Molkereiprodukte Erste Sahne?

Es ist ein Eiertanz: Verbraucher fragen Milch und Milcherzeugnisse mit einer „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung stärker nach. Die Tür für mehr Wertschöpfung könnte sich damit öffnen, allerdings fürchtet die Milchindustrie um den Ruf konventionell hergestellter Milch.

Montag, 15. Mai 2017 - Molkereiprodukte
Tobias Dünnebacke
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Bildquelle: Fotos Getty Images

Sowohl Hersteller als auch Handel haben dem Markt der gentechnikfreien Milchprodukte lange nicht mehr als ein Nischendasein zugetraut. Das ändert sich zunehmend. Die aktuellen Impulse für das Segment kommen zum großen Teil aus dem Lebensmittel-Einzelhandel. Netto Marken-Discount beispielsweise verkauft seit Anfang des Jahres bundesweit unter den Eigenmarken „Gutes Land“ (Frischmilch in den Fettstufen 1,5 und 3,5 Prozent), „Viva Vital“ (u. a. Mozzarella), „Leichter Genuss“ und „Mondo Italiano“ Produkte aus zertifiziert gentechnikfreier Milchproduktion. Weitere Artikel sollen sowohl national als auch regional sukzessive ergänzt werden. Die Einführung erfolgt laut Unternehmen im Zuge der Netto-Nachhaltigkeitsstrategie und sei die konsequente Fortsetzung der seit Längerem laufenden Umstellung auf zertifiziert gentechnikfreie Lebensmittel. Eier und Frischgeflügel (SB- und Bediensegment) aus dem Netto-Eigenmarkensortiment sind bereits komplett gentechnikfrei.

Auch Wettbewerber Lidl geht bei dem Thema in die Vollen. Bereits im Juli 2015 führte der Hard-Discounter in allen bayerischen Filialen Frisch- und H-Milch der Eigenmarken „Milbona“ und „Ein gutes Stück Heimat“ mit der Zertifizierung „Ohne Gentechnik“ ein. Was sich bisher regional bewährt hat, wird nun auf nationaler Ebene folgen. Laut Jan Bock, als Geschäftsleiter verantwortlich für den Einkauf von Lidl Deutschland, ist noch für 2017 die deutschlandweite Umstellung der „Milbona“-H-Milch auf die „Ohne Gentechnik“-Zertifizierung in den rund 3.200 Lidl-Filialen geplant. Und dabei soll es nicht bleiben. „Langfristig planen wir, im Molkereisortiment ausschließlich auf gentechnikfreie Produkte zu setzen“, so der Lidl-Einkaufschef.

Die Ankündigung ließ sogar Lob von ungewohnter Stelle folgen: „Endlich wird der Lebensmittel-Einzelhandel seiner Verantwortung gerecht“, sagte Dirk Zimmermann, der Agrarmarkt-Experte von Greenpeace in Deutschland. Die Umweltschützer gehen im Falle Lidl von einer Signalwirkung aus, die den gesamten deutschen Lebensmittel-Einzelhandel verändern könnte. Sowohl Netto als auch Lidl arbeiten bei der Zertifizierung ihrer Produkte mit dem Verband für Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) zusammen. Dieser vergibt das 2009 vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eingeführte Siegel. Die Anzahl an Lebensmitteln mit einer VLOG-Kennzeichnung wächst stark.

Pionier bei den grossen Marken ist landliebe
Auch auf Industrieseite reagiert man natürlich auf das Thema. Als eine Art Pionier bei den großen Marken muss Landliebe genannt werden. Die Milch trägt bereits seit 2008 das Siegel „Traditionelle Fütterung ohne Gentechnik“. Auch andere Landliebe-Produkte sind mit dem Siegel gekennzeichnet, das Teil eines ganzheitlichen Konzeptes ist und die gesamte Wertschöpfungskette vom Kuhfutter bis hin zum Kühlregal umfasst: Die Landliebe-Lieferanten haben sich dazu verpflichtet, ihre Kühe mit traditionellen Futterpflanzen wie z. B. Gras, Mais und Raps zu füttern. Kann der Eigenanbau den Bedarf nicht decken, kaufen sie ausschließlich traditionelle, ohne Gentechnik angebaute Futterpflanzen von ausgewählten Lieferanten. Auch bieten mittlerweile Wettbewerber wie Bauer, Zott oder Grünland einzelne Produkte von Käse bis zum Joghurt aus gentechnikfrei hergestellter Milch an.

„Der Markt wächst stetig. Verbraucher wünschen sich zunehmend natürliche und regionale Lebensmittel, die sie mit gutem Gewissen genießen können. Als traditionsreiches Familienunternehmen sind wir uns unserer Verantwortung für Umwelt und Verbraucher bewusst und orientieren uns an den Kundenwünschen“, sagt Jens Fischer, Marketing-Leiter Privatmolkerei Bauer. Die Milch für diese Produkte von Bauer (u. a. die Weichkäse-Range, Weinkäse, Limburger sowie Bauer frischer Joghurt mild, der feine Schmand und Crème Fraîche) kommt ausschließlich von Bauernhöfen aus Ober- und Niederbayern, die großen Wert auf eine Fütterung ohne Gentechnik legen. „Mit diesem breiten Sortiment werden zusätzliche Kaufimpulse in der Zielgruppe generiert, die Wert auf natürliche Produkte legt“, ist sich Fischer sicher.


Auch Wettbewerber Zott setzt auf das Thema und glaubt nicht an einen kurzfristigen Hype: „Aktuell nimmt das Thema auch bei vielen anderen Markenartiklern und Herstellern von Private-Label-Produkten an Bedeutung zu. Unserer Einschätzung nach sind gentechnikfreie Molkereiprodukte deshalb nach wie vor eine große und nicht zu unterschätzende Trendbewegung in der Lebensmittelbranche“, sagt Zott-Sprecherin Caroline Fritz. Die Molkerei ist bereits 2011 den Schritt gegangen, das Zottarella-Sortiment komplett auf „Ohne Gentechnik“ umzustellen.

Mit dem Programm „Nachhaltige Fütterung“ setzt die Molkerei nicht nur auf den Einsatz von nicht kennzeichnungspflichtigen Futtermitteln, sondern fokussiert vor allem auf Futter, dessen Ursprung in Europa liegt. „Wir klammern dadurch neben der Thematik GMO gleichzeitig auch andere kritische Themen konsequent aus, wie z. B. den Einsatz von Palmkernprodukten und die damit verbundenen teilweise bedenklichen Produktionsstandards in den Ursprungsregionen dieser Produkte“, sagt Fritz.

Dass das Thema auch eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Relevanz für den gebeutelten Milchmarkt haben kann, macht die schwedisch-dänische Molkereigenossenschaft Arla deutlich. Diese schafft für Landwirte Anreize, damit sie ihre Milchproduktion noch stärker auf gentechnikfreie Futtermittel umstellen. Denn: Der Markt sei zunehmend bereit, einen Aufpreis für entsprechende Produkte zu zahlen.

Nachfrage kommt vor allem aus Deutschland
„Derzeit stammt die Nachfrage aus Deutschland. Sobald sich die kommerziellen Chancen in anderen Märkten ergeben, laden wir die Landwirte dazu ein, sich zu beteiligen. Schritt für Schritt werden wir immer mehr Landwirte einbeziehen“, erklärte Peder Tuborgh, CEO von Arla Foods, bei der Ankündigung im vergangenen Jahr, die Umstellung der Arla-Lieferanten finanziell zu fördern. Das Vorhaben scheint Erfolg zu haben. „Der Großteil unserer Landwirte hat das Angebot der Molkerei, auf gentechnikfreie Milcherzeugung umzustellen, gut angenommen. Es bleibt aber immer eine einzelbetriebliche Entscheidung, da jeder Landwirt für sich entscheiden muss, ob er mit dem 1 Eurocent, den er dadurch zusätzlich für jedes Kilogramm Milch bekommt, auf seine Kosten kommt“, erklärt Arla-Sprecher Wolfgang Rommel heute. An dem Standort Upahl in Mecklenburg-Vorpommern seien aktuell 80 Prozent der Milchmenge bereits umgestellt. Momentan betrifft die Umstellung vor allem die Trinkmilchprodukte. Arla geht aber davon aus, dass künftig auch andere Molkereiprodukte umgestellt werden können. „Das Potenzial dafür ist auf jeden Fall da, die Initiative wird von Seiten des deutschen Handels vorangetrieben, der künftig stärker auf Verbraucherwünsche eingehen möchte“, so Rommel. Nach den Worten des Arla-Aufsichtsratsvorsitzenden Åke Hantoft ist Arla gut vorbereitet, diese Nachfrage zu bedienen. Rund 20 Prozent von Arlas Milchpool würden bereits die Anforderungen erfüllen. „Hierin liegt ein kommerzielles Potenzial, das wir ausschöpfen können“, erklärt Hantoft. Er betont, dass diese Entscheidung auf dem wirtschaftlichen Potenzial beruht und nicht bedeutet, dass Arla einen neuen Standpunkt zum Thema Gentechnik einnimmt. Denn genau hier liegt ein großes Problem. Wenn immer mehr Verbraucher Produkte mit einem „Ohne Gentechnik“-Siegel kennenlernen und sich daran orientieren, wer will dann in Zukunft noch konventionell hergestellte Milch haben?

Will bald keiner mehr konventionelle Milch?
Der Milchindustrieverband (MIV) bezieht dazu eine klare Stellung: „Erzeugnisse ohne Kennzeichnung sind ebenso sicher und hochwertig wie Bio-Produkte oder ‚Ohne Gentechnik‘-Produkte“, heißt es in einer Mitteilung. Mit dem Futter zugeführte Komponenten würden im Verdauungstrakt der Tiere abgebaut. „Die Verfütterung von gentechnisch veränderten Pflanzen wirkt sich damit nicht auf die Milch aus“, ist der Milchindustrieverband überzeugt. Dies sei auch der Grund, warum die Europäische Union keine Kennzeichnung von Lebensmitteln vorsieht, die von Tieren stammen, die gentechnisch veränderte Futtermittel aufgenommen haben. Eine Negativkennzeichnung oder allein die Etablierung eines Begriffs wie „Gen-Milch“ will der Verband in jedem Fall vermeiden. Zumindest was die gesundheitliche Unbedenklichkeit angeht, geht Greenpeace mit der Industrie konform. In dem Einkaufsratgeber „Milch für Kinder“ heißt es: „Milch von Tieren, die Gen-Pflanzen gefressen haben, hält Greenpeace für gesundheitlich nicht riskant für den Verbraucher.“

Zweistelliges Wachstum bei der Kennzeichnung

Mit mehr als 6.000 Lebensmitteln, die das staatliche „Ohne Gentechnik“-Siegel tragen, werden 2017 rund 4,4 Mrd. Euro erwirtschaftet. „Dieser Umsatz zeugt von großer Verbraucherakzeptanz und der Leistungsfähigkeit dieser Branche“, zieht Alexander Hissting, Geschäftsführer des VLOG, zufrieden Bilanz. Die umsatzstärksten Segmente sind Milchprodukte, Eier und Geflügelfleisch. Die Angaben zu den Umsätzen beruhen auf Prognosen für das Jahr 2017. Sie stammen von den Lebensmittelherstellern, die das Siegel nutzen und spiegeln deren Verkaufspreise wider. Auf Grundlage einerdurchschnittlichen Handelsspanne liegen die Umsätze von Lebensmittel mit „Ohne Gentechnik“- Siegel im Lebensmittel-Einzelhandel etwa 20 Prozent höher. Das mit Abstand umsatzstärkste Sortiment stellen die Milchprodukte mit 2,44 Mrd. Euro bei 1.599 Produkten dar. Damit erzielen sie 55 Prozent aller Umsätze von Lebensmitteln mit „Ohne Gentechnik“- Siegel. Der VLOG geht von einem weiter stark wachsenden Markt aus. Die Anzahl an Lebensmitteln mit „Ohne Gentechnik“- Siegel wuchs im ersten Quartal 2017 um 12,5 Prozent.

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