbäckereien haben gemeinsam ein Pilotprojekt zur Optimierung der IFS-Prüfungen in Großbäckereien auf den Weg gebracht. Künftig soll die Auswahl der Auditoren durch das IFS erfolgen und nicht durch das zu zertifizierende Unterneahmen. Außerdem soll es in Zukunft unangekündigte IFS-Hygienechecks geben bzw. es sollen IFS-Food-Audits eingeführt werden. Experten aus Mitgliedsunternehmen des Verbands, des IFS, des Handels und von Zertifizierungsstellen werden laut Verband die Praxisphase in diesem Herbst begleiten.

Auslöser für diese Neuerungen waren die massiven Hygieneprobleme Anfang des Jahres bei Müller-Brot in Neufahrn bei München.

Insgesamt bleibt Premium ein wesentliches Differenzierungsmerkmal für die Backstationen des Handels. So hat Harry-Brot Ende vergangenen Jahres die Range „BrotArt“ gelauncht: Der Teig zieht über viele Stunden, was Qualität und Geschmack verbessere. Renner ist laut Geschäftsführer Hans-Jochen Holthausen das Roggenbrot mit kräftig ausgebackener Kruste. Mit der Marke Käfer will auch Hiestand & Suhr die kaufkräftigere Kundschaft für die Backstationen im LEH begeistern. Mit den hochwertigen Brotspezialitäten in handwerklich-rustikaler Optik, so Dietmar Ney, Head of Marketing Hiestand & Suhr, „erzielen unsere Partner im LEH überdurchschnittliche Verkaufspreise und Margen gegenüber anderen Bake-off-Produkten“. Das Käfer-Sortiment wird aktuell um die rustikale Ciabatta-Sorten mit Schinken und Röstzwiebeln sowie Pfeffer erweitert.

2010 verzeichnete die Backbranche laut VDG-Präsident Klemme rund 14.000 Unternehmen, 300 weniger als 2009 (jüngere Zahlen liefert das Statistische Bundesamt laut Klemme derzeit nicht). Langfristig geht er von einem Sockel von ca. 8.000 Unternehmen aus. In den nächsten Jahren werden also weitere 6.000 Unternehmen schließen. Befeuert wird dies durch die Entwicklung der Endverbraucherpreise, die immer weiter auseinander driften: Nach Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die Klemme bei der Jahrespressekonferenz nannte, betrug 2011 der durchschnittliche Preis für 1 kg Brot und Kleingebäck beim Handwerksbäcker 3,88 Euro – in der Backstation waren es 2,42 Euro. Die Käuferreichweite der Backstationen des Discounts hat sich laut GfK von 18,7 Prozent im Jahr 2008 auf 42,8 Prozent in diesem Jahr erhöht. Andererseits beobachtet die GfK eine zurückgehende Mengennachfrage: „Das ist ein langjähriger Trend, der in letzter Zeit auch dadurch angetrieben wird, dass der Inhome-Konsum zurückgeht und der Out-of-Home-Konsum etwa in Kantinen zunimmt.“

3,88 Euro betrug laut Gesellschaft für Konsumforschung 2011 durchschnittlich der Preis für 1 kg Brot und Kleingebäck beim traditionellen Bäcker – in der Backstation lag er bei 2,42 Euro.

Doch nicht nur kleine Bäckereien kommen in die Bredouille: Auch Bäcker in der Vorkassenzone, kleine Filialketten und SB-Backshops spüren den Druck durch die Backstationen. So will Tegut bis Ende des Jahres seine 55 Bäckereicafés schließen. Im Gespräch mit der LEBENSMITTEL PRAXIS sagte Vorstandschef Thomas Gutberlet, dass Bedienung immer da eine Aufgabe bekommen werde, wo Beratung sowie Teil-Herstellung gefordert und honoriert werde. Dort, wo Bedienung im Grunde nur die Aufgabe des Verpackens und Reichens erfülle, sei sie überflüssig: „Der Bereich Brot und Backwaren hat sich in den vergangenen Jahren eben in diese Richtung entwickelt“, sagte Gutberlet, „für uns ist der zukunftsweisende Platz für das Sortiment auf der Lebensmittelfläche.“ Wer dort das beste Brot- und Backwarenangebot habe, zu dem kommen die Kunden täglich: „Wir fokussieren uns daher auf gute SB-Bereiche.“

Der Vorkassenzonenbäcker als hochkarätige Visitenkarte des Marktes, eine Backstation, in der qualitativ-hochwertige Standardprodukte neben Produkten wie Süßteile, Kuchen, Donuts oder Muffins der Differenzierung dienen: Mit dieser Strategie will Rewe in den Märkten der backenden Billigkonkurrenz Paroli bieten. In den Rewe-Märkten werde im Vorkassenbereich grundsätzlich an den Bäcker untervermietet, heißt es aus Köln. „Es ist unser Ziel, die Vorkassenzone an einen Bäcker zu vermieten, der im unmittelbaren Einzugsbereich des Marktes in puncto Betreiberqualität und Qualität der Backwaren Maßstäbe setzt.“ Der Bäcker in der Vorkassenzone müsse sich auf das traditionelle Backhandwerk besinnen und sich über Sortimentskompetenz, Service und „täglich gelebten Dienstleistungsgedanken“ profilieren.

So ganz unbeschadet bleibt die Rewe aber nicht von den derzeitigen Veränderungen in der Branche: Zum 31. August wurde der Bergheimer Produktionsbetrieb der Rewe-Tochter Glockenbrot geschlossen. Dies habe nicht nur am Investitionsstau gelegen: Ein Rewe-Sprecher wurde im Kölner Stadt-Anzeiger mit den Worten zitiert, dass die Glockenbäckerei in den zurückliegenden Jahren nicht die Marktdurchdringung erreicht habe, die für eine dauerhafte Wirtschaftlichkeit notwendig gewesen sei. An lokale Bäcker bzw. Bäckereiketten abgegeben wurden 46 Glockenshops, vornehmlich in NRW. In den rund 200 Glockenshops, die es im Frankfurter Raum gibt, werden derzeit neue Angebotsmodelle getestet. Als standortspezifische Lösung bezeichnen die Kölner den Shop in der Berger Straße in Frankfurt. Er vermittle durch die Ladengestaltung eine offene und transparente Kommunikation: „Der Kunde kann bei der Herstellung seiner Snacks und Convenienceartikel zuschauen.“ Die Ladengestaltung ermögliche einfache und schnelle Bedienung.

Bis zu 10.000 neue Backstationen könnten in den nächsten Jahren noch eröffnet werden.

Für Differenzierung sorgt aber auch ein gut geführtes SB-Regal. Fast 3,4 Mrd. Euro setzt der LEH aufs Jahr gesehen mit Schnittbrot, Toastbrot und Aufbackware um. Vor allem letztere legten kräftig zu (siehe Tabelle auf dieser Seite). Harry-Brot sieht einen Trend zur Marke und erweiterte sein Sortiment um das kräftig schmeckende, ballaststoffreiche Mehrkornbrötchen unter der Marke Vital+Fit. Auch Handelsmarken-Spezialist Sinnack setzt auf kernig: Das Toastbrötchen-Sortiment wurde um die Sorte Vollkorn ergänzt (in zwei Frischepacks unterteilte 4er-Packung). „Die Toastbrötchen werden ohne Konservierungsstoffe und mit einer Restlaufzeit von 42 Tagen hergestellt. Das ist im Toastbrötchen-Bereich einmalig“, sagt Verkaufsleiterin Liesel Schlüter. Pema setzt auf Bewährtes. „Nach wie vor laufen unsere klassischen naturreinen Vollkornbrote besonders gut“, sagt Key Accounter Philipp Riedel. Mestemacher dreht mit Eiweiß-Brot den Trend zu Brot mit gesundheitlichem Nutzen weiter: Die Toastbrötchen bzw. das Eiweißbrot (250 g) enthalten wenig Kohlenhydrate und viel Eiweiß und sollen damit besonders als Abendbrot geeignet sein. Das Eiweiß soll länger satt machen.

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Bild öffnen Umsatz-Marktanteile Brot in Prebake im Lebensmittel-Einzelhandel (inkl. Aldi; nach LVP); Angaben in Prozent (Quelle: The Nielsen Company, Illustration: Klages-Saxler)
Bild öffnen Geschnitten macht das Rennen (Quelle: The Nielsen Company)